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„Österreich über alles, wenn es nur will'

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1980 ist ein österreichisches Jubiläumsjahr, was mit den Staatsvertragsfeiern am 15. und 16. Mai auch gebührend gewürdigt worden ist, wobei die historischen Zusammenhänge der österreichischen Geschichte nicht erst seit dem Jahr 1945, sondern bereits seit 1918 dargestellt wurden.

Es ist erfreulich, daß insbesondere die in der österreichischen Innenpolitik durch Jahrzehnte hindurch kontrover-siell behandelten Ereignisse der Jahre 1927 und 1934 in zunehmendem Maße objektiv dargestellt werden, wenngleich natürlich bürgerkriegsähnliche Situationen festverankerte, in eigenem Erleben begründete unterschiedliche Auffassungen nicht verwischen lassen.

So erscheint es angebracht, gewissermaßen im Rückblick auf die Staats vertragsfeiern auch ein paar Worte über Engelbert Dollfuß zu sagen, dessen gewaltsamer Tod sich am 25. Juli wieder jährt. Das ist deshalb zweckmäßig, weil man nicht vergessen sollte, daß das heute allgemeine und völlig unbestrittene Bekenntnis zu Österreich seine Wurzeln in dem von Engelbert Dollfuß wiederaufgegriffenen alten Motto „Österreich über alles, wenn es nur will!” hat.

Wie war es damals? Die ständig zunehmende Aggression des deutschen Nationalsozialismus, unterstützt von einem Teil der österreichischen Bevölkerung, der etwa ein Fünftel der Österreicher von damals umfaßte, sowie die scharfe Opposition des sozialdemokratischen Teiles gegen die bürgerliche Regierung stellten diese vor schier unlösbare Probleme, die mit den Ereignissen vom 12. Februar 1934 ihren makabren Höhepunkt fanden.

Die Tragik des Engelbert Dollfüß lag darin, daß dieser von glühendem Patriotismus erfüllte Mann die ganze Macht des Staates gegen seine politischen Gegner einsetzen mußte. Wer Dollfuß kannte, wußte, daß niemand mehr darunter gelitten hat als er. •

Wie prekär die Situation der Republik Österreich damals war, sollte sich schon fünf Monate später zeigen, als der zweite Aufstand des Jahres 1934, der von der Berliner Regierung geschürte nationalsozialistische Putschversuch, Österreich an den Rand des Abgrundes brachte. Sein Opfer war Engelbert Dollfuß. Daß er es wurde, lag nicht zuletzt an der Unsicherheit und Verwirrung, die für diese ganze Zeit kennzeichnend waren.

Wie wir heute wissen, war die von den Putschisten geplante und dann auch durchgeführte Besetzung des Bundeskanzleramtes überhaupt nur möglich, weil von den zuständigen Stellen der staatlichen Exekutive die Meldungen über die Vorbereitung des Uberfalles auf das Kanzleramt nicht rechtzeitig zur Kenntnis genommen wurden. Schon um 9 Uhr vormittag dieses 25.

Juli bemühte sich ein Gendarmeriebeamter, der zu den Putschisten gehörte, dann aber von Gewissensbissen geplagt wurde, eine Meldung über das, was geschehen sollte, an den Mann zu bringen.

In einer unvorstellbar leichtsinnigen Weise wurde diese Meldung nicht ernst genommen. Fünf Stunden später, als sich endlich einige Gerüchte bis ins Bundeskanzleramt durchgesprochen hatten, wurde nicht mehr veranlaßt als ein vorzeitiges Ende des Ministerrates.

Der Bundeskanzler blieb jedoch mit den für das Sicherheitsressort zuständigen beiden Regierungsmitgliedern Fey und Karwinsky völlig schutzlos in seinem Büro. Eineinhalb Stunden später fielen die beiden Schüsse, die Engelbert Dollfuß töteten.

Aber auch die Verwirrung auf Seiten der Putschisten war groß. Während das Kanzleramt von der Exekutive bereits vollkommen eingeschlossen und für die Putschisten keinerlei Chance mehr für einen Erfolg ihrer verbrecherischen Absichten gegeben war, wartete der als neuer Bundeskanzler vorgesehene Anton Rintelen noch immer im Hotel Imperial auf seine feierliche Einholung. Daß dieser Hochverräter bis zu dieser Stunde überhaupt völlig ungeschoren bleiben konnte, zeigt deutlich die damaligen Verhältnisse auf.

Rintelen, der früher einmal steiri-scher Landeshauptmann gewesen war, war damals österreichischer Gesandter in Rom. Wie wenig hat man sich doch um den wahren Charakter dieses Individuums gekümmert! Hätte man es getan, so hätte er nie eine so wichtige Position einnehmen können!

Kurt von Schuschnigg übernahm das schwerste Erbe, das jemals ein österreichischer Regierungschef zu übernehmen hatte. Seine Politik war ausschließlich von dem Bemühen getragen, die österreichische Unabhängigkeit zu bewahren. Es war schon immer klar, daß Österreich dieses Ziel aus eigener Kraft nicht erreichen konnte. Dies umso weniger, als die Großmächte damals außer verbalen Beteuerungen keinen Finger für die österreichische Unabhängigkeit rührten.

Es war einzig und allein Mussolini, der aus wohlverstandenem italienischem Interesse die Unabhängigkeit Österreichs unterstützte. Aber auch diese Phase der europäischen Politik fand ihr Ende, als der italienische Diktator nach seinem Besuch bei Hitler im Jahre 1935 auf dessen Linie einschwenkte.

So blieb Schuschnigg nur mehr die Politik auf Zeitgewinn. Das Abkommen vom Juli 1936, das die meisten Österreicher nicht verstanden, gehörte dazu.

Die von den Großmächten betriebene Appeasementpolitik war jedoch stärker. Schon von der Besetzung des

Rheinlandes angefangen über die deutsche Aufrüstung und alle anderen Fakten, die von Berlin gesetzt wurden, wurde einfach alles zur Kenntnis genommen.

Schuschniggs Gang nach Berchtesgaden am 12. Februar 1938 war dann der letzte Versuch, Zeit zu gewinnen.

Nicht umsonst befand sich damals auch der Oberkommandierende der deutschen Wehrmacht auf dem Obersalzberg. Es war klar, daß es nur mehr einen Ausweg geben konnte, den einer Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs.

Weil man das auch in Berlin genau wußte, gab man dort in den Abendstunden des 11. März 1938, also zwei Tage vor der geplanten Abstimmung, den Befehl zum Uberfall auf Österreich.

Wenn hier von der „überwiegenden Mehrheit” des österreichischen Volkes gesprochen wurde, so deshalb, weil es zu diesem Zeitpunkt endlich gelungen war, zwischen der Vaterländischen Front und der Sozialdemokratischen sowie der Kommunistischen Partei ein Ubereinkommen zu erzielen, daß beide Teile mit Ja für Österreich stimmen würden.

Es wird oft die Frage gestellt, was geschehen wäre, wenn diese Volksabstimmung hätte stattfinden können. Solche hypothetischen Fragen sind meistens überflüssig. In diesem Fall kann man jedoch eine Antwort darauf geben: Hätte die Abstimmung das erwartete große Ergebnis für Österreich gebracht, so wäre damit auch der Weg offen gewesen, die Sozialdemokratische Partei wieder zur Mitverantwortung heranzuziehen. Denn nach einem Ja der Opposition zu Österreich hätte ihr niemand mehr das Recht auf Mitverantwortung streitig machen können.

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