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Nur Packeleien hinter Polstertüren?

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Der ziemlich abrupte Stim­mungswechsel der Öffent­lichkeit zum Thema Sozialpartner­schaft, artikuliert durch nicht we­nige Journalisten von undurch­dachter Überschätzung zu kriti­scher, ja oft gehässiger Herabset­zung könnte bedenkliche Folgen haben.

Abgesehen von seiner Aktuali­sierung durch gewisse skandalöse Anlässe, geht dieser Stimmungs­wechsel offenbar auf zweierlei zu­rück: Erstens, daß man sich nicht ernsthaft mit der Funktion dieses Systems vor allem in der Wirt­schaftspolitik auseinandergesetzt hat. Zweitens, daß einige notwendige und sicher auch mögliche Anpassungen an die Veränderun­gen des Umfelds bisher nicht aus­reichend erfolgt sind.

Darunter meine ich, daß die Emanzipation großer Bevölke­rungsgruppen von straff geführten Organisationen voranschreitet, daß es tatsächlich behebbare Demokra­tiedefizite gibt, daß sich die Sozial­partner auf Fragen eingelassen haben, die nicht unbedingt ihre Kompetenz darstellen müssen oder sollten. Und andererseits, daß sie längere Zeit hindurch neue Anlie­gen, etwa die Umweltpolitik, ziem­lich einhellig verkannt hat.

Teilweise versuchen diese Insti­tutionen solche Defizite durch ver­stärkte Dienstleistungen für die Mitglieder aufzuwiegen. Da sind sie eher angreifbar, weil manches davon auch vom Markt angeboten werden könnte. Viel weniger er-setzlich sind sie in meinen Augen in ihrer wirtschafts- und sozialpoliti­schen Funktion. Das System der Sozialpartnerschaft beruht auf drei Fundamenten und einer Reihe kon­struktiver Details. Ersteren kommt wirtschaftlicher Verfassungsrang zu und sie haben eine weit bedeu­tendere Funktion als so manche f or-male Verfassungsbestim­mung. Die drei Fundamente sind:

• gemeinsam vertretener Vorrang der Kompromißlö­sung vor der Konfliktlösung, ohne gänzlichen Verzicht auf diese;

• Vorrang der höheren oder Gesamtinteressen vor sekto­ralen oder partikularen In­teressen sowie

• möglichst umfassender Vertretungsanspruch, der sich überwiegend in der ge­setzlichen Pflicht, Mitglied zu sein, niederschlägt.

Die konstruktiven Details und die besonders herausra­gende Stellung der Sozial­partnerschaft in Österreich gründen sich auf historische Wurzeln und auf strukturelle Gegebenheiten: dazu zählt ei­nerseits die unglückliche Ge­schichte der Ersten Republik, andererseits die auffällig geringe fachliche Kompetenz der staatlichen Exekutive und Legisla­tive sowie der politischen Parteien für Wirtschaftspolitik, eine Situa­tion, die auch in den letzten Jahren trotz mancher Ansätze noch nicht vollständig behoben wurde. In ei­nem gewissen Umfang stellen die Organisationen der Sozialpartner den Ausgleich dafür dar. Und so sehr es wünschenswert ist, daß das Parlament im Fach Wirtschaftspo­litik „aufrüstet" und die Ministe­rien leistungsfähige Stabsstellen einrichten, so sehr muß davor ge­warnt werden, die Kompetenz der Sozialpartner auf diesem Gebiet einfach zu übersehen oder abzu­schreiben. Die fachliche Unter­mauerung der Wirtschaftspolitik in Österreich kann ganz gewiß noch einiges an zusätzlicher Ausstattung brauchen.

Das zweite, noch wichtigere Kennzeichen der Sozialpartner­schaft ist ihre Konfliktlösungska­pazität. Für die Öffentlichkeit stell­te sich diese entweder als die ein bißchen rührende Benützung des heißen Drahts zwischen„Toni" und „Rudi" dar, allenfalls als Packelei hinter Polstertüren. In Wirklich­keit könnten diese oberflächlichen Erscheinungsformen und noch so bedeutende Persönlichkeiten an der Spitze der Sozialpartner auf diese Weise nicht ins reine kommen, wenn nicht ein facettenreicher und geordneter Mechanismus des Inter­essenausgleichs dahinterstünde, auch des Ausgleichs von unter­schiedlichen Interessen innerhalbeiner Organisation, das sogar vor allem. Manchmal setzt dieser vor­aus, daß über die unmittelbare Lohn- und Preispolitik hinausge­griffen wird, womit die Tauschmas­sen größer und Kompromißpakete leichter zu schnüren werden. Na­türlich haben solche Institutionen ein fundamentales Legitimations­problem gegenüber ihren Mitglie­dern und gegenüber den von ihnen eingebundenen Gruppeninteressen: diese fühlen sich ungenügend ver­treten, wenn Abstriche von Maxi­malforderungen hingenommen werden müssen. Und sie glauben keine Vertretung zu benötigen, wenn ohnehin alles bestens läuft. Daß ihre Interessenlage jedoch auch dann berücksichtigt wird, wenn sie ohne die Einbindung in dieses Sy­stem von augenblicklich stärkeren Interessen überfahren würden, wird leicht übersehen.

Dieses System ist schon oft be­schrieben und kritisch analysiert worden.Und, wie gesagt, Kritik und Korrekturen an manchen Erschei­nungsformen werden notwendig sein. Die Kritiker blieben aber bis­her durchwegs schuldig: zu erklä­ren, wie die gesamtwirtschaftliche Stabilität und Entwicklung unter Verhältnissen, in dem Konkurrenz zwischen einer Vielfalt an (freiwil­ligen) Interessenvertretungen und damit automatisch geringere Kom­promißfähigkeit vorherrschen, eher erreicht würden. Oder sollen Ab­striche von gesamtwirtschaftlichen Zielen - Preisstabilität, internatio­nale Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum - gemacht werden, weil auf diese Weise die TV-Übertragungen aus dem Parlament spannender werden? Das könnte auch erreicht werden, ohne die unbestreitbare Effizienz unserer Wirtschaftspoli­tik aufs Spiel zu setzen. Ausländi­sche Investoren beurteilen übrigens den Standort Österreich bisher nicht nach der Qualität der parla­mentarischen Auseinandersetzung - die sollte gewiß verbessert wer­den - sondern danach, wie kalku­lierbar die sozialen Verhältnisse in Österreich sind. Und die Transpa­renz der politischen Auseinander­setzung würde an Faszination ver­lieren, wenn dabei in erster Linie unüberschaubare Pluralität der Interessen transparent würde.

Hoffentlich ist nun nicht der Eindruck entstanden, es sollte ge­gen die sich aufdrängenden Refor­men argumentiert werden. Ange­sichts der Herausforderungen der Zukunft wäre bequemes Verharren auf Althergebrachtem sicher falsch. Es sollte nur zum Ausdruck kom­men, daß sich die Funktion der Sozialpartnerschaft aus der Sicht des einzelnen Pflichtmitglieds, des einzelnen Journalisten oder des einzelnen Politikers ein bißchen anders aussieht, als aus einem ge­samtwirtschaftlichen Problembe­wußtsein.

Der Autor ist Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO). Der Beitrag ist ein Auszug aus dem kürzlich in der Österreichischen Länderbank (Wien) gehaltenen Referat „Österreichische Wirtschaftsperspekti-veh im Herbst 1990".

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