Ukraine-Krieg: Über die Schuld Putins - und jene von uns

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Gedanken zu Wladimir Putins Krieg in der Ukraine und die "Sünde der Gleichgültigkeit".

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Gedanken zu Wladimir Putins Krieg in der Ukraine und die "Sünde der Gleichgültigkeit".

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Es war an jenem Abend der Vorwoche, als Russlands Armee zur Invasion der Ukraine aufgebrochen ist. In Wiens polnischer Botschaft hatte sich viel Prominenz versammelt, um den 100. Geburtstag des unvergesslichen Władysław Bartoszewski zu feiern. Acht Jahre lang hatten ihn zuerst die Nazis, dann auch die Kommunisten inhaftiert, ehe ausgerechnet er zum großen europäischen Versöhner zwischen Polen, Deutschen und Juden werden konnte; später zum Botschafter Polens in Wien, ja zum Außenminister.

Am Ende dieser Gedenkfeier – noch wusste niemand vom unmittelbar bevorstehenden Überfall der Putin-Truppen – wurde eine bemerkenswerte Aussage Bartoszewskis zitiert: „Für denkende Menschen, insbesondere jene, die an einen Gott glauben, führt kein Weg an der Tatsache vorbei, dass unter Schuldigen nicht nur die unmittel­baren Täter sind, sondern auch die Gleichgültigen. Denn Gleichgültigkeit gegenüber dem Bösen ist die größte Sünde!“

Dieser Satz hat mich zuletzt nicht losgelassen. Weil er der lebenslang erlebten Praxis weitgehend entgegensteht: Wo offenkundig Böses geschieht, da siegt nach meist kurzer Zeit des Erschreckens und der Solidarität recht bald ein gedankenloses Wegschauen – und der Umstieg auf andere Themen.

Diese Erfahrung stimmt – leider – auch bei kritischer Selbstbefragung: Recht wenig habe ich mein Demonstrationsrecht genützt und als Journalist zu selten gegen offenkundiges Unrecht angeschrieben! Zu schnell war da eine Ermüdung der Argumente latent; auch eine Mahnung, die mein im Russland-Feldzug verstorbener Vater seinem noch ungeborenen Sohn hinterlassen hatte: sich nur ja nie wieder für eine vermeintlich „gute Sache“ öffentlich zu engagieren, um am Ende sein Leben zu riskieren.

Im Rückblick auf die Konfliktfelder der jüngeren Zeitgeschichte rückt sogar George Orwells „1984“ nahe an die Realität heran: Gleichgültigkeit, Desinteresse – es sind die idealen Voraussetzungen, um Schwarz in Weiß und „Fakes“ in Fakten verwandeln zu können. Damit aus „Interessen“ neue Wirklichkeiten wachsen können.

Und weil dies alles wiederholt belegbar ist, verschafft es der aktuellen Tragödie um die ­Ukraine bisher eine ganz unglaubliche Einmaligkeit: Noch nie habe ich eine solch globale politische Einhelligkeit darüber erlebt, wo die Wahrheit und die Lüge wohnen, wo das Recht und das Unrecht.

Wahnsinnsakt des Kremlherrn

Viel ist in diesem Geist der Einigkeit von einem „großen Umdenken“ die Rede, politisch, militärisch und wirtschaftlich. Voraussetzung dafür ist ein selbstkritisches Nachdenken darüber, was bisher im Umgang mit Putin und Co gedankenlos und falsch gelaufen ist. Hart gesagt: welchen (hoffentlich unbewussten) Beitrag wir geleistet haben, den Kremlherrn zu diesem Wahnsinnsakt zu ermutigen. Ich denke, es fehlt nicht an Hinweisen, dass wir dabei fündig werden könnten.

Dass es ein früherer sowjetischer KGB-Agent sein musste, der das „neue“ Russland seit 23 Jahren regiert und diktiert – das liegt natürlich außerhalb unseres Einflusses. Dass es uns aber erstaunlich wenig irritiert hat, ist bemerkenswert. Beruhigende Argumente dafür hatten wir immer zur Hand: Russlands enorme Dimension (als weltgrößter Flächenstaat und Europas bevölkerungsreichste Nation), seine sozialen Brüche und regionalen Konflikte, dazu das schwere sowjetische Vermächtnis. Dies und manch anderes haben wir in seiner
„starken Hand“ wohlverwahrt gesehen ... (Aber hat Putin den Zusammenbruch der UdSSR nicht ganz ungeniert als „größte Katastrophe“ bezeichnet?!)

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