7023625-1989_03_03.jpg
Digital In Arbeit

Öl, Juden und Deutsche

Werbung
Werbung
Werbung

Viel hat er zu erzählen, der langjährige Chef der rumänischen Auslandsspionage und Staatssekretär im Bukarester Innenministerium, Ion Mihai Pace-pa. Von Staats- und Parteichef Nicolae Ceausescu weiß er zu berichten, daß der zur Sanierung seines „osteuropäischen Armenhauses“ die Devise ausgibt: „Wir haben dem Westen dreierlei zu verkaufen: öl, Juden und Deutsche.“ Mit den Juden und den Deutschen treffe man zwei Fliegen mit einer Klappe: Man werde sie los und kassiere noch dafür.

Der größte Teil der Kopfgelder, so der Ex-Geheimdienstler weiter - er ist mittlerweile zu den Amerikanern übergelaufen und soll unter neuer Identität in den USA leben -, liefe auf ein Konto des Ceausescu-Clans in der Schweiz.

Überraschender noch als die Enthüllungen ist der Ort, an dem das alles aufgewärmt wird: Ein kommunistisches Verlagshaus in Budapest bereitet gerade Pacepas Erinnerungen als Bestseller vor. Unter dem Titel „Roter Horizont“ wollen die ungarischen Kommunisten „Ceausescu als Tyrannen und Stalinisten entlarven“, wie ein Mitarbeiter des Verlagshauses „Europa kiado“ erklärte.

Und um der Bevölkerung schon einen Vorgeschmack auf das „Innenleben der Ceausescu-Dikta-tur“ zu vermitteln, erschien zur

Jahreswende ein 62seitiger Vorabdruck im Budapester „Museums-Verlag“, ein Sonderheft, das selbst unter der Hand kaum mehr zu bekommen ist.

Denn Pacepa,*ein waschechter Rumäne und sicher kein Freund der mehr als zwei Millionen zählenden ungarischen Minderheit Siebenbürgens, plaudert aus, was jedem Ungarn auf den Nägeln brennt: Wie Ceausescu seine repressive Minderheitenpolitik gegenüber den „mitwohnenden Deutschen, Juden und Ungarn rumänischer Nation“ zu erklären versucht.

„Warum sollen wir nicht genau das gleiche tun wie Breschnew“, soll der fanatische Nationalist Ceausescu seine Maßnahmen gegen die nationalen Minderheiten begründet haben. Breschnew, das weiß Ceausescu, vertrieb einst als Parteichef der Sowjetrepublik Moldau - das ist jenes Gebiet, das sich die UdSSR nach dem Zweiten Weltkrieg einverleibte - mehr als eine Million Rumänen nach Sibirien. Eine „Landnahme“, die der Conducatore nie verkraftet haben soll und worin ein Grund für das trotzige Verhalten in einer von Moskau unabhängigen Außenpolitik und heute ein Sträuben gegen Glasnost-Anzeichen des Großen Bruders zu sehen sei.

Diese Argumentation scheinen die kommunistischen Genossen in Ungarn mit dem Ex-Geheimdienstchef zu teilen. So erlaubten sie am 2. Jänner den Abdruck einer Flugschrift der „Multumeste Romania Libera“ (Bewegung für ein freies Rumänien) im „Magyar Nemzet“.

Der Sprecher dieser Bewegung, Mircea Bajan, der kein Hehl daraus macht, daß es ihr um den Sturz des Ceausescu-Regimes geht, erklärt in diesem Flugblatt, daß nur eine weltweite Isolation dem Bukarester Regime ein Ende bereiten könne.

Tausende rumänische Staatsbürger, mehrheitlich Angehörige der ungarischen Minderheit, flüchten seit Monaten ins benachbarte „Bruderland“ Ungarn, um der Armut und der Repression zu entkommen. Es sei-deshalb not-

wendig, daß die ungarischen Behörden diese Menschen nicht ausliefern — nach offiziellen Angaben widerfuhr 1.400 Personen im vergangenen Jahr dieses Schicksal -, sondern sie als politische Flüchtlinge anerkennen, heißt es in der Flugschrift.

Verständnis hat Bajan für die Pläne der ungarischen Regierung, möglicherweise ein Auffanglager für Flüchtlinge einzurichten, da von Bukarester Seite unter den Flüchtlingsströmen mehr und mehr Provokateure eingeschleust würden. Ein Strom von 10.000 Verzweifelten, wie die Zahlen des Innenministeriums sagen, oder von mehr als 30.000, wie politische Beobachter glauben, überschwemmte im vergangenen Jahr Ungarn.

Und ein Ende ist nicht abzusehen, da Rumänien , jeden Prozeß der Freizügigkeit und Wahrung der Menschenrechte sabotiert“, wie sich das Parteiorgan „Nėps-zabadsäg“ in einer bisher kaum gekannten Deutlichkeit vor kurzem ausdrückte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung