"Null Toleranz" - aber mit wem?

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„Gute Führung braucht ihre Zeit“, hat der 1933 gewählte US-Präsident Franklin D. Roosevelt gesagt – und um 100 Tage Schonfrist gebeten. Daraus ist ein Ritual geworden, vielzitiert, längst aber weitgehend unbeachtet. Das liegt nicht nur an unseren Medien und der Opposition, sondern auch an den Regierenden, die möglichst schnell ihre Kompetenz beweisen, vor allem aber ihre inhaltlichen Markierungen festschreiben wollen. Dies allein deshalb, um den Spielraum und die Mitsprache des Koalitionspartners zu begrenzen.
Kräftiges Beispiel dafür war zuletzt ein Kurier-Interview der neuen Integrationsministerin Susanne Raab.

Drei ihrer Aussagen haben mich betroffen gemacht:
1. „Muslimische Mädchen tragen ihr Kopftuch nie freiwillig, es ist immer Zwang dabei.“
2. „Politischer Islam hat in Österreich keinen Platz, da gilt null Toleranz.“
3. „Es ist nicht entscheidend, woher jemand kommt, sondern was man bereit ist, in Österreich zu leisten und beizutragen.“

„Integrationspolitische“ Urteile

Seit Jahrzehnten bin ich stolz auf Österreichs Diplomatie und kenne ihr besonderes Renommee, gerade in der islamischen Welt. Umso erstaunter bin ich über derlei „integrationspolitische“ Urteile der studierten Juristin und Psychologin ­Raab. Drei knappe Überlegungen dazu:
Zunächst: „Mädchen mit Kopftuch – „nie freiwillig, immer Zwang“: Die Erfahrung sagt, dass derlei Pauschalurteile selten stimmen und letztlich immer interessensgesteuert sind. Aus Untersuchungen wissen wir: Hinter dem Entschluss zum Kopftuch steht bei Muslimen in Europa eine recht komplexe Mischung aus Tradition, Bindung an die Mutter und Zwang – aber auch kultureller Protest und Selbstbehauptung usw. Welche Assoziationsketten aber werden hier von der neuen Ministerin angesprochen – und warum? Wäre es ihr auch eine Schlagzeile wert, dass nur eine Minderheit junger Christen die Gottesdienste besucht – und das vielleicht auch unter Eltern-Druck? Ich glaube: Integration braucht mehr an Sensibilität und Empathie. Und was wir nicht wissen und belegen können, sollten wir nicht behaupten.

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