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Österreichische Rekorde

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Wir haben die meisten Ärzte und liegen im Spitzenfeld mit den Ausgaben für soziale Sicherheit Österreichs Ruf als Wohlfahrtsstaat ist unbestritten. Warum aber verzeichnen wir gleichzeitig die höchste Krebssterblichkeit in Europa, liegen im internationalen Vergleich ganz vorne mit tödlich verlaufenden Verdauungs- und Lebererkrankungen und belegen einen der letzten Plätze bei der Lebenserwartung?

Eine erste Antwort gibt die Studie von Dr. Lore Scheer über die Lebensqualität im internationalen Vergleich selbst: Im erhöhten Kalorienver brauch und bei ihren Aufwendungen für Nahrungs- und Genußmittel sind die Österreicher kaum zu schlagen.

Vom Gesundbleiben scheinen wir in Österreich nicht viel zu halten. Unsere vielen Ärzte sollen nur als Feuerwehrmänner in Aktion treten, wenn wir schon so krank sind, daß die Katastrophe nur noch mit hohem Kostenaufwand oder gar nicht mehr abgewendet werden kann. Eigentlich ist das ein Zeichen von mangelndem Verantwortungsbewußtsein für sich selbst. Ein bißchen mehr „gesunder” Egoismus wäre schon angebracht.

Aber auch das Verantwortungsbewußtsein für unsere Mitmenschen scheint in Österreich nicht stark ausgeprägt zu sein. Mit den Verkehrstoten liegen wir an der Spitze, und wir haben extrem hohe Zahlen an tödlichen Arbeitsunfällen und Todesopfern durch Gewaltverbrechen.

Ohne dem einzelnen die Verantwortung für die Art, wie er lebt, und für das, was er tut, abnehmen zu wollen - die Gründe für diese unerfreuliche Situation liegen nicht bei ihm allein. Sie sind Ausdruck von Aggressivität, verdrängtem Unbehagen oder auch einfach ein Zeichen mangelnder Information.

Dazu einige Beispiele: Viele Ärzte behandeln ihre Patienten wie unmündige Kinder. In den Spitälern lassen sie die Kranken im unklaren über ihren Zustand und die Behandlung, und in den Ordinationen verschreiben sie ohne jede Erklärung zahllose Medikamente, deren Verbrauch die Staatskasse ebenso belastet wie den Organismus. Oder sie reagieren ungehalten, wenn wir ihre kostbare Zeit nur durch vorbeugende Kontrolluntersu- chungen verschwenden. Einrichtungen, wie Vorsorge- und Gesundheitsuntersuchung erfüllen nur dann ihren Zweck, wenn der Staatsbürger davon Kenntnis hat und motiviert wird, von ihnen Gebrauch zu machen. Die grundlegenden Informationen fehlen aber bereits im Schulunterricht. Ge- sundheits- und Ernährungslehre haben bis heute in den Lehrplänen kaum Eingang gefunden.

Wo aber liegt die Ursache für das latente Unbehagen der letzten Jahrzehnte, das sich in Krankheit und zunehmender Aggressivität äußert?

Das Wirtschaftswachstum ist längst nicht mehr das wichtigste Kriterium für Lebensqualität. Es ist zwar die notwendige Voraussetzung zur Beseitigung sozialer Mißstände, doch in den vergangenen Jahren sind seine negativen Nebenerscheinungen immer zahlreicher geworden. Die Nichtbeachtung von Faktoren, die für das Leben des einzelnen ebenso notwendig sind wie für die Gesellschaft, haben zur Zerstörung des Menschen und seiner Umwelt geführt. Beispiele dafür sind die Luftverschmutzung, die Verunreinigung der Gewässer, die Landflucht, vor allem aber die bedenkliche Zunahme der psychischen Erkrankungen. Auch die Zahl der Akademiker ist nicht unbedingt ein Gradmesser für das menschliche Wohlbefinden. Mindestens ebenso wichtig muß es sein, wie gesund der einzelne ist, wie sicher er sich fühlt und welche Möglichkeiten er hat, sich im Arbeitsleben, in der Freizeit und durch Bildung selbst zu verwirklichen. Vor allem aber auch, wieweit er seine Umwelt und die Gesellschaft, in der er lebt, mitgestalten kann.

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