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Ökonomie im Sinn der Bergpredigt

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Der Wirtschafts-Hirtenbrief der Bischöfe der USA, Ausdruck besonderen gesellschaftspolitischen Engagements einer Kirche, liegt bald in letzter Fassung vor.

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Der Wirtschafts-Hirtenbrief der Bischöfe der USA, Ausdruck besonderen gesellschaftspolitischen Engagements einer Kirche, liegt bald in letzter Fassung vor.

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Unsere Beurteilung eines wirtschaftlichen Systems beruht darauf, was es für den Menschen tut, wieweit es den Menschen beeinflußt und bis zu welchem Grade es dem Menschen eine Teilnahme erlaubt. Vom Buch Genesis bis zu den Lehren Papst Johannes Pauls II. steht die Menschenwürde im Mittelpunkt, eine Würde, die von Gott und nicht von Nationalität, Rasse, Geschlecht oder irgendwelchen anderen menschlichen Qualitäten geschaffen wurde.

Die Erlangung der Bürgerrechte für Schwarze und Minderheiten erforderte langwierige Kamp-

f e, die gewiß als ein Ringen um die Menschenwürde betrachtet werden können. Ebenso sind seit Beginn der Industrialisierung und bis heute harte Kämpfe auf dem Arbeitsbereich geführt worden, um gerechtere und gesündere Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen für die Arbeiterklasse zu erlangen. Ebenso muß heute das Schließen von Fabriken und das darin enthaltene Reduzieren der menschlichen Kosten als eine Frage der Menschenwürde betrachtet werden.

Die Menschenwürde kann sich nur innerhalb der Gesellschaft entwickeln und wachsen. Dem Menschen muß die Möglichkeit, zu arbeiten und sich am wirtschaftlichen Leben zu beteiligen, gegeben sein. Wir benutzen oft die Wörter Beteiligung und Solidarität. Wir vermissen besonders in den USA das Bedürfnis, gemeinsame Bestrebungen und Ziele zu teilen und einen tieferen Sinn für das Allgemeinwohl zu entwik-keln.

Zu Beginn erscheint vielen das Prinzip des Allgemeinwohls als vage. Einige beschrieben es sogar als zu sozialistisch für ihren Ge-

schmack, obgleich sie mit uns darin übereinstimmten, daß es mit der Katholischen Soziallehre im Einklang war. Wir allerdings finden, daß das Prinzip in keiner Weise vage ist und glauben, daß es viele praktische Folgen hat. Bei einer Gegenüberstellung mit diesem Prinzip der Beteiligung gibt es zum Beispiel für Arbeitslosigkeit keine moralische Rechtfertigung. Wenn Millionen von Menschen arbeitslos sind, dann sind sie in der Tat einer Beteiligung, die für ihre Menschenwürde von lebenswichtiger Bedeutung ist, beraubt...

Wir wissen, daß die Bergpredigt und die Art, in welcher Jesus den Armen und Aussätzigen einen Sinn von Würde verlieh, in der Tat das ist, was wir in unserer heutigen Welt benötigen. Die Wirtschaft der USA ist dabei, eine ArtUnterklasse zu schaffen, der es klar wird, daß sie keine Zukunft hat und nicht in der Lage sein wird, Teil dieses großen wirtschaftlichen Fortschrittes, der die Nation seit mehreren Jahrzehnten charakterisiert, zu werden.

Gleichzeitig fordern wir uns selbst als Bürger heraus, über die wirtschaftlichen Rechte nachzudenken ... Unser Hirtenbrief versucht, diese Rechte kritisch zu untersuchen und herauszufinden, wie sie in einer Gesellschaft garantiert werden können.

Zu Beginn stießen wir mit diesem Konzept auf Widerstand. Ei-

nige dachten, daß es zu einem Staatswirtschaftssystem führen könne, wenn der Staat alle diese Rechte zu garantieren hätte. Wir haben nicht behauptet, daß es Aufgabe des Staates ist, diese Garantien zu geben, sondern, daß die Gesellschaft als solche versuchen muß, diese wirtschaftlichen Rechte zu garantieren — die Regierung durch ihren Versuch, die Arbeitslosigkeit auf ein Minimum zu reduzieren, und der Privatsektor durch seinen Versuch, neue Arbeitsplätze zu schaffen und den Arbeitnehmer entsprechend für diese Stellungen anzulernen.

In Gottes Abkommen mit den Menschen sehen wir auch, daß man die Armen und Machtlosen mit besonderer Sorgfalt behandelte. Sie wurden zu einem wirklichen Test der gesellschaftlichen Gerechtigkeit. Genau diese Sorge um die Ärmsten der Gesellschaft kennzeichnete die Mission und Lehre Jesu. Um dieser Sorge um die Armen Ausdruck zu verleihen, sprechen wir heute von „der vorrangigen Option für die Armen“. Es ist wichtig, dem Menschen klarzumachen, daß diese Sorge immer christliche Nächstenliebe und Hilfe umfaßt.

Gleichzeitig muß diese Sorge aber auch zur Bildung einer gerechten Gesellschaft führen. Wir sprachen somit von einem Sicherheitsnetz, durch welches niemand in der Gesellschaft hindurchfallen sollte. Es ist oftmals schwer

für den Menschen, seine Verpflichtungen gegenüber der Gerechtigkeit und nicht nur gegenüber der Nächstenliebe zu verste-

hen. Es ist für die Menschheit schwierig, zu erkennen, daß manchmal eine Systemänderung erforderlich ist, damit den Grundbedürfnissen der Menschen Genüge getan werden kann. Auch haben wir festgestellt, daß es für den Menschen noch schwieriger ist, sich klarzuwerden, daß sich diese Sorge um die Armen über seine Welt hinaus erstrecken und zu einem Prüfstein der von uns entwickelten internationalen Richtlinien werden muß.

Somit haben wir die für unser eigenes Land als Prioritäten geltenden Grundsätze auf den internationalen Bereich übertragen. Wir erkennen, daß sich dieser Augenblick der Geschichte beson-

ders durch eine gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit auszeichnet und versuchen, diese Erkenntnis an die Bevölkerung weiterzugeben. Wir sind uns bewußt, daß wir keiner leichten Aufgabe gegenüberstehen, aber wir glauben, daß es in diesem Moment der Geschichte unbedingt erforderlich ist.

Der Autor ist Erzbischof von Milwaukee und Vorsitzender des für die Erstellung des Wirtschafts-Hirtenbriefes zuständigen Komitees. Auszug aus dem Entwurf für seine Vorträge am 5. und 6. Juni in Graz und Linz.

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