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Nutznießer sind Menschen

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„Für die Welt bist du ein Irgendjemand. Für irgend jemanden bist du die Welt.“ Dieser Spruch hängt über dem Bett eines österreichischen Entwicklungshelfers in Nikaragua. Jede und jeder von ihnen ist für viele Menschen in Nikaragua eine Welt, die Hoffnung macht.

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„Für die Welt bist du ein Irgendjemand. Für irgend jemanden bist du die Welt.“ Dieser Spruch hängt über dem Bett eines österreichischen Entwicklungshelfers in Nikaragua. Jede und jeder von ihnen ist für viele Menschen in Nikaragua eine Welt, die Hoffnung macht.

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Wenn Innenminister Tomäs Borge das Visum für eine USA- Reise bekommen hätte, wären mitgenommene Gastgeschenke bestickte Hemden aus der Genossenschaftsschneiderei der Gemeinde San Marcos gewesen. Sie waren im Auftrag der Regierung in Sonderschichten angefertigt worden. Ihre Qualität ist begehrt.

Begründerin, Leiterin, Seele und Motor dieser Genossenschaftswerkstätte ist die Schnei-

dermeisterin Maria Kothbauer aus Münzkirchen (Bezirk Schärding), die seit 1981 als ÖED-Ent- wicklungshelferin in San Marcos tätig ist: als eine von 23 jungen Frauen und Männern, die der österreichische Entwicklungsdienst derzeit in Nikaragua stationiert hat.

Zehn weitere Österreicher arbeiten dort unter der Ägide des Instituts für internationale Zusammenarbeit (IIZ). ÖED und IIZ sind kirchliche Einrichtungen. Warum diese Konzentration kirchlicher Entwicklungshilfe auf Nikaragua?

1980 war die Antwort einfach: weil dort erstmals Christen eine soziale Revolution maßgeblich mitgetragen hatten und man dem Land nun helfen mußte, einen ei genständigen Weg zwischen den Machtblöcken zu finden.

Wenn die Entscheidung erst heute zu treffen wäre, fiele sie angesichts der politischen Kritik an Nikaragua vielleicht anders aus. Heute aber geht es eher darum, zu entscheiden, ob das österreichische Engagement für dieses Land eingestellt werden soll.

„Nein“, empfahl eine vom ÖED nach Nikaragua entsandte zweiköpfige Studiendelegation (Rektor P. Josef Hollweck S VD von St. Gabriel und der FURCHE-Chef- redakteur), weil die Natur dieser Tätigkeit „keine Zweifel aufkom- men läßt, daß ihre Früchte nicht einer Regierung, sondern dem Volk zugute kommen.“

Die Empfehlung läßt sich belegen. Auch der Betriebswirt Herwig Adam aus Pürgg hat in seinem Mehrgenossenschaftspro- jekt von El Jicaral und Los Zarza- les 25 Menschen Arbeit verschafft: als Ziegelbrenner und Maurer, Gartenbauern, Viehzüchter und Konsumverkäufer.

Früher verdingten sie sich bei der Baumwollernte und waren dann monatelang wieder arbeitslos. Heute freuen sie sich über Dauerarbeitsplätze und mit eigener Hand gebaute Häuser.

„Mit der Förderung von Genossenschaften wird auch ein Beitrag zur Demokratie geleistet“, argumentierte ÖED-Geschäftsführer Hans Bürstmayr bei einer von Heribert Steinbauer geleiteten Nikaragua-Enquete in der ÖVP- Bundesparteileitung.

Je vier der österreichischen Entwicklungshelfer arbeiten im Genossenschaftswesen und in der gehobenen Lehrerausbildung, je acht im Gesundheitswesen und als Kindergärtnerinnen, sechs als akademische Experten, drei in Kleinindustrie und Bergbau.

In der Goldmine von El Limon bei 70 Grad Hitze und praktisch 100 Grad Luftfeuchtigkeit gebückt durch Stollen zu stolpern und über senkrechte Leitern zu klettern, ist ein Erlebnis, das man nicht mehr vergißt.

Was für den Besucher zum kurzfristigen Abenteuer und Fitnesstest wird, ist für Hunderte Arbeiter Brot und Sicherheit. Der Wiener Geologe Gerhard Zezula hat der Mine, die vor dem Zusperren stand, für zehn weitere Jahre Abbauchancen eröffnet.

Im Textilbetrieb Texnicsa in Managua, einer verstaatlichten Fabrik, die einst dem Diktator So- moza gehörte, hat der Niederösterreicher Rudolf Sandler (Leiben bei Melk) „in sechs Wochen mehr geleistet als ein paar Kubaner in zwei Jahren“, wie einer seiner Bewunderer im Unternehmen versichert. Er ist gelernter Webmeister und in Texnicsa für Produktionsberatung, die Entwicklung neuer Webmuster und Kurse in Webereitechnik zuständig.

1979 begann die Fabrik mit zwei Ingenieuren und 30 Arbeitern, heute erzeugen 1200 Arbeiter täglich 24 Kilometer Stoffe. Ziel ist, Nikaragua im Textilbereich autark zu machen: Derzeit wird Baumwolle überwiegend noch nach Guatemala exportiert und der dort hergestellte Faden für das Vierfache des Baumwollge- wichtspreises rückimportiert.

Zu den wichtigsten Aufgaben der Entwicklungshilfe zählt das Unterrichtswesen. In Managua bildet der gelernte Tischler Stefan Pleisnitzer aus St. Michael im Lungau technische Lehrer aus, arbeitet an der Lehrplanerstellung mit. Der Logopäde Franz Stieger aus Leibnitz hat sich auf die Arbeit mit behinderten Kindern spezialisiert.

In Leon haben die Elektriker Ferdinand Mähr (Altenstadt) und Benedikt Pieber (Graz), der Nachrichtentechniker Norbert

Demmelbauer (Zell/Pram) und der Drucker Erich Neuhold (Brunn a. G.) dazu beigetragen, das Instituto Tecnico La Salle, eine Ordensschule, zur Musteranstalt für technische Ausbildung zu machen. Letzte Erfindung: eine einfache Maschine, mit der in einem Arbeitsgang gesät und gedüngt wird — Beispiel für angepaßte Technologie.

Ein anderes Fachgebiet mit starkem Österreicher-Einsatz ist der Gesundheitsbereich. Vom Ansehen der Diplomkrankenschwester Marianna Fingerlos aus Mariapfarr kann man sich in Condega leicht überzeugen: Von der lokalen Junta bis zur 200. Mutter, deren Kind sie zur Welt bringen half, singen alle ihr Lob.

Es ist eigentlich ungerecht, einige Namen zu nennen, weil jede und jeder der 33 Helfer, die Georg Hubmer aus Wartburg/Krems vorbildlich koordiniert, Musterbeispiele an Idealismus, Opferbereitschaft und einfachem Lebensstil liefern.

Deshalb konnte die Studiendelegation relativ risikolos zu dem Schluß kommen, daß eine Fortsetzung des Österreicher-Einsatzes „sinnvoll, gerechtfertigt und wünschenswert“ sei.

Und es ist erfreulich, daß am Ende des ÖVP-Hearings der Abgeordnete Steinbauer auch namens seiner Partei erklären konnte, diese Arbeit müsse weiterhin unterstützt werden. Es wäre aus vielen Gründen verhängnisvoll, Nikaragua zu einer „linken“ Sache zu erklären und in der Buchhaltung christlicher Rechtgläubigkeit pharisäisch abzuschreiben.

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