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Ökonomischer Teufelskreis

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Kaum hatte das Militär auf ihr > Geheiß die Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz blutig niedergeschlagen, beeilten sich die politischen Machthaber Chinas zu versichern: die wirtschaftliche Reform- und Öffnungspolitik wird ungebrochen fortgeführt. Das westliche Ausland reagierte dennoch höchst beunruhigt auf das Massaker, legte Kredite und Besuchsdiplomatie auf Eis. Eine weitreichende Isolierung des Reichs der Mitte vom Westen war die Folge.

Heute, kaum vier Monate nach dem Tiananmen-Massaker, sieht sich China mit einer ernsten Wirtschaftskrise konfrontiert. Der Tourismus ist abgesackt, die Devisen schrumpfen, das Investitionsklima ist schlecht, private wie staatliche Betriebe gehen reihenweise bankrott. Die Führung in Peking zieht eine Revision der Reformpolitik in Erwägung. Ein Teufelskreis.

Die EG-Staaten, die USA und Japan setzten nach dem Blutbad von Peking Kredite in Milliardenhöhe aus. Chinas Mächtige, allen voran Spitzenpolitiker Deng Xiaoping, gabensich trotzig. Sanktionenkönn-ten China keine Angst einjagen.

Die Fakten sprechen allerdings eineandereSprache.Diepolitischen Ereignisse haben den China-Boom gedämpft. Das Ausland hält sich bei Investitionen und Joint-Venture-Beteiligungen zurück. Mißtrauisch wird die Zahlungsfähigkeit der Volksrepublik beäugt, in deren Devisenbestand der rückläufige Fremdenverkehr ein großes Loch gerissen hat.

Nolens volens lehnt sich China wieder stärker an die andere Supermacht UdSSR an. Rege Besuchskontakte auf hoher Ebene wurden geknüpft. Kreml-Führer Michail Gorbatschow entsandte kürzlich Vizepremier A. Lukjanow nach Peking und lud den neuen Parteichef Jiang Zemin nach Moskau ein.

Aber nicht nur Staatsbesuche von Rang, sondern auch das devisenträchtige Fußvolk blieb aus. Nach den Juni-Ereignissen waren die Pekinger Ausländer-Hotels nur zu 30 Prozent belegt. Die beiden chinesischen Fluglinien senkten ihre Preise auf den Hauptinlandsrouten um 20 Prozent, um den Umsatz anzukurbeln

Die chinesische Führung will ungeachtet dessen an ihrem 1988 verabschiedeten Sparprogramm festhalten. Eine Sanierung erhoffen sich die Experten von der Förderung industrieller Schlüsselprojekte auf dem Transport- und Energiesektor. „China Daily“ schiebt den „sozialen Unruhen“ vom Frühjahr die Schuld an der Misere in die Schuhe. Die Sparpolitik, die mit Subventionskürzungen für bestimmte Industrien und zunehmendem Rohstoffmangel einhergeht, lindert die Lage nicht. Bei Konsumgütern liegt die Inflationsrate zwischen 30 und 40 Prozent

Eisern will der Staat auch seine Auslandsschulden in Höhe von 42 Milliarden Dollar zurückzahlen. Die im Sommer verfügten Importsperren s ind nach Ansicht von Beobachtern ein Indiz für eine ernstere Krise als vorerst angenommen. Anstelle einer Ankurbelung der Exportwirtschaft wurde die Einfuhr bestimmter Produkte wie elektronischer Geräte und westlicher Autos untersagt. Das Handelsdefizit Chinas betrug im ersten Halbjahr 1989 nach der Zollstatistik vom August etwa 3,8 Milliarden Dollar. Die Importe stiegen um 26, die Exporte um nur sechs Prozent.

In ganz China sind Tausende private Handelsgesellschaften von der Schließung bedroht. Diese Betriebe, mittlerweile an die 290.000, galten als eine der Haupterrungenschaften der chinesischen Reformpolitik. Nun aber wird der Firmenboom als ungesunder Trend kritisiert. Ein Großteil der insgesamt etwa 14,5 MillionenPrivatuntemeh-men der Volksrepublik wird derzeit nach Steuerhinterziehern durchkämmt. Etwa zehn Prozent müssen wegen illegaler Praktiken wahrscheinlich schließen.

Die von Partei und Regierung geführten, mit politischen Privilegien ausgestatteten Betriebe haben noch mehr Grund zum Zittern. Nach einem Untersuchungsbericht des Wirtschaftsministeriums sind 90 Prozent dieser Betriebe in illegale Transaktionen verwickelt. Ihre korrupten Manager waren nicht ohne Grund ein Hauptangriffsziel der Studentenbewegung.

Dieser Tage lancierte das Parteiorgan „Renmin Ribao“ eine ernste Warnimg. Veränderungen in Teilbereichen seien trotz des prinzipiellen Festhaltens am Reform- und Öffnungskurs nicht auszuschließen, hieß es. Es gelte, gegenüber „feind-' liehen Kräften des Kapitalismus“ wachsam zu sein.

Der Tod des alten starken Mannes Deng, mit dem in absehbarer Zeit gerechnet werden muß, wird vermutlich einen erbitterten Machtkampf auslösen Eine Fortsetzung des Reformkurses wird auch davon abhängen, ob sich in der Partei die nicht der Säuberung zum Opfer gefallenen Reformer durchsetzen können. Auf lange Sicht wird die Rechnung-wirtschaftliche Öffnung ja, demokratische Öffnung nein — jedoch nicht aufgehen. Tiananmen war noch nicht der letzte Akt.

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