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Österreich forciert das EG-Tempo
Hochsaison für Zehn-Punkte-Programme: Bundeskanzler Helmut Kohls realutopischer.Versuchsbal-lon in Richtung Wieder- oder Neuvereinigung hat in kurzer Zeit deutschlandpolitisch erstaunlich viel ausgelöst. Viel bewegen möchte auch Außenminister Alois Mock mit einem Zehn-Punkte-Programm „für die weitere Vorgangsweise Österreichs in der EG-Politik".
Eine neue EG-Offensive ist angesagt - sechs Monate nach dem offiziellen Beitrittsansuchen Österreichs in Brüssel und unter völlig veränderten Umständen in Gesamteuropa.
Realutopien von einem „gemeinsamen Haus Europa" (Gorbatschow) oder Vorstellungen, die EG sei durch die Ost-Revolutionen bereits überholt (so der zur Zeit in Wien weilende CSSR-Premier Marian Calfa), werden auf ihren Platz verwiesen: Das politisch Machbare löst Visionen ab, jetzt, da jahrzehntelange Visionen Wirklichkeit wurden. Der Bau eines völlig neuen Europa wird „politisch kreativen Menschen fernerer Generationen" (Mock) zugewiesen. Der KSZE-Prozeß gibt in diesem Konzept bestenfalls die Hintergrundmusik ab.
Die gesamteuropäischen Entwicklungen begünstigen sicherlich Österreich als EG-Kandidaten, nun geht's um Handfestes. Mitgestalten, nicht gestaltet werden, ist Österreichs Option. Mocks Zehn-Punkte-Programm bekräftigt diesen Willen Schlag auf Schlag.
An alle zwölf EG-Staaten ergehen Memoranden, die Teilnahme Österreichs an bestimmten Integrationsbereichen wie Europäische Politische Zusammenarbeit, Wissenschaft und Forschung sowie europäische Währungsunion wird forciert. Die Schaffung eines Presse-Offices und eines Österreich-Hauses in Brüssel, desgleichen die Verstärkimg der EG-Missionen in den EG-Ländern sind weitere Schritte zur Vollmitgliedschaft.
Das Tempo des österreichischen EG-Zuges wird enorm beschleunigt. Mit unterschiedlichen Schattierungen ist man im Außenamt überzeugt, daß sowohl von der Verhandlungsmaterie wie vom zeitlichen Ablauf her die Chancen, rasch zum Ziel zu gelangen (Verhandlungsbeginn noch vor dem 1. Jänner 1993, Mock glaubt sogar noch an heuer), so günstig sind wie nie. Sozioökonomische Probleme hatte Österreich mit der EG ja kaum. Die Neutralität als Verhandlungsmaterie ist ohnehin obsolet, wenn der EG-Kommissionspräsident Jacques Delors sogar die Assoziierung des Warschauer Pakt-Staates DDR für möglich hält.
Österreich verlagert sein Gewicht westwärts. Topographisch wie politisch glich das Land bisher einer Chianti-Flasche: Bauch und Gewicht lagen im Osten, nur ein Finger wies in den Westen (dieses Bild wurde dieser Tage auf der Botschafterkonferenz in Wien gezeichnet). Jetzt muß hinzugefügt werden, daß die Öffnung der Flasche im Westen liegt.
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