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Nutzlose Tieropfer
Paracelsus müßte sich im Grabe umdrehen, wenn er wüßte, daß sein Ausspruch „Die Dosis allein macht das Gift“ auch heute noch Wissenschaftern und Gesetzgebern als Grundlage für die Festsetzung der Medikamentendosierung, die Vorschreibung maximaler Arbeitsplatz-Konzentrationswerte (MAK) und bei der Lagerung und dem Transport gefährlicher Güter dient.
Moderne Pharmakologen und Toxikologen (Giftforscher), wie Univ.Prof. Dietrich Henschler aus Würzburg (Institut für Toxikologie) und seine Wiener Kollegen Josef Huber (Institut für Analytische Chemie) und Otto Kraupp (Institut für Pharmakologie), kritisierten diese Praxis bei einem Journalisten- Seminar „Leben mit Giften“ in Wien vor allem deshalb, weil sie nicht mehr ausreichend ist.
Nutzlos werden noch immer Hekatomben von Versuchstieren in sogenannten Langzeittests geopfert, ohne daß man deswegen die krebsschädigende oder spätschädigende Wirkung einer chemischen Substanz wirklich nachweisen kann.
Inzwischen gibt es nämlich - in Form sogenannter Kurzzeit- oder Schnelltests mit menschlichen Gewebskulturzellen - wesentlich bessere, billigere
und sicherere Methoden, die Bedenklichkeit oder Ungefährlichkeit eines Stoffes nachzuweisen.
Solche „in-vitro“-(in der Schale) Tests haben den Vorteil, daß man bei Zellteilungen die erbverändernde (mutagene) Wirkung einer Substanz relativ leichter feststellen kann als in langwierigen Tierversuchen. Dies ist vor allem deshalb wichtig, weil erbverändernde Eigenschaften eines Stoffes fast mit Sicherheit der Hinweis auf dessen krebserregende (kanzerogene) Wirkung sind.
Während man für den heute üblichen LD-50-(Letaldosis 50%)Test - dabei wird festgestellt, ob mehr als die Hälfte der Versuchstiere eingeht - 100 bis 200 Tiere verbraucht, kommt man bei einem modernen Tierversuch mit durchschnittlich sechs Tieren aus.
Diese neuen Programme „in vitro“ und „in vivo“ (lebendes Tier) erfassen bereits viele chemische Stoffgruppen fast komplett, allerdings nicht für alle wünschenswerten biologischen Verarbeitungsprozesse. Obwohl man damit sowohl Kanzerogenität als auch Einflüsse auf die Keimesentwicklung und die Vererbung verfolgen kann, halten Gesetzgeber und auch einige Wissenschafter noch immer an den „altmodischen“ LD-50-Verfahren fest.
Zum einen, weil die neuen Prüfmethoden noch nicht auf alle chemischen Stoffe anwendbar sind, teils aber auch, weil erst vor einigen Jahren die LD-50- Normen in fast allen europäischen Gesundheitsgesetzgebungen, aber auch in EG- und OECD-Empfehlungen Eingang gefunden haben. Ja es ist sogar für den grenzüberschreitenden Transport solcher Güter an eine Hinaufsetzung und Verlängerung der Versuchsanordnung gedacht.
Vor allem kleine Staaten wie Österreich geraten damit unter einen doppelten Zugzwang. Einerseits haben wir z.B. noch immer kein eigenes toxikologisches Forschungs- und Prüfzentrum und müssen deshalb kostspielige - bis zu einer Million DM kostende - Krebsüberprüfungen in die BRD und die Schweiz vergeben, anderseits läuft uns die Zeit davon. Jedes Jahr werden immer mehr und kompliziertere Substanzen auf den Markt gebracht, erfunden und erprobt, über deren Wirkungsweise im menschlichen Körper, vor allem wenn sie biologischen Ursprungs sind (wie z. B. Interferon), man auch noch nicht allzuviel weiß.
An diesem für die Nachfahren des Paracelsus beschämenden Tatbestand wird auch das neue Arzneimittelgesetz, falls es in absehbarer Zeit im Parlament beschlossen wird, nichts ändern können. Denn weder ist dort eine Rück- holung der österreichischen Forscher, die bei ausländischen Konzernen einschlägig arbeiten, vorgesehen noch eine Finanzierung oder Bereitstellung einer nationalen Prüfstelle.
(Aus: „Politikum“, Nr. 4)
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