Gorbatschow: Gruß an den alten Mann in Moskau
Wie gerne wüsste ich, wie es Michail Gorbatschow heute geht – im Zeichen von Putin und dem Ukraine-Wahnsinn.
Wie gerne wüsste ich, wie es Michail Gorbatschow heute geht – im Zeichen von Putin und dem Ukraine-Wahnsinn.
Es war eine Sternstunde meines Berufslebens. Von einem „einzigartigen Abend, der alle meine Erwartungen übertrifft“ sprach auch der Herr, an dessen Seite ich jenen 6. Dezember erlebt habe, vor hunderten gebannt lauschenden Zuhörern und einigen TV-Kameras:
Er, das war Michail Gorbatschow, Friedensnobelpreisträger und ein Vorgänger Putins im Kreml, vier Jahre nach seinem Rücktritt als Sowjet-Präsident. Das Wiener „Forum Schwarzenberg“ (Industriellenvereinigung) und eine Großbank, Marktführer in Osteuropa, hatten ihn geladen – und ich durfte ihn vorstellen („gute Worte - hart, aber wahrheitsgetreu“, befand er danach), durfte mit ihm diskutieren – und ein unvergessliches Abendessen mit ihm genießen.
Gorbatschow fühlte sich damals (ich habe das Video jenes Abends jetzt gefunden) unter Freunden und Partnern, erzählte Erlebnisse, die nirgendwo zu lesen sind, und stieß auf enormen Applaus. An diesem Abend diskutierten wir auch über Europas künftige Sicherheit – und das heikle Thema einer Ost-Erweiterung der NATO bis an Russlands Grenze. Seine Perspektive war das nicht: Er, der maßgeblich den Kalten Krieg beendet, den Zerfall der UdSSR akzeptiert, Osteuropa in die Freiheit entlassen und die Deutsche Einheit ermöglicht hatte,
er träumte von einem „europäischen Haus gleicher Sicherheit für alle“ – auch für das vom Geschehen ohnedies gedemütigte Russland.
Keine Reanimierung der alten Blöcke
Und: „Nein“, sagte er, „ich will kein vereinigtes Europa gegen Amerika. Die Zukunft kann nur mit Anerkennung der Realitäten gelingen. Dazu gehört Russland – es ist nicht nur ein Rohstoff-Anhängsel –, ebenso aber die Verbindung Amerikas mit Europa. Alles andere wäre absurd“. Kurzum: „Nur keine Reanimierung der alten Blöcke!“
Angesicht des ukrainischen Blutbads von heute tut es gut, sich an jenen Gorbatschow (er selbst mit russischem Vater und ukrainischer Mutter) zu erinnern. Am 2. März, dem siebten Tag von Putins gnadenlosem Krieg, hat er soeben, abgeschottet, seinen 91. Geburtstag begangen. Ein Anlass, um nachzudenken:
- was da in den vergangenen 27 Jahren seit Gorbatschows Wiener Abend an geopolitischen Chancen verspielt wurde – im Kreml und anderswo;
- wie wenig heute sein politischer „Erbe“ Putin samt seiner Clique dieses riesige, vom Schicksal wenig gehätschelte Russland repräsentiert;
- und dass Österreichs starke wirtschaftliche Vernetzung im Osten ja in einer Zeit vor Putin grundgelegt wurde, in der es durchaus Sinn ergeben hat, jene Mittlerfunktion zu nützen, die der geopolitischen und wirtschaftlichen Position Österreichs entsprochen hat (und dass ja auch die alternativen Öl- und Gas-Anbieter weltweit nicht gerade als Muster-Demokratien auffallen).
Gorbatschow hat mich bei einer späteren Begegnung auch als Charakter beeindruckt, als er bei meiner Erinnerung an jenen Abend – damals noch mit seiner 1999 verstorbenen Gattin Raissa – mit tränenerfüllten Augen sagte: „Sie war das Glück und die Kraft meines Lebens“. Wie gerne wüsste ich, wie es ihm heute geht – im Zeichen von Putin und dem Ukraine-Wahnsinn.
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