6801606-1971_37_14.jpg
Digital In Arbeit

Nur was swingt, ist gut

19451960198020002020

„Ich halte ein so durch und durch konservatives Institut wie die Wiener Staatsakademie eigentlich nicht für berechtigt, eine Auszeichnung zu vergeben, die den Namen eines der größten Revolutionäre der Musikgeschichte trägt“, und: „Wenn der Empfänger dieser Ehrung etwas geworden ist, so wurde er es nicht durch Akademie und Wettbewerb, sondern trotz dieser.“ Diese aggressiven Worte Friedrich Guldas, im Juni 1969 vor einem festlich gestimmten Auditorium im Großen Konzerthaus- saal, also coram publico, gesprochen, sind noch vielen in Erinnerung. Sie wirkten damals nicht nur schockierend, sondern auch deplaciert und fielen auf den langhaarigen Sprecher zurück. Für einen Revolutionär und jugendlich Aufbegehrenden erschien Gulda etwas zu alt, so gebärdet man sich mit 20, höchstens mit 25. Auch meinten manche, Gulda hätte die Ablehnung des Beethoven-Ringes, von dessen Zuerkennung er ja gewußt hat, vorher bekanntgeben können. Wozu also dieser Eklat?

19451960198020002020

„Ich halte ein so durch und durch konservatives Institut wie die Wiener Staatsakademie eigentlich nicht für berechtigt, eine Auszeichnung zu vergeben, die den Namen eines der größten Revolutionäre der Musikgeschichte trägt“, und: „Wenn der Empfänger dieser Ehrung etwas geworden ist, so wurde er es nicht durch Akademie und Wettbewerb, sondern trotz dieser.“ Diese aggressiven Worte Friedrich Guldas, im Juni 1969 vor einem festlich gestimmten Auditorium im Großen Konzerthaus- saal, also coram publico, gesprochen, sind noch vielen in Erinnerung. Sie wirkten damals nicht nur schockierend, sondern auch deplaciert und fielen auf den langhaarigen Sprecher zurück. Für einen Revolutionär und jugendlich Aufbegehrenden erschien Gulda etwas zu alt, so gebärdet man sich mit 20, höchstens mit 25. Auch meinten manche, Gulda hätte die Ablehnung des Beethoven-Ringes, von dessen Zuerkennung er ja gewußt hat, vorher bekanntgeben können. Wozu also dieser Eklat?

Werbung
Werbung
Werbung

Liest man aufmerksam die in diesem Büchlein gesammelten Aufzeichnungen, so wird man sich bewußt, damals, bei seiner Brandrede, nur die Spitze des Eisbergs erblickt zu haben (um ein der damaligen Situation entsprechendes schiefes Bild zu gebrauchen). Hier, in diesen Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 1953 bis 1970 findet man die Gründe und Hintergründe für Guldas zuweilen unverständliche Auslassungen und Aggressionen.

Worum geht es ihm? „Die Großen des Jazz sowie Bach und Mozart sollen meine Vorbilder sein“, notiert er 1954. Der spontane Ausdruck der Improvisation sei mehr wert als bedrucktes Notenpapier, und die Nachwelt zähle weniger als die Mitwelt. Heute befänden wir uns auf dem Weg zu einer sich langsam abzeichnenden Weltmusik, in der auch die europäische Musik ihren Platz finden werde. Aber nur, soweit sie sich auf ihre natürlichen, improvisatorischen Anfänge besinne, also nicht sterilwissenschaftlich, sondern naiv-richtig sei.

Auf diesen Punkt insistiert Gulda immer wieder: Jede Musik sei nur in dem Maße gut, als sie Jazz enthält, und „Was swingt,’iist gut, was nicht swingt, ist schlecht, zumindest überflüssig“, gemeint ist jene Art des Musizierens, die im Hörer körperlich-seelische Mitarbeit, unbeeinträchtigt von Frustration und Langeweile, hervorruft.

Alle diese Bemerkungen liegen auf einer Linie: der Rehabilitierung jeder Art von Volksmusik, besonders des amerikanischen Jazz, bis zur Gleichsetzung, bis zur deklarierten Gleichwertigkeit von Jazz- und Kunstmusik, speziell jener des 19. und 20. Jahrhunderts. Darüber kann man zwar diskutieren, es wird sich aber schwer widerlegen lassen, daß etwa in den ersten zwei Minuten des G-Dur-Klavierkonzerts von Ravel mehr Einfall, musikalische Intelligenz, Klangsinn, Eleganz und kompositorisches Können investiert sind als in einem ganzen zweistündigen Jazzabend.

Soweit gut — oder auch nicht gut. Was jedoch viele von Guldas Urteilen entwertet, ist sein Ressentiment gegenüber der klassischen Musik und ihren Interpreten. Weshalb spielt er also immer noch und immer wieder Bach und Beethoven? „Weil diese vergangene Musik mir als Vehikel, mich selbst auszudrücken, zur Zeit Immerhin noch brauchbar erscheint“, und zweitens, weil seine materielle Existenz in hohem Grade von der Benutzung dieses Vehikels abhängt.

Nun, wir nehmen zugunsten Friedrich Guldas an, daß dies nicht die einzigen Gründe sind, Mozart, Schu-

bert, Schumann und Debussy zu spielen. Aber dann sollte er milder gegenüber seinen Pianistenkollegen sein, die ja schließlich nicht alle, obwohl sie keine Jazzfans sind, den Verstand, zumindest den Kunstverstand, verloren haben. An ihre Adresse ist, ausdrücklich, eine Eintragung aus dem Jahre 1957 gerichtet. Zur Überheblichkeit und zur Bescheidenheit flüchten angeblich die Musiker des schlechten Gewissens, „das sind heutzutage 99 Prozent!“ Und anläßlich der Luzemer Festwochen 1963 notiert Gulda beim Anblick der dort versammelten „Elite":

„Die Berührung mit Schlechtem macht schlechter. Man sollte sie daher tunlichst vermeiden.“

Doch gibt es in diesem Büchlein, das der Vierzigjährige herausgab, auch feinere Differenzierungen, aus denen man sieht, daß Gulda nicht nur mit dem Hammer zu philosophieren vermag. Etwa wenn er vom Impressionismus im Gegensatz zur Klassik spricht, oder wenn er, 1958, die Beobachtung notiert, „daß die klassische Musik eher die rhythmische als die harmonische Schlamperei toleriert, Jazzmusik umgekehrt“, und zusammenfassend bemerkt, daß schlechte Musik heute dadurch gekennzeichnet ist, das sie die Schwächen beider Lager aufweist. Oder die sophistische Erklärung, weshalb in den Oststaaten die Zwölftöner und Seriellen suspekt oder verboten sind. Oder wenn er erklärt, weshalb der weiße Amerikaner musikalisch so unsympathisch ist: weil er nämlich ständig etwas stiehlt, entweder von uns oder von den Schwarzen…

Mit vielen seiner Attacken trifft Gulda daneben, mit einigen freilich auch ins Schwarze. Daher ist dieses Büchlein nur für kritische Leser zu empfehlen.

WORTE ZUR MUSIK. Von Friedrich Gulda. Piper-Verlag (Serie Piper), 115 S.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung