6847388-1976_28_11.jpg
Digital In Arbeit

Österreichisches hervorkehren..

Werbung
Werbung
Werbung

Der Theatersommer rings um Wien hat begonnen. Im Schloßhof der herrlich restaurierten Rothmühle (1305 von „Chunrath dem Sachs, Müller von Swechent“ gegründet, später barockisiert und im 18. Jahrhundert Wohnsitz des Arztes und „Magnetiseurs“ Mesmer) spielt das längst schon berühmt gewordene Laienensemble von Schwechat an jedem Mittwoch, Freitag und Samstag um 20.00 Uhr den „Lumpazivagabundus“. (Autozubringer starten um 19 Uhr in Wien III, Marxergasse, bei der Hausnummer 1.) Die Laienspieler, Schüler, Lehrlinge, Hausfrauen, Handwerker, Arbeiter, Angestellte und ein Stadtrat, die auf dem Theaterzettel allesamt ungenannt bleiben, haben gut daran getan, sich som-mersüber auf Nestroy zu konzentrieren. Schon 1975 hatte dies ein erstes internationales Nestroy-Symposium zur Folge und 1976 fanden nun die zweiten internationalen Nestroy-Gespräche in der Rothmühle statt. In den öffentlich zugänglichen Räumen des Schlosses ist, dem Jubiläumsjahr Rechnung tragend, zudem eine sehenswerte Ausstellung „Nestroy und das Burgtheater“ zu besuchen.

Für seine Regiearbeit am guten alten „Lumpazivagabundus“ hat sich Peter Gruber einiges einfallen lassen. Nicht nur, daß störende Flugzeuge, die auch beim Landen mit abgestellten Triebwerken einigen Lärm verursachen, mit Schmetterlingsnetzen gejagt werden, bis Ruhe eingetreten ist und das zur Gruppe erstarrte Spiel seinen Fortgang nehmen kann, nicht nur, daß der vom Dichter seiner Satire aufgeklebte

Schluß ohne Zerstörung des Textes durch geschickte Streichungen und Umstellungen in eine logischere Form umgegossen wurde, indem die beiden unbekehrbaren Lumpen von altösterreichischen Gendarmen in den Kotter abgeführt werden, wogegen der zum braven Biederbürger gewordene Tischler Leim Feierabend macht und sich um so heimlicher auf Schleichwege begibt, nicht nur — sondern als Feenkönig erscheint denn auch, und dies ist der Schlüssel zu allem, Kaiser Franz in Person (warum auch nicht; er war ja irgendwie gemeint) und die mit Ehestiftung beschäftigten Feen Fortuna, Brillantine und Amorosa gehören ebenso den oberen Hofrängen an wie der kavaliersmäßige Lumpazi, der die Herren Studenten aus dem mittleren Bereich der Geister, zur Empörung ihrer zylindertragenden Bürgerväter, auf, die schiefe Bahn der Indolenz und einer vergammelten Lebensauffassung verlockt hat.

Nestroy erhielt durch die Schwechater Sommerspiele jenes lebendige Denkmal, das bisher in Österreich fehlte. Sein steinernes Denkmal nämlich steht rätselhafterweise vor dem Reinhardt-Seminar in Wien, wo man nicht seine, sondern Max Reinhardts Statue gerne sehen würde. Warum nur, warum steht sie nicht beim Volkstheater, wo Ferdinand Raimund, von der Muse geküßt, bereits auf sie wartet? Beide zusammen nämlich, Nestroy und Raimund ergeben das österreichische. Man verstecke nicht den einen und verleugne nicht den anderen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung