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Ökumene: Einheit in der Vielfalt

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Ein Kennzeichen der katholischen Kirche besteht darin, daß sie behauptet, einzig und allein im Vollbesitz der von Christus geoffenbarten Wahrheit zu sein. Bis wohin kann diese Kirche in der Anerkennung eines Pluralismus gehen, ohne sich selbst zu verleugnen oder aufzulösen, aber indem sie doch einer gewissen historischen Zufälligkeit der konkreten Formen ihres Denkens und Kultes, ihrer Sakramente und Strukturen - im Verhältnis zur Transzendenz ihres „Gründungsereignisses" - bewußt wird? Zu welchen Opfern ist diese Kirche bereit?

Oder anders: Wir beobachten den unbeugsamen Widerstand der getrennten Kirchen gegenüber einer Wiedervereihigung, die eiher Absage an ihre jeweüigen Traditionen gleichkäme. In welchem Maße und unter welchen Bedingungen ist noch eine Hoffnung möglich auf eine echte Ökumene, eine Gemeinschaft im Heiligen Geist, die auf die gegenseitige Achtung vor dem jeweiligen kulturellen Eigengut gegründet ist?

Mit der gebotenen Vorsicht möchte ich folgende Anregungen machen: Es gibt einen schlechten Pluralismus, der letztlich in Zersetzung und Anarchie endet. Es gibt aber auch eine abstrakte, rein logische Pseudo-Ein-heit, die in totalitäre Starrheit und in einer Unterdrückung der Freiheiten abgleitet.

Die echte Einheit ist vielfältig, sie ist beseelt von einer dynamischen Dialektik interner Beziehungen, sie gründet auf Demut und Nächstenliebe: Sie lehnt es ab, zur Uniformität zu entarten und weiß die vorhandenen Unterschiede zu respektieren.

Die ganze Geschichte des Christentums illustriert dieses Prinzip. Weil sein Geheimnis göttlich und daher unerschöpflich ist, hat sich das Christentum von Anfang an - wie das

Neue Testament bezeugt - in verschiedene, komplementäre Theologien aufgegliedert.

Dasselbe Phänomen hat sich im Laufe der Kirchengeschichte wiederholt: in der Exegese, der Theologie, der Spiritualität, in den Pastoral-und Apostolatsmethoden und speziell in den Grundoptionen des Ostens und des Westens.

Die Überwindung der Unterschiede in der Sakramentenlehre ist nur ein Aspekt eines allgemeinen Problems, das sich der katholischen Kirche stellt. Es geht dabei um eine interne Entwicklung, nicht im Sinne von Zersplitterung und Auflösung; sondern im Sinne einer neuen Formel, der gemäß der römische Bischofssitz - seiner alten Tradition des „Vorsitzes in der Liebe" treu - vor allem der lebendige Vermittler einer gegenseitigen Verbindung von Kirchen wäre, deren kulturelle Eigenart und deren Entscheidungsspielraum anerkannt wären.

Uber die bestehenden Vorurteile und Animositäten hinaus, so scheint mir, könnten die gegenwärtig noch „getrennten" Kirchen die Notwendigkeit eines Mittelpunktes der Einheit akzeptieren, der symbolisch durch einen einzelnen verkörpert wäre: den historischen Erben des Petrus, dem die Aufgabe, „seine Brüder zu stärken" (Lk 22, 32) und die Hirtenverantwortung für die Herde (Joh 21, 15-17) anvertraut wurden.

Die Autorität dieses Mannes bestünde - in kollegialer Einheit mit dem Bischofskollegium - in einem Amt des Dienstes: ihm wäre aufgetragen, durch seine Interventionen in Wort und Tat flagrante Irrtümer abzuwehren, als Zeuge für die authentische Tradition die Wahrheit zu verkünden, der Tendenz zur Zersplitterung entgegenzuwirken und schließ-

lieh die Einmütigkeit der Geister und der Herzen zu fördern.

Diese Ökumene erscheint als eine Aufgabe, die der Freiheit gestellt ist. Dem Christentum kann an einer Haltung verkrampfter Starrheit nichts gelegen sein, aber ebensowenig an einer Auflösung seiner intellektuellen und rechtlichen Strukturen oder an einer Verständigung auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners. Aber diese Ökumene impliziert auch Spannungen, ohne jedoch bis zum Konflikt zu gehen.

Wie R. Hotz unter Hinweis auf die jüngsten Entwicklungen in der katholischen Kirche im Bereich der Sakramente zeigt, sind wir - wenn auch im Schneckentempo - auf dem Weg zu diesem Pluralismus. Es bleibt zu hoffen, daß auch die Kirchen des Ostens eine entsprechende Aufgeschlossenheit an den Tag legen werden.

Die Frage der Sakramente würde so eine Lösung auf breiter Ebene initiieren und wäre Beginn und Vorwegnahme einer echten gegenseitigen Anerkennung. Im übrigen verläuft die ganze kulturelle Mutation der Gegenwart deutlich im Sinne des Respekts vor verschiedenen Ausprägungen des Lebens und Denkens, im Sinne der Anerkennung eigenständiger Partikularkulturen.

Schließlich sieht es so aus, als würde die römische Kirche - jedenfalls aus sozialer Sicht - immer mehr zu einer gesellschaftlichen Gruppe unter anderen, die zusammen mit anderen dem Geheimnis des Evangeliums in seiner Transzendenz zu dienen hat. Diese Armut, dieser Machtverlust sind Züge, die zu der paradoxen Neuheit des Evangeliums gehören, die also Zeichen der Wahrheit sind.

(Auszug aus „Orientierung" vom 15. 9. 1979)

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