6881733-1979_12_06.jpg
Digital In Arbeit

Österreich und seine roten Nachbarn

19451960198020002020

Österreich und seine kommunistischen Nachbarn: Das ist ein stückweise seltsames Kapitel. Mit Ungarn geht es derzeit nach dem Urteil erfahrener Kenner besser als die meiste Zeit der Doppelmonarchie hindurch. Zwischen Prag und Wien aber „besteht eine in den Tiefen des Unbewußten liegende Rivalität“, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ auszumachen wußte. Hat der Besuch von Bundespräsident Kirchschläger zu deren Überwindung einen Beitrag geleistet?

19451960198020002020

Österreich und seine kommunistischen Nachbarn: Das ist ein stückweise seltsames Kapitel. Mit Ungarn geht es derzeit nach dem Urteil erfahrener Kenner besser als die meiste Zeit der Doppelmonarchie hindurch. Zwischen Prag und Wien aber „besteht eine in den Tiefen des Unbewußten liegende Rivalität“, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ auszumachen wußte. Hat der Besuch von Bundespräsident Kirchschläger zu deren Überwindung einen Beitrag geleistet?

Werbung
Werbung
Werbung

Man darf es annehmen, auch wenn außer einem Konsularvertrag und einem Veterinärabkommen keine Abschlüsse dabei zustande kamen. Es waren auch keine angepeilt gewesen. Der erste Besuch eines österreichischen Staatsoberhauptes in Prag nach über 57 Jahren war mehr auf der symbolhaften Ebene angesiedelt.

Dort hat das freundliche, aber bestimmte Auftreten des Bundespräsidenten gewiß seine Wirkung gehabt. Gespräche auf dem Hradschin, Reverenz auf dem Gettofriedhof und an der Gedenkstätte von Theresien-stadt, Fabriks- und Museenbesuche, die Umbenennüng eines Teils der Budweiser Straße in Wiener Straße, die inoffizielle Visite bei Erzbischof FrantiSek Tomasek („Andere Staatsgäste machen auch inoffizielle Besuche, etwa bei KP-Führern“), die Verabschiedung in Bratislava (Preßburg), das einst mit Wien durch eine Straßenbahn verbunden war: All das war sinnbildhaft und ohne Zweideutigkeit.

Das Verhältnis der beiden Nachbarstaaten zueinander war von Anbeginn nicht nur durch die Vermögensfrage, sondern auch durch das zusätzliche Problem der Sudetenflüchtlinge belastet. Dann kam die Sowjetinvasion von 1968 und fror alle diplomatischen Frühlingsknospen ein.

Erst 1974 fuhr ein österreichischer Außenminister (Bielka-Karltreu) nach Prag zu einer (bescheidenen) Regelung der Vermögensfrage, 1976 Kanzler Kreisky. Erst vor vier Jahren wurden die diplomatischen Vertretungen in Botschaftsrang erhoben.

Die wirtschaftliche Kooperation ist derzeit leidlich gut, die kulturelle noch höchst bescheiden. Die Behandlung von Unterzeichnern der „Charta 77“ durch das Prager Regime - erst dieser Tage zirkuliert auch hierzulande wieder ein Amnesty-In-ternational-Appell zugunsten Jiri Lederers - hat neuen Frost gebracht. Mit Rudolf Kirchschlägers Rückkehr in die Stadt, in der er so lange als Gesandter gewirkt hatte, sollte dennoch eine neue Ära in den Beziehungen eingeleitet worden sein.

Einen kleinen Grenzverkehr im klassischen Sinn wird es mit dem nördlichen Nachbarn leider auch in naher Zukunft noch nicht geben. Mit Ungarn übrigens auch nicht. Trotzdem ist der Eiserne Vorhang gegenüber den Magyaren heute durchlässiger als je zuvor. Mit der Aufhebung der Sichtvermerke zu Jahresbeginn wurde im österreichisch-ungarischen Verhältnis ein neues Signal gesetzt.

Konkret heißt dies, daß Österreicher ohne Visumbesorgung zur Grenze fahren können - warten müssen siedortimme* noch. Daßsie früher 4Q.Q ungarische Gulden mitführen durften, jetzt auf einmal aber nur noch hundert (und das in Münzen, die man nur in einer einzigen Wiener Bank erhält), wird zu Recht als Schikane empfunden. Freilich muß man verstehen: Alle kommunistischen Länder haben mit dem Problem der unechten Währungskurse und der unechten Inlandspreise zu kämpfen.

Für die Ungarn bedeutet die Aufhebung des Visumszwangs, daß Bewohner etwa der Westkomitate nicht mehr nach Budapest um ein Visum fahren müssen. Einen „Westpaß“ brauchen sie weiterhin und bekommen sie auch weiterhin nur unter erschwerten Bedingungen. Immerhin: Ein neuer Schritt ist gesetzt.

Mit Ungarn hat alles früher begonnen. Schon 1964 konnten die vermögensrechtlichen Probleme bereinigt werden. Die gemischte Grenzkommission hat die unliebsamen Grenzzwischenfälle politisch entschärft. Konsular- und Rechtshilfeverträge funktionieren zur beiderseitigen Zufriedenheit. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit soll in Bälde spürbar ausgeweitet, die kulturelle angekurbelt werden. Selbst bei der europäischen Sicherheitskonferenz war eine Kooperation in beschränktem Ausmaß fruchtbar möglich.

Das ist nicht wenig nach der „Burgenland-Wunde“, die die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg schlug, dem politischen Systemwandel nach dem Zweiten und dem Schicksal des heldenhaften ungarischen Freiheitskampfes von 1956, an dem wir alle emotionellen Anteil nahmen.

Wenn das „gute Gesprächsklima“, das Bundespräsident Kirchschläger bei seinem CSSR-Besuch rühmte, zu konkreten Fortschritten führt und das Prager Regime, wie angedeutet, auch das Dissidentenproblem „überdenken“ wird, könnte man sich eines Tages darüber freuen, daß nun auch der Standard der Beziehungen Österreichs zu seinen Warschauer-Pakt-Nachbarn dem Anspruch der historischen Schicksalsverflechtung und der gemeinsamen Gegenwartsinteressen genügt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung