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Objektivität - gibt’s die?

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Mit der Objektivität ist es so eine Sache. Die einen - und das sind die Pessimisten - meinen, daß es sie überhaupt nicht mehr gibt; die anderen, die Optimisten, glauben an sie, vor allem im Bereich der Wissenschaft. Gerade dort aber scheiden sich die Geister. Ein kürzlich erschienenes Buch mit dem Titel „Objektivität in den Natur- .und Geisteswissenschaften” nimmt sich dieses zentralen Problems an.

Diskussionen über jede Objektivität entzünden sich seit eh und je weniger an den sogenannten exakten Wissenschaften, wie Physik, Chemie oder gar Mathematik, sondern noch immer heftiger an dem großen Bereich der Geisteswissenschaften. Dort nämlich, wo es um den Menschen in seiner Kom- plexheit geht und nicht „nur” um physikalische Gesetze. Aber auch da sind sich die Naturwissenschaftler nicht einig. So schreibt der Physiker und Nobelpreisträger Eugene P. Wigner: „In bezug auf die Folgerichtigkeit der Physik habe ich ernsthafte Vorbehalte.” Denn auch die vielgerühmte Quantenmechanik ist das Ergebnis vieler Beobachtungen, sie beschreibt zwar, wie alle physikalischen Theorien, das Verhalten geschlossener Systeme, kann aber nie zeigen, wie astronomische Objekte sich verhalten, ohne, daß sie durch winzige Objekte in großer Entfernung beeinflußt werden. Die heutige Physik ist, trotz aller dieser Fortschritte, zwar viel umfangreicher als in früheren Jahren, abertrotz allem unvollständig. Professor Wigner: „Sie beschreibt nur einen Grenzfall, in dem Leben keine Rolle spielt. Gegenwärtig sollte nämlich die Bedeutung des Lebens immer mehr beachtet werden. Selbst wenn die Gesetze, die wir durch das Studium der unbelebten Welt erhalten, auch für Lebewesen gültig sind, so muß doch die Beschreibung dieses Zustands in die Gefühle der lebenden Wesen übertragen werden. Nach all dem ist man an persönlichen Erlebnissen interessiert: ob jemand Kummer oder Freude erfährt, ob jemand an Liebe oder Primzahlen denkt, ist interessanter als die Lage der Moleküle in seinem Körper.” Hier aber beginnen auch die Schwierigkeiten des Physikers, objektiv zu sein.

Ganz andere Probleme mit der Objektivität hat der Mediziner. Er kommt nicht in Versuchung, sein Fach nicht auf den Menschen zu beziehen.Beim Menschen aber gibt es immer wieder Unterschiede. Der Mensch, das Individuum, läßt sich eben nicht in ein einziges Schema pressen. Er bricht immer wieder aus und stellt Grundsätze und sicheres Wissen auf den Kopf. Während der bekannte Neurophysio- loge und Nobelpreisträger für Medizin, Professor John C. Eccles in seinem Aufsatz erklärt, daß es im Nervensystem des Menschen kein spezielles Problem mit der Objektivität gibt, muß er gleichzeitig zugeben, daß der Komplex des bewußten Erlebens schon viel schwerer objektiv zu beurteilen ist.

In der menschlichen Hirnrinde vermitteln bestimmte Vorgänge im Zusammenspiel der Neuronen (Nervenzellen mit ihren Fortsätzen, die die biologische Grundeinheit unseres ganzen Nervensystems darstellen) dieses Phänomen „Erleben”, das in der gesamten Welt von Materie und Energie einzig ist. Diese Welt ist in ihrem Geschehen ja durch die Physik und ihre Gesetze bestimmt. Aber all diese Gesetze sind nicht geeignet, unsere psychischen Erlebnisse zu erklären. Gerade dieses Erleben aber bestimmt in großem Maße unser Leben.

Professor John Eccles: „Jede Erkenntnis ist im Prinzip einmal subjektiv; sie wird objektiv, wenn sie in irgendeine Sprache gefaßt ist, so daß sie von anderen aufgenommen und kritisch prüfend und vergleichend überdacht werden kann. Dieses Kriterium zeigt, daß die ganze Welt des seiner selbst bewußten Geistes der objektiven Betrachtung zugänglich ist.”

OBJEKTIVITÄT IN DEN NATUR- UND GEISTESWISSENSCHAFTEN, herausgegeben von Werner Becker und Kurt Hübner. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg, Reihe „Kritische Wissenschaft”, 248 Seiten, öS 215,60.

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