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Österreichs 18 Kanzler

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Österreichs am längsten dienender Bundeskanzler (über 13 Jahre) hieß Bruno Kreisky. Das weiß jeder. Sein „kürzester" Regierungschef (einen Tag lang: 26. Jänner 1922) hieß Walther Breis-ky. Das weiß kaum jemand.

Von beiden erfährt man Erhellendes in einem Buch, das der Darstellung aller österreichischen Bundeskanzler gewidmet ist: Zeitgeschichte im Spiegel seiner handelnden Spitzenakteure. Und zwar gelungene.

Unterschiedliche Autoren liefern immer unterschiedliche Beiträge. Aber keiner in diesem Sammelband ist unseriös, keiner bösartig. Und nahezu in jedem stekken auch für einen einigermaßen geschichtskundigen Leser interessante Details.

Man weiß zum Beispiel, daß der Sozialdemokrat Karl Renner sehr, um es vornehm zu sagen, anpassungsfähig war, was Österreich nach 1918 und 1945 sehr, 1938 aber wenig zustatten kam. Aber wer erinnert sich, daß er sein Amt als Bundeskanzler so überparteilich auffaßte, daß er sich 1945 nicht am Wahlkampf beteiligte und 1949 aus gleicher Motivation heraus aber als Bundespräsident auch bei einer (Mai-, nicht Wahl-) Kundgebung der ÖVP sprach?

Daß Johannes Schober, der parteilos-liberale Chef dreier und Vizechef zweier weiterer Bundesregierungen, von den Sozialdemokraten übermäßig und zu Unrecht attackiert wurde, weiß man gleichfalls - daß sich dafür schon 1929 der Parteivorsitzende Karl Seitz bei Schober entschuldigte, wissen selbst prominente Parteifreunde Seitz' noch heute nicht.

Ein Absatz über die Verquik-kung von Politik und Wirtschaft mit unqualifizierten Politikern in Auf sichtsräten liest sich, wiewohl der Kanzlerschaft Rudolf Ra-meks zugeordnet, wie ein aktuelles Sittenbild. Beklemmend gegenwartsbezogen auch die Feststellung, Engelbert Dollfuss habe wenig von Wirtschaftspolitik verstanden, aber auch keinen starken Fachmann dieser Sparte an seiner Seite gehabt. Daran allein ist er sicher nicht gescheitert, aber der Mangel würde auch einem Kanzler von heute oder morgen genug zu schaffen machen.

Von allen Zwischenkriegskanzlern gewinnt man den Eindruck tragischer Verkennung des Hauptfeindes und vielfacher Kraftverzettelung an falschen Fronten. Die Nachkriegskanzler sind allesamt als jene Patrioten und Republikaner ausweisbar, die ihre Vorgänger oft nur zur einen oder anderen Hälfte gewesen waren.

Nicht falsch, aber allzu unkritisch wird das Lebensbild von Leopold Figl und Julius Raab erzählt, obwohl immerhin Raabs Heimwehrmission plausibel geschildert wird. Die Ablöseprobleme Figl/Raab und der Sturz Raabs werden total verharmlost, dagegen der Sturz Gorbachs offen und einfühlsam begründet.

Sehr qualifiziert ist die Schilderung des ersten Alleinregierungs-kanzlers Josef Klaus geraten, von dem auch der prophetische Satz aus 1964 in Erinnerung gerufen wird: „Entweder die ÖVP behält in Zusammenarbeit mit der SPÖ die Führung oder die SPÖ übernimmt diese Führung, wobei offen ist, ob eine stärkere SPÖ mit uns oder überhaupt mit jemandem zusammenarbeiten würde."

Auch bei Kreisky fehlen (milde) kritische Töne nicht, während das Sinowatz-Kapitel wieder zur schieren Hymne gediehen ist.

Ein kleiner Irrtum: Sowohl bei Schuschnigg wie bei Raab heißt es, der Betreffende sei 1927 als jüngster Abgeordneter in den Nationalrat gewählt worden: Bei Schuschnigg stimmt's. Und die Fotoplazierung jeweils vor einem Kapitel, aber ohne Namenszeile, ist in Einzelfällen verwirrend.

Ansonsten trägt dieser Band ernsthaft zur Aufhellung historischer Bezüge bei, was im Hinblick auf das kommende Februar-Gedenken ja allen Demokraten dieses Landes gelegen kommen müßte.

DIE ÖSTERREICHISCHEN BUNDESKANZLER (Leben und Werk), Hrsg. Friedrich Weissensteiner und Erika Weinzierl. Bundesverlag, 483 S.. Ln., öS 498,-.

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