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Ökonomie tötet die Religion

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Wirtschaftliche Sachzwän-ge bewegen die Manager-nur selten sind es ethische Motive: Eine umfassende Befragung zeigt auf, wodurch Führungskräfte motiviert werden.

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Wirtschaftliche Sachzwän-ge bewegen die Manager-nur selten sind es ethische Motive: Eine umfassende Befragung zeigt auf, wodurch Führungskräfte motiviert werden.

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Wenn Sie an Ihren beruflichen Erfahrungsbereich denken: Wie schwierig ist es da, ethische Grundsätze und Haltungen zu verwirklichen? Diese war eine der wichtigen Fragen, die in mehrstündigen Einzelinterviews mit Führungskräften der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kirche im Jahre 1985 in der Bundesrepublik Deutschland gestellt worden waren. Thema war das Verhältnis von Wirtschaft und Religion.

Wirtschaft und Religion bzw. Ethik stehen — wie der im Kasten wiedergegebene Gesprächsausschnitt aus der Untersuchung zeigt — in einer bedrängenden

Spannung zueinander. Aufgrund der Untersuchungsdaten läßt sich die religionssoziologisch weitreichende These formulieren, daß die in unserer Gesellschaft garantierte Religionsfreiheit im wirtschaftlichen Raum faktisch nicht lebbar ist.

Und so kommt diese „Widerrufung der Religionsfreiheit“ in der Wirtschaft zustande: Zunächst ist davon auszugehen, daß in unseren hochmodernen Gesellschaften sich die wichtigen Lebensfelder „verselbständigt“ haben. Unterscheidbar sind der private und der öffentliche Lebensraum, hier wiederum der Bereich Wirtschaft, Bildung, Kirchen, Politik.

Für jeden dieser gesellschaftlichen Bereiche haben sich komplexe Strukturen entwickelt, die ihre eigenen „Gesetzlichkeiten“ haben. Grundsätzlich ist zudem davon auszugehen, daß durch diese eigenwilligen Denk- und Handlungsmuster in den einzelnen Institutionen der Gesellschaft die Menschen geformt werden, zumindest dann, wenn sie sich auf dem Feld dieser Institution aufhalten.

Wer sich daher auf dem gesell-

schaftlichen Feld der Kirchen bewegt, entwickelt ein entsprechendes „religiöses Bewußtsein“. Wer sich hingegen auf dem Feld der Ökonomie aufhält, bei dem wird ein „ökonomistisches Bewußtsein“ begünstigt.

Von diesem theoretischen Rahmen ausgehend, haben wir (Franz Xaver Kaufmann, Soziologe aus Bielefeld, Walter Kerber SJ, Sozialethiker aus München, und ich als Pastoraltheologe aus Wien) studiert, wie sich religiöses und ökonomistisches Bewußtsein zueinander verhalten.

Dabei sind wir auf eine beträchtliche Konfliktaufladung gestoßen: sechs Prozent erleben häufig, 42 Prozent manchmal Konflikte. Dabei sind die Konflikte bei Personen in Industrie und Gewerbe sowie in privaten Dienstleistungen stärker als in öffentlich-rechtlichen Körper-

schaffen, in der Wissenschaft oder im Bildungs- und Kunstsektor.

Bei diesen Zahlen ist allerdings mitzubedenken, daß die Bewußtseinslage (Konfliktwahrnehmung) bereits das Ergebnis einer „Bewußtseinspolitik“ ist. Aus den 2000 Seiten Text, den rund 50 Einzelinterviews konnten typolo-gisch fünf „Wege“ der Konfliktbewältigung zwischen Wirtschaft und Religion herausgearbeitet werden:

• Rückzug: Ein Manager berichtete, daß er seinen Betrieb verließ, weil er die Gewissenskonflikte nicht mehr durchstehen konnte. Allerdings ist der Rückzug vom Beruf die eher seltene Ausnahme. Die meisten ziehen sich von der Religion zurück.

Dabei konnte die Studie global zeigen, daß der Rückzug geschichtlich in zwei Etappen er-

folgt ist: Zunächst war es der Rückzug von der Kirche, die ja religiöse Orientierungen einmahnte. Dabei entstand eine Art außerkirchlicher, allgemeinreligiöser Orientierung, die noch eine starke Gemeinschaftsorientierung aufweist.

Die zweite Etappe führt auch von dieser allgemein-religiösen Orientierung weg zu jener Grund-

haltung, die in der Studie als Opportunismus gefaßt werden konnte. Hier zählt nur noch das, was für die eigene Person herausschaut. Religion steht zu dieser Haltung ebenso im Gegensatz wie Gemeinwesenorientierung.

Es ist bemerkenswert, daß die überwiegende Mehrheit der Führungskräfte unter 30 opportunistisch ist. Religion ist bei ihnen ebenso selten wie Gemeinschaftsorientierung. Der dominante Typ ist also in einer transzendenz- und gemeinschaftsarmen Weise opportunistisch.

Für eine Zeit mit einem enormen Bedarf an Solidarität und Ausweitung der Transzendenzreichweite ist dies ein tragisches Ergebnis.

• Umdeutung: Dem Konflikt zwischen Religion und Wirtschaft entgehen einige dadurch, daß sie die Religion umdeuten. Sie wird

verinnerlicht, ist Quelle persönlichen Trostes.

Gesucht wird dann Ruhe, Meditation, schöne Musik, das Beschauliche; als der Religion feindlich wird das Politische angesehen. Wo Religion so umgedeutet wird, wirkt sie auch nicht mehr als Herausforderung für das berufliche Verhalten.

• Trennung: Verbreitet ist der Versuch, Religion und Wirtschaft sauber zu trennen. Religion wird dann dem privaten Lebensraum, den Kindern und der Familie zugewiesen. Der Raum der Wirtschaft wird von ihr abgesondert.

Dies verlangt bei den Personen einen hohen Grad an Flexibüität: Diese ist allerdings bei den Menschen in einer pluralistischen Gesellschaft ohnedies gut ausgebildet

Allerdings geben die Daten Anlaß zum Zweifel, ob diese Trennung faktisch auch durchhaltbar ist. Es zeigt sich, daß das ökonomistische Bewußtsein in der betroffenen Person, die diese Bewußtseinspolitik wählt, „ausufert“ und andere Bewußtseinsbereiche (wie jenen der Religion) beeinflußt.

Zudem greift das ökonomistische Bewußtsein nachweislich auch auf andere Lebensbereiche über: auf die Familie, die Freizeit, die Kirchen, die Politik. Die Unterscheidbarkeit verschiedener gesellschaftlicher Bereiche (Wirtschaft, Familie, Religion) darf somit nicht gleichgesetzt werden mit deren Trennung.

Vielmehr deuten die Daten darauf hin, daß der wirtschaftliche Bereich und sein ökonomistisches Bewußtsein im Gefüge der Institutionen unserer (daher zu Recht so genannten) Wirtschaftsgesellschaft dominieren.

Das bedeutet, daß Grundhaltungen wie zählbarer Erfolg, Gewinnen, Obensein überwiegen. Andere für menschliches Leben wichtige Haltungen hingegen, wie spielen, leiden, trauern werden unterdrückt - und dies zum Schaden vor allem der Männer, aber auch der Familien, der Kirchen und der Politik.

• Leiden: Wir stießen in den Interviews auf einzelne Menschen, die den Widerspruch zwischen manchen (nicht allen) Einstellungen und Handlungsmustern der Wirtschaft und der Religion schmerzlich erleben, aber meinen,

dagegen nichts machen zu können. Ein Gefühl von Ohnmacht, Ausweglosigkeit, Tragik, unentrinnbarer „Erbschuld“ bewegt diese Personen.

• Kampf: Einige von ihnen setzen ihr Leiden nicht in Resignation, sondern in Kampf um. Dies gelingt ihnen umso leichter, je mehr sie sich mit anderen Leidenden solidarisieren.

Damit gelangen wir zu dem Anliegen, das den Auftraggeber der Studie, den Arbeitskreis für Führungskräfte in der Erzdiözese München, zur Vergabe der aufwendigen Forschung bewogen hat: Was könnte ein Kreis von Christen in der Wirtschaft tun, um in ihr die vermenschlichende Kraft der Religion gegenwärtig zu erhalten? „Bewußtseinslaboratorien“ drängen sich auf.

In diesen sollten jene Führungskräfte zusammenkommen, die an den Konflikten leiden und die den Wunsch hegen, sie schöpferisch abzubauen. Solche Arbeit wird dabei nicht sosehr auf einen raschen Abbau des Leidensdrucks drängeh: Auf diesem Weg würde ja aus dem Trost der Religion lediglich Vertröstung.

Vielmehr wäre der Sinn solcher von den Kirchen zu inszenierenden Bewußtseinslaboratorien, die Anforderungen der heutigen Wirtschaft mit den humanisierenden Visionen des Evangeliums in Beziehung zu setzen. Dadurch würden jene persönlichen Kräfte gestärkt, welche mehr Widerstand gegen die entmenschlichenden Kräfte unserer auf materiellen Erfolg (statt auf menschliche Entfaltung) ausgerichteten Wirtschaft ermöglichen.

Ob freilich solche Bewußtseinslaboratorien angesichts der gesellschaftlichen Konfliktvermeidungstendenzen von konfliktbelasteten Führungskräften auch genutzt würden, kann nicht vorhergesagt werden. Für die Menschen unserer Zeit, vor allem für die Männer, aber auch für die Entwicklung unserer Gesellschaft wäre es jedenfalls gut.

ETHOS UND RELIGION BEI FUHRUNGS-KRÄFTEN. Von Franz Xaver Kaufmann, Walter Kerber und Paul M. Zulehner. Kindt Verlag, München 1986. Erscheint demnächst

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