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Österreichische Geschichte: Ein Riß geht quer durch Rotweißrot

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Der Untergang der Donaumonarchie, die Geburt unserer Republik: Vergangenheit ist noch gegenwärtig. Darum geht es Welan und Leser. Und darum geht es im Dossier.

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Der Untergang der Donaumonarchie, die Geburt unserer Republik: Vergangenheit ist noch gegenwärtig. Darum geht es Welan und Leser. Und darum geht es im Dossier.

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Die militärische Niederlage der Mittelmächte, der Zerfall des großen alten Reiches, Millionen Tote, Gefangene, Verwundete, Hunger und Not leiteten die Geburt unserer Republik ein.

Der letzte Versuch des Kaisers, das Reich zu retten, war zum Scheitern verurteilt. Am 16. Oktober 1918 verkündete Karl in einem Manifest die Umgestaltung der österreichischen Reichshälfte in einen Bundesstaat, „in dem jeder Volksstamm auf seinem Siedlungsgebiet sein eigenes staatliches Gemeinwesen bildet“. Aber die Völker bildeten schon selbständige Staaten.

Das Ende des großen Österreich war der Anfang einer Reihe kleinerer und mittlerer Staaten. Der kleinste unter ihnen war unsere Republik. Sozialdemokraten, Christlichsoziale und Deutschnationale beschlossen am 17. für den 21. Oktober eine Vollversammlung der deutschösterreichischen Abgeordneten. Sie wurde in.den Zeitungen schon als „Deutsche Nationalversammlung“ bezeichnet. Am 21. Oktober eröffnete der deutschnationale Präsident Viktor Waldner die Versammlung und erklärte, daß die Abgeordneten „für das deutsche Volk in Österreich als seine gewählte Gesamtvertretung das Recht auf Selbstbestimmung und eigene unabhängige Staatlichkeit feierlich erklären und für den Staat Deutschösterreich in einer zu konstituierenden Nationalversammlung die grundlegenden Beschlüsse fassen“.

Im Sitzungssaal des Niederösterreichischen Landtages konstituierte sie sich am 21. als „Provisorische Nationalversammlung — für Deutschösterreich“ und wählte aus ihrer Mitte einen Vollzugsausschuß. Die Beschlüsse wurden einstimmig gefaßt. Aber dieser Konsens darf nicht über den Dissens der Parteien täuschen: „Adler verlangt die Republik, die Christlichsozialen die Monarchie, die Deutschnationalen den Anschluß an das Deutsche Reich“, so formulierte es Josef Redlich. Es war noch komplizierter, weil es auch in den Parteien Dissens gab.

Am 30. Oktober 1918 faßte die Nationalversammlung den „Beschluß über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt“ (StGBl Nr. 1) und schuf damit als Provisorium definitiv eine neue Verfassung. Die oberste Gewalt wurde der provisorischen Nationalversammlung und die Regie-rungs- und Vollzugsgewalt dem Vollzugsausschuß, dem Staatsrat, übertragen. Mit dieser neuen Konstitution war auch ein neuer Staat konstituiert.

Nach dem Beschluß wurde vorbehaltlich der Beschlüsse der konstituierenden Nationalversammlung „einstweilen die oberste Gewalt des Staates Deutschösterreich durch die auf Grund des gleichen Wahlrechts aller Bürger gewählte provisorische Nationalversammlung ausgeübt“.

Am 11. November erließ der Kaiser eine Kundmachung, in der er seine Bemühungen um Frieden und um verfassungsmäßiges Leben hervorhob. Er wolle der freien Entfaltung seiner Völker seine Person nicht als Hindernis entgegenstellen. Im voraus erkenne er die Entscheidung an, die Deutschösterreich über seine künftige Staatsform treffe. Das Volk habe durch seine Vertreter die Regierung übernommen. Er verzichte auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften. Gleichzeitig enthob er seine Regierung ihres Amtes.

Damit hatte der Kaiser auf den Anteil an den Staatsgeschäften verzichtet, nicht aber auf seine Stellung als Monarch. Andererseits wurde dadurch die politische Entscheidung über die Staatsform anerkannt. Der Kaiser erkannte, daß die Kontinuität zwischen der Rechts- und Staatsordnung des alten Österreich und der Deutschösterreichs nicht gegeben ist. Andererseits hat er für den Fall der diesbezüglichen politischen Entscheidung über die Staatsform auch die Republik anerkannt. Diese noble Geste ändert aber nichts daran, daß, vom juristischen Standpunkt aus gesehen, ein Bruch der Rechtskontinuität und damit Revolution vorlag.

Das Gesetz über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich bestimmte tags darauf in Artikel 1 in feierlicher Form: „Deutschösterreich ist eine demokratische Republik. Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volke eingesetzt.“

Im Artikel 2: „Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik ...“ Nach Artikel 3 gingen alle Rechte, „welche nach der Verfassung der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder dem Kaiser zustanden, einstweilen, bis die konstituierende Nationalversammlung die endgültige Verfassung festgesetzt hat, auf den deutschösterreichischen Staatsrat über“.

Der Gesetzentwurf war fast einstimmig angenommen worden, nur drei Christlichsoziale stimmten gegen das Wort „Republik“, ein Christlichsozialer gegen den angekündigten Anschluß. Damit war der im Volksmund sogenannte „Umsturz“ beendet. Die Republik war geboren.

Die feierliche Verkündigung von der Rampe des Parlaments wurde durch eine Demonstration Linksradikaler gestört. Sie rissen den weißen Streifen aus der neuen rotweißroten Fahne und forderten die „soziale Republik“. Zwei Menschen wurden getötet, einige Dutzend verletzt. Sozialdemokraten sprachen von ihrer „siegreichen Revolution“ und davon, daß „unser Abschnitt in der Weltgeschichte“ begonnen hat. Sie proklamierten und propagierten Revolution und Republik für sich, geradezu als ihr Eigentum.

Christlichsoziale vermißten das verbindende Symbol des Kaisers und eine Staatsidee, sahen in der Republik ein Kind der Schande. Bei der Beratung des Staatsbürgerschaftsrechts kamen weitere Widersprüche zum Ausdruck. In den hitzigen Debatten verlangten die Deutschnationalen als Erfordernis das Bekenntnis zur deutschen Nation.

So haben die Feststellungen „Eine Republik ohne Republikaner“, „Eine Demokratie ohne Demokraten“ und „Ein Österreich ohne Patrioten“ einen Beigeschmack von Wahrheit. Der vorhandene liberale Nachlaß fand keine Erben, denen er eingeantwortet werden konnte. Und irgendwie gilt das heute noch.

Der Autor, Professor für Rechtslehre, ist Dritter Präsident des Wiener Landtages.

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