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Oberlehrer der Nation?

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Im Frühjahr vergangenen Jahres zogen kirchliche Publizisten aus der Bundesrepublik Deutschland wieder einmal Bilanz über ihre Arbeitsmöglichkeiten und ihr Selbstverständnis. Der Chefredakteur der Kölner Bistumszeitung, Hajo Goertz, brachte die Diskussion auf einen knappen Nenner: die Kluft zwischen kirchlicher Theorie der sozialen Kommunikationsmittel und unserer Praxis ist deutlich.

Es gibt das von mehreren österreichischen Bischöfen mitunterzeichnete Wort, daß die Kirchenzeitungen durch das Aufgreifen problembelasteter und kontroversieller Themen mehr zur Verwirrung der Gläubigen als zu deren Auferbauung beitragen. Im österreichischen Synodalen Vorgang (ÖSV) wird zwar ausdrücklich die Anerkennung der Eigengesetzlichkeit der Medien auch im kirchlichen Journalismus gefordert, und ein deutscher Bischof meinte anläßlich einer Publizistikpreisvergabe wörtlich „Pressearbeit ist keine Predigt“, dennoch wird von Bischöfen abwärts den in der kirchlichen Presse tätigen Journalisten vorgehalten, daß sie zuwenig Verkündigung und zuwenig Glaubensinformation bringen.

Das Argument, daß Berichte, Reportagen oder Meldungen über verschiedenste Aktivitäten kirchlicher Einrichtungen und gläubiger Menschen eben jene Art der Verkündigung sei, wie sie Presse zu leisten vermag, steht zwar in den grundlegenden Richtlinien der westösterreichischen Kirchenzeitungskooperation, es wird aber nicht angenommen. Man will den Erwachsenenkatechismus in der Kirchenzeitung, und da wiederum nicht den lebensorientierten französischen, sondern den systematischen deutschen. Hinweise aus konkreten Leserbefragungen und aus der Wirkungsforschung, daß ein Katechismus in der Zeitung nicht gesucht ist und daher auch nichts bringt, werden nicht ernst genug genommen.

In der bedeutenden Medieninstruktion „Communio et progres-sio“ von Papst Paul VI. wird eine weltoffene katholische Presse gefordert, die über alle Aspekte des heutigen Lebens informiert und die Probleme der Menschen heute aufgreift.

Nutzt nun eine Kirchenzeitung diese offiziell postulierte Offenheit, um über ein umstrittenes Kraftwerksprojekt, um über auffällige Ungerechtigkeiten im Lohngefälle der Verstaatlichten, um über die Apartheidspolitik in Südafrika und deren wirtschaftliche Stützung durch Österreich und dergleichen zu berichten, so hat sie sehr oft mit der rügenden Frage zu rechnen, wo denn hier der pastorale Nutzen liege und welche pastoralen Ziele damit verfolgt würden.

Unter pastoralem Nutzen wird aber meistens das Prinzip verstanden: „Nur niemanden verärgern!“ Würde man diesen seelsorglichen Gesichtspunkt wirklich so ernst nehmen, wie man seine Einhaltung von kirchlichen Journalisten wünscht, so müßte noch heute das Kirchenbeitragswesen auf freiwillige Spendenbasis umgestellt werden.

Die Beispiele des Auseinanderklaffens von Theorie und Praxis ließen sich noch um eine ganze Reihe von Punkten fortsetzen; etwa die Diskrepanz der ÖSV-For-derung nach einer Konfliktaustragung durch Kommunikation und der Praxis der immer stärkeren Tabuisierung ganzer Themenbereiche.

Oder die Kluft zwischen der ÖSV-Forderung nach einer finanziellen Kraftanstrengung zugunsten kirchlicher Medienarbeit und der Tatsache, daß immer noch eine Reihe von Kirchenzeitungen Melkkühe für diözesane Budgetposten abgeben, während ihre Redaktionen hoffnungslos unterbesetzt sind.

Oder die sich immer weiter öffnende Schere zwischen der erklärten Absicht, eine offensive Informationspolitik der Kirche in die Welt hinein machen zu wollen (müssen), und dem ständigen Ringen der Katholischen Presseagentur, mit zuwenig Personal, Geld und Freiraum sowie einer veralteten Technik diesen Anforderungen gerecht werden zu müssen.

Die Ursachen für dieses Spannungsverhältnis zwischen Kirche und Medien, das seine besonderen Reibeflächen im kirchlichen Journalismus offenbart, dürften in der Geschichte (Stichwort: liberale Presse = schlechte Presse) ebenso liegen wie in der mangelnden Information und Ausbildung der kirchlichen Opinion-Leader im Hinblick auf Massenmedien; besonders aber scheinen mir diese Ursachen in den unterschiedlichen Arten des Kommunikationsverständnisses und der Kommunikationspraxis in der pluralistischen Gesellschaft einerseits und der Kirche andererseits zu liegen.

Gunther Borkmann (in J. Mat-thes, Religionssoziologie II) unterscheidet hier eine instrumentale (weltliche) Kommunikation, die Sach- und Wissensdaten übermittelt und auf die kognitive Orientierung einwirkt, und eine expressive Kommunikation, der es um die Vermittlung beziehungsweise Änderung von Werten und Haltungen geht. Diese Kommunikation sei für normative Gruppen wie die Kirche (aber auch für Weltanschauungsparteien) typisch. In diesem Konzept sollten kirchliche Journalisten eben doch so etwas wie Menschheitsbeglücker und Oberlehrer der Nation sein, eine Rolle, die Fritz Csoklich dem Journalisten wohl zurecht abspricht (in Heinz Purer, „Praktischer Journalismus“ ...).

Die Medienpraxis in Österreich aber zeigt, daß dieser normative Journalismus ebenso weit verbreitet ist (zum Beispiel Kampagnen der Kronen-Zeitung) wie das gestörte Verhältnis von Großorganisationen (Parteien, Ämter) zu den Medien. In diesem Sinne lebt der kirchliche Journalist in keiner Ausnahmesituation. Es liegt wesentlich an seinem breiten Rücken, einen offenen, engagierten Journalismus zu machen, wenngleich gesagt werden muß, daß die Bereitschaft, sich über derartige Fragen auseinanderzusetzen, vor zehn Jahren noch wesentlich größer war, bei den Journalisten ebenso wie bei Amtsträgern.

Der Autor ist Leiter der Gemeinschaftsredaktion der westösterreichischen Kirchenzeitungen in Salzburg.

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