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Ödipuskomplex ?

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Israel ist, wie der politische Zionismus als Rettungsidee, ein Produkt Europas, seines Antisemitismus, vor allem seines Massenmordes an den Juden. „Wir haben den menschlichen Staub“, sagte David Ben Gurion, „der sich hier aus allen Winkeln der Erde ansammelte, in einen souveränen Staat umgewandelt.“ Ein Volk, Schicksals-, Glaubens- und Rassengemeinschaft, fand seinen Staat. Und im Schicksal des Staates Israel lebt die Tragödie eines Volkes fort: „Aus dem bisherigen isolierten jüdischen Außenseiter inmitten einer nichtjüdischen Bevölkerung“, schreibt Hans Mayer („Der Weg zum Staat Israel“, Europaverlag 1975), „wurde ein jüdischer Außenseiterstaat inmitten einer nichtjüdischen Staatengemeinschaft.“

An anderer Stelle meint er: „Wer den Zionismus angreift, aber beileibe nichts gegen die Juden sagen möchte, macht sich oder anderen etwas vor. Der Staat Israel ist ein Judenstaat. Wer ihn zerstören möchte, erklärtermaßen oder durch eine Politik, die nichts anderes bedeuten kann als solche Vernichtung, betreibt den Judenhaß von einst und jeher.“

Österreichs Bundeskanzler“ Bruno

Kreisky sieht die Dinge anders; er lehnt den Zionismus ab und bestreitet die Existenz eines jüdischen Volkes. Für ihn gibt es bloß das Staatsvolk in Israel und jüdische Religionsgemeinschaften in aller Welt, sonst nichts.

Bruno Kreisky vermengt in seiner auch sonst'sehr verwirrenden Argumentation die Begriffe Volk und Staatsvolk. Aus seiner Sicht gibt es gar keine Völker, nur Staatsvölker. Nun gibt es selbstverständlich Völker ohne Staat gerade so, wie es viele Völker in einem Staat geben kann. Die österreichisch-ungarische Monarchie war, Spanien ist ein Beweis dafür. Auch der neutrale Kleinstaat Österreich des Jahres 1975 beherbergt mehrere Völker, die sich — ungeachtet der Tatsache, daß sie von einem Teil der deutschsprachigen Mehrheit, aber auch von Funktionsund Würdenträgern diskriminiert werden — zum österreichischen Staat bekennen. Möglicherweise rührt der Ortstafelstreit in Kärnten aus den so diffusen Vorstellungen von Volk und Staatsvolk. Man wird daraus erkennen müssen, welche Wirkungen Begriffsverwirrungen über Staat und Volk und Staatsvolk anzurichten imstande sind.

Würde man der seltsamen Argumentation Bruno Kriskys weiter folgen, so hätte das österreichische Volk 1938 mit der gewaltsamen Okkupation durch das Deutsche Reich zu existieren aufgehört, denn schließlich gab es ja auch den Staat Österreich nicht mehr. Was dann 1945 entstanden ist, wäre ein völlig neues Volk in einem völlig neuen Staat. Mit dieser Argumentation gelingt es dem Bundeskanzler, der sich so gerne als Staatsvertragszeuge rufen hört, die Grundlagen des Staatsvertrages aus dem Jahre 1955 entscheidend zu durchlöchern. Denn darin wird auch davon ausgegangen, daß das österreichische Volk, als Schicksals- und Kulturgemeinschaft, zwischen 1938 und 1945 nicht zu bestehen aufgehört hat. Nur als staatliches. Gebilde ist Österreich im Dritten Reich untergegangen.

Ein jüdisches Volk gibt es dann nicht, wenn es auch kein österreichisches Volk gibt. Das eine bestreitet Kreisky, das andere etwa Friedrich Peter. Und sinnigerweise kämpfen sie heute vereint gegen Simon Wiesenthal, der sich zum jüdischen Volk und — als Staatsbürger — zum österreichischen Staat bekennt. Eine höchst merkwürdige Verbindung in einem sehr ungleichen Kampf, dessen Narben am österreichischen Volk und Staat haften bleiben, weil Weltpolitik und Weltpresse in Unkenntnis der Sachlage davon ausgehen müssen, daß Kreisky, Peter und Wiesenthal typisch für Österreich sind.

Kreiskys Argumentation paßt nicht in ein Bild, das er so gerne von sich gezeichnet sehen möchte: das eines sehr großen Staatsmannes Österreichs. Sie paßt auch nicht zu seiner üblichen Erscheinungsweise als ein passabler Mittler zwischen allen Arten von Interessen. Da ist ihm kein Wort zu scharf, kein Argument zu falsch und auch keine Moral zu fragwürdig, wenn das alles sein persönliches Verhältnis zu den Juden betrifft.

Lebte Sigmund Freud noch und hätte er Bruno Kreisky zu diagnostizieren, er würde wahrscheinlich zu dem Schluß kommen, daß der österreichische Bundeskanzler von einem „Haß“ auf sein „Vatervolk“ befallen ist. eine höchst seltsame Variante des Ödipuskomplexes?

Die FURCHE ist dreißig Jahre alt. Wie war die Welt doch anders, als dieses Blatt gegründet wurde?

Gewiß, das Jahr 1945 war materiell ein sehr, sehr-schweres Jahr. Aber im Rückblick erscheinen uns die Jahre 1945 und 1946 in durchaus positivem Licht, denn ihr geistiges und seelisches Klima war das einer großen Versöhnung der einst im Bürgerkrieg entzweiten, aber unter dem Druck des nationalsozialistischen Terrors einander nähergerückten weltanschaulichen Lager. Das geistige und seelische Klima der unmittelbaren Nachkriegszeit war das einer großen Umkehr, einer Läuterung, einer Einkehr.

Wahrscheinlich waren die Menschen guten Willens, waren alle jene Menschen, die den Frieden wollen, nie so eins mit sich selbst wie in jener kurzen Spanne Zeit zwischen der Befreiung und dem Ausbruch des Kalten Krieges, in jener kurzen Spanne Zeit, in der man noch glauben durfte, die Welt werde geläutert und verändert aus den Schrecken eines Blutbades, das allein in Europa 40 Millionen Menschenleben gekostet hatte, hervorgehen.

Den Geist der Versöhnung, der Besinnung und eines Neubeginns im Zeichen einer demokratischen Versöhnung ohne Aufgabe eigener Glaubens- und Überzeugungssubstanz hat die FURCHE vom ersten Tag an verkörpert. Sie verkörpert ihn auch heute noch, aber sie ist darüber keineswegs antiquiert geworden. Gerade die überaus besorgniserregende Entwicklung der letzten Zeit, weltweit, aber auch in Österreich, hat uns allen gezeigt, wie sehr wir eine Zeitung, deren Auftrag mancher vielleicht schon als erfüllt und erledigt betrachtet haben mag, noch immer brauchen.

Im Bewußtsein dieser ihrer Notwendigkeit wünsche ich als Obmann des Pressvereins „Herold“ der FURCHE Festigkeit — und ihren Freunden die Einsicht in die Unentbehrlichkeit dieses Blattes.

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