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Nur toter Luther ein guter Luther?

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Auf keiner seiner 42 großen Reisen ist der Papst so wenigen Katholiken und so vielen Protestanten begegnet wie bei seinem zehntägigen Skandinavienbesuch (1. bis 10. Juni 1989).

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Auf keiner seiner 42 großen Reisen ist der Papst so wenigen Katholiken und so vielen Protestanten begegnet wie bei seinem zehntägigen Skandinavienbesuch (1. bis 10. Juni 1989).

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Nicht nur der eisigen Polarluft wegen, die manchmal wehte, blieb das Klima während der jüngsten Papstreise kühl. Wärme kam nur auf, wo insulare Gemeinden der 200.000 Katholiken (unter 23 Millionen Skandinaviern) oder die zugewanderten polnischen Landsleute ihrem Papst zujubelten. Hitziges hingegen spürte man wie unter erloschenen V ulkanen schwelen, wo immer Johannes Paul EL von den Lutheranern ins ökumenische Gebet genommen wurde - in jedem Sinne.

Der Herausforderung durch einen Protestantismus, der -’ we-

nigs tens dem Taufschein nach - die skandinavischen- Wohl standsgesellschaften prägt, begegnete der römische Pontifex mit freundlich-ausweichender Vorsicht Gibt es nicht ein gemeinsames Interesse, der fortschreitenden Säkularisierung zu widerstehen? Immer wieder versuchte er, vorbei an heiklen doktrinären Unterschieden, daran anzuknüpfen.

Aber warum dann nicht auch durch konkrete Schritte, etwa zur Abendmahlsgemeinschaft, aufeinander zugehen? Unverblümt verlangte dies in Oslo der lutherische Bischof Aarflot, der sich nicht scheute, den für das Papsttum peinlichen „Fall Galilei“ ins Positive zu wenden: So wie sich die Erde eben „doch bewegt“, so eben auch die römische Kirche, die sich aber nicht ewig um die eigene Achse drehen dürfe. „Wir erwarten den Tag, an dem Eure Heiligkeit klar und unzweideutig die Anerkennung des kirchlichen Charakters der lutherischen und der anderen protestantischen Kirchen ausspricht.“

Eben damit jedoch tut sich der Papst so schwer wie eh und je. Im norwegischen Trondheim, wo einige evangelische Bischöfe dem ökumenischen Gottesdienst demonstrativ femblieben, rief ihm der lutherische Bischof Kirsten Kyrre Bremer zu: „Die Welt wartet auf uns, wir müssen uns die Hand geben!“ Da schien der Papst vor den theologischen Hindernissen ins Philosophische zu flüchten: Was man brauche, sei „höhere Weisheit, Geduld und Liebe“; für alle Christen Europas sei es jetzt höchste Zeit dafür.

Indem der Papst in Stil und Ton seiner Ansprachen sehr darauf bedacht war, keinen Anstoß bei den Andersgläubigen zu erregen, geriet er zuweilen selbst fast in die Rolle des verlorenen Schafs, wie er in Trondheim andeutete: „Wir hören so viele gegensätzliche Stimmen; wir riskieren uns zu verlieren und fragen uns selbst: Wo stehe ich wirklich?“ Und da waren dann viele Zuhörer, zumal jene, die aus der „antipapistischen“ Tradition kommen, beeindruckt, weil sie spürten, daß dieser Gast aus Rom kein Hehl daraus machte, auch nur ein Mensch zu sein… Und die meisten überhörten es, als er doch wieder auf sein Petrusamt pochte.

Es gelte, alte Feindbilder abzubauen, rief er in Dänemark und machte sich selbstkritische Worte Papst Hadrians VL von 1523 zueigen - ohne freilich wie dieser von der Schuld „auch dieses Heiligen Stuhls“ zu sprechen. Dann sprach der lutherische Bischof Oie Bertel- sen aus, was in der Luft lag: Schöne Worte und Kirchenführerlächeln brauche man jetzt „überhaupt nicht“; noch immer sei ja die Verurteilung der evangelischen Lehre durch Rom nicht zurückgenommen.

Der Papst gab nun „erhebliche Hindernisse“ zu und bedauerte, daß die Wunden, die durch den Bannstrahl gegen Martin Luther geschlagen wurden, auch heute nicht geheilt sind. Der naheliegenden Konsequenz entzog er sich mit einer kirchenjuristischen Begründung, die in den Ohren seiner Zuhörer wie billiger, wenn nicht fataler Trost klingen mußte: „Nach dem Verständnis der römisch-katholischen Kirche hört jede Exkommunikation mit dem Tode eines Menschen auf, da diese als eine Maßnahme gegenüber einer Person zu ihren Lebzeiten anzusehen ist.“

Demnach wäre nur ein toter Luther kein ketzerischer Luther mehr, und die Perspektive christlicher

Gemeinsamkeit läge im Jenseits, weil ja ohnehin - wie der Papst in Oslo einräumte - Protestanten wie Katholiken „in ihre ewige Heimat reisen“. Da stand dann Bischof Bertelsen vor dem Gast-aus Rom und konnte nicht anders: „Die Institution garantiert nichts… Das System der kirchlichen Ämter kann keine Gewißheit vermitteln.“

Alle Glocken der lutherischen Kathedrale von Uppsala, der größten Skandinaviens, stimmten ein feierliches Geläute an, als der Papst zu einem ökumenischen Gottesdienst einzog, der anders als in Norwegen und Dänemark ohne verkrampfte Untertöne verlief. Die Zeit der Glaubenskriege, in denen Schweden vor vier Jahrhunderten die militanteste Rolle spielte, schien vergessen; das evangelische Königs- paar betete mit dem Papst, und auch der lutherische Erzbischof sprach vor allem von der Übereinstimmung in den zentralen christlichen Wahrheiten. Sogar seine beiläufige Bemerkung, daß ja auch Petrus einmal Christus verleugnet habe, klang fast so, als wollte er päpstliche Irrtümer entschuldigen.

Lag es daran, daß, wie der Papst befriedigt feststellte, in Schweden „das katholische Erbe über die Reformation hinaus mehr bewahrt worden ist als in anderen Ländern“? Für den lutherischen Erzbischof Werkström wäre die Abendmahlsund Eucharistiegemeinschaft heute schon möglich; sie würde, meinte er, auch den Dialog über die doktrinären Unterschiede erleichtern. Genau umgekehrt meint jedoch der Papst, daß man sich zuerst theologisch einigenmüsse,bevormange- meinsam zum Tisch des Herrn gehen könne. Langsam, mit Geduld, ohne Polemik und Mißtrauen müßten die tiefen Fragen, die seit der Reformation entstanden seien, überprüft werden, sagte er in Uppsala: „Wir werden die Einheit niemals finden, wenn wir nach einem gemeinsamen Nenner suchen, der für alle annehmbar wäre.“

Aber wie denn sonst? Es gelte, gemeinsam das „volle, echte Glaubenserbe zu entdecken und anzu nehmen“. Und damit hatte der Papst wiederum diskret, aber deutlich an jener Barriere Halt gemacht, die für ihn die „unverkürzte Wahrheit“ der römisch-katholischen Kirche bedeutet.

Schmerzlicher denn je schien ihm dies selbst zum Bewußtsein zu kommen auf dieser Reise. Umso wohltuender empfand er es, daß er in Schweden, wo immerhin 1,6 Prozent der Bevölkerung katholisch ist (die meisten eingewanderte Nicht- Schweden), zum ersten und einzigen Mal einige zehntausend Menschen um sich versammeln konnte. „Himmelsjubel für den Papst“ - mit dieser Schlagzeile, in der sich Überraschung mit leiser Ironie mischte, notierte eine Stockholmer Zeitung das Ereignis.

Und als ihn kurz vor dem Rückflug nach Rom in Vadstena zweitausend junge Menschen trotz Regen mit einer Popmesse feierten, war er wieder ganz der Missionar: „Die Zukunft der Kirche in Nordeuropa ist schon in euren Händen, fürchtet euch nicht vor Opfern und vor der Disziplin, die nötig sind.“ Konkreter war seine Moralpredigt in diesen zehn Tagen nirgendwo. Er wußte, daß sie sonst auf taube Ohren gestoßen wäre, denn - so sagt der italienische Pfarrer Cogliati, der 30 Jahre in Stockholm lebt - „die Schweden würden es eher hinnehmen, wenn die Heilige Dreifaltigkeit aus fünf Personen bestünde als daß sie sich in Sachen Sexualmoral etwas sagen ließen“.

So blieb die ökumenische Bemühung das Hauptthema dieser Reise. Gemessen daran, daß in Schweden die Katholiken noch vor 50 Jahren ohne Rechtsschutz waren und ein Papstbesuch undenkbar gewesen wäre, konnte man von einem Durchbruch sprechen. Der symbolische Stein der vor-reformatoriscfyen

Kathedrale, den der lutherische Bischof von Vadstena zum Bau einer katholischen Kirche übergab, war jedenfalls kein Stein des Anstoßes mehr.

Ganz undoktrinär, praktisch ökumenisch hatte in diesen zehn Tagen nur der isländische Regierungschef Steingrimur Herrn anns- son geredet, als er bei der Begrüßung des Papstes den letzten katholischen Bischof der Insel vor der Reformation als einen Nationalhelden pries: Dieser Oberhirte sei 1550 mit seinen zwei Söhnen (!) hingerichtet worden, weil er Islands Unabhängigkeit gegen die lutherischen Dänen verteidigte. Dazu Hermannsson: „Wir sind zwar meistens Lutheraner, aber wir ziehen Taten den Warten vor…“

Auf seine Weise erhob sich hingegen der Papst über alle Streitfragen, als ihn ein Reporter des schwedischen Fernsehens unverblümt fragte, was er denn dazu meine, daß er von manchen Kritikern als zu radikal, von vielen als zu konservativ eingeschätzt werde. Da lächelte er nur milde und sagte schon im Weitergehen: „Oh, das ist nicht wichtig…“

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