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Österreichs Gastarbeiter Spielball der Konjunktur

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Seit dem Jahr 1973, dem Beginn der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Europa, ist die Zahl der Gastarbeiter in Österreich um ein Drittel zurückgegangen. Kaum zeichnet sich aber ein wirtschaftlicher Aufwärtstrend ab, wird wieder der Ruf nach „Gastarbeiterimporten” laut. Das Abwälzen der sozialen Härten von Wirtschaftsschwankungen auf ausländische Arbeitskräfte wird auch durch die Rechtslage begünstigt.

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Seit dem Jahr 1973, dem Beginn der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Europa, ist die Zahl der Gastarbeiter in Österreich um ein Drittel zurückgegangen. Kaum zeichnet sich aber ein wirtschaftlicher Aufwärtstrend ab, wird wieder der Ruf nach „Gastarbeiterimporten” laut. Das Abwälzen der sozialen Härten von Wirtschaftsschwankungen auf ausländische Arbeitskräfte wird auch durch die Rechtslage begünstigt.

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Es mutet befremdend an, wenn ehemalige Arbeitervertreter - wie Sozialminister Weißenberg am 1. 5. 1980 -bei „Ersten-Mai-Feiern” mit Verringerung des Beschäftigungsstandes der Gastarbeiter weitere Arbeitsplatzsicherung ankündigen, als ob Gastarbeiter keine Arbeiter wären, die das Interesse und vor allem das Mitgefühl einer Arbeiterbewegung in Anspruch nehmen können.

Uber eine solche sozialpolitische Haltung kann auch die Erklärung nicht hinwegtäuschen, man werde dieses Ziel durch Einschränkungen in der Erteilung von neuen Beschäftigungsbewilligungen erreichen und bereits beschäftigte Gastarbeiter nicht nach Hause schicken.

Eine derartige Erklärung wird für die ausländischen Arbeitnehmer selbst kaum beruhigend wirken. Aufgrund der österreichischen Gesetzeslage leben sie in permanenter Verunsicherung, daß die ihrem Arbeitgeber für sie erteilte Beschäftigungsbewilligung einmal nicht mehr verlängert wird und sie damit Arbeitsberechtigung und Aufenthalt in Österreich verlieren.

Am 20. März 1980 waren es genau fünf Jahre, daß das österreichische A usländer- Beschäftigungsgesetz (BGBl. 218) von den Abgeordneten zum österreichischen Nationalrat einstimmig verabschiedet wurde. Wessen Geistes die Väter dieses Gesetzes und somit auch der Gesetzgeber waren, ist aus den Erläuterungen, welche die Gesetzesvorlage auf dem Weg ins Parlament begleitet haben, leicht ersichtlich.

Nach diesen wird das österreichische Gesetzeswerk von zwei wesentlichen Grundgedanken getragen:

1. vom zunächst durchaus verständlichen Schutzbedürfnis der inländischen Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt;

2. vom Nützlichkeits- bzw. Rentabilitätsgedanken, der zum eigentlichen Hauptanliegen wird: so heißt es unter dem Titel: „Rechtspolitische Überlegungen”: „... daß die Zulassung ausländischer Arbeitskräfte am inländischen Arbeitsmarkt ein so komplexes Problem darstellt, daß diese nur deshalb erfolgen darf, wenn eindeutig feststeht, daß die Vorteile die damit unvermeidlich verbundenen Nachteile überwiegen.”

Als Folge dieser Überlegungen wurden Normen geschaffen, die es ermöglichen, ausländische Arbeitskräfte je nach Bedarf ins Land zu holen und wieder abzuschieben. Der ausländische Arbeitnehmer wird aufgrund dieser Regelungen zum Objekt wirtschaftspolitisehen Nützlichkeits-Denkens. Seine Rechte sind weitgehend eingeschränkt, um auf diese Weise seine Manipulier-barkeit sicherzustellen. Diese Manipu-lierbarkeit des Ausländers wird im Gesetz vielfältig erreicht durch:

• rechtliche Einengung der Person: die Beschäftigungsbewilligung wird nicht direkt, sondern nur indirekt dem Gastarbeiter erteilt, weil nicht er selbst Antragsteller sein kann, sondern nur ein bestimmter Arbeitgeber, an dessen Betrieb und Branche er gebunden ist. Verliert der Ausländer seinen Arbeitsplatz - durch Kündigung, freiwilliges Ausscheiden - erlischt automatisch die indirekt erteilte Beschäftigungsbewilligung (3). Bei Entzug oder Verlust der Beschäftigungsbewilligung kommt ihm in der Regel im Verfahren keine Parteienstellung zu, was rechtlich soviel wie „Wertlosigkeit” bedeutet.

• örtliche, berufliche, firmenmäßige Bindung: die Beschäftigungsbewilligung ist nicht nur an einen bestimmten Arbeitgeber (Firma) gebunden, sondern an einen bestimmten Betriebsort sowie an eine genau umschriebene Tätigkeit (6). Wird ein Ausländer länger als eine Woche an einem anderen Betriebsort oder in anderer Tätigkeit beschäftigt, gilt dieses Arbeitsverhältnis als unerlaubte Beschäftigung.

• Zeitliche Eingrenzung der Beschäftigungsbewilligung: die dem Arbeitgeber für einen bestimmten Ausländer erteilte Beschäftigungsbewilligung wird grundsätzlich nur für eine Zeitdauer von höchstens zwölf Monaten gegeben und kann jederzeit widerrufen werden (7).

• Abhängigkeit durch mindestens acht Jahre: erst nach einer achtjährigen ununterbrochenen Beschäftigung des Ausländers im Bundesgebiet ist dieser berechtigt, einen Antrag auf einen „Befreiungsschein” zu stellen, der ihn in den Rechtsstatus der Freizügigkeit am österreichischen Arbeitsmarkt für die Dauer von zwei Jahren setzt (15).

• Kündigungsverpflichtung seitens des Arbeitgebers: bei der Notwendigkeit von Kündigungen in einem Betrieb ist nach dem Gesetz zwingend vorgeschrieben, daß Ausländer zuerst vor dem Inländer zu kündigen sind (unbeschadet der persönlichen Verhältnisse: z. B. Sorgepflicht für Familie, mehrjährige Betriebszugehörigkeit, gute Be-rufsqualiftkation, schlechte Einglie-dersaussichten im Herkunftsland) (8).

• Abschiebung: bei Verlust der Beschäftigungsbewilligung ist die Abschiebung des „unerwünschten Ausländers” - falls dieser nicht freiwillig das Bundesgebiet verläßt - aufgrund fremdenpolizeilicher Bestimmungen möglich (Fremdenpolizeigesetz vom 17. 3. 1954, BGBl. 76/3).

Bedauerlicherweise wird im Gesetz nicht differenziert zwischen jenen ausländischen Arbeitnehmern, die erst ganz kurze Zeit sich im Bundesgebiet aufhalten und jenen, die schon seit Jahren mit ihren Familien, aber unter den gleichen rechtlichen Bedingungen, in Österreich leben und begonnen haben, sich mit Erfolg zu integrieren.

In keiner Weise trifft das Gesetz Vorkehrungen, um bei einem durch den Ausländer unverschuldeten Entzug oder Verlust der Beschäftigungsbewilligung einen für diesen tragbaren Ersatz zu ermöglichen oder abzusichern.

Daraus ergibt sich mit unmißverständlicher Deutlichkeit, daß in Österreich ausländische Arbeitnehmer primär nach wirtschaftspolitischen Maßstäben eingestuft und behandelt werden. Die Leistungsgesellschaft will den Nutzen, ist aber keineswegs bereit, auch nur das geringste soziale Risiko einzugehen.

Der Schlüssel zu einer humanen und sozial vertretbaren Ausländerbeschäftigungspolitik liegt sicherlich in einer beschränkten, kontrollierten Aufnahme neuer ausländischer Arbeitnehmer, und das auch in Zeiten einer Hochkonjunktur. Eine solche Kontrolle müßte nicht nur das legitime Anliegen, sondern vielmehr Verpflichtung einer jeden verantwortungsbewußten Regierung sein, und zwar im Interesse aller Beteiligten, auch der ausländischen Arbeitnehmer.

Keineswegs dürfte aber diese Kontrolle zu Lasten der bereits im Lande befindlichen und beschäftigten Ausländer gehen. Ein in diesem Sinne für Europa beispielgebendes Ausländerbeschäftigungsgesetz zu schaffen, war die Chance, die von Österreich vergeben wurde. Lösungen, die den Menschen zum Mittelpunkt haben, sind durchaus möglich. Schweden hat es geschafft, indem es folgende Grundsätze aufstellte und Regelungen traf:

• Die Zulassung von ausländischen Arbeitnehmern zu Zeiten einer Hochkonjunktur erfolgt in einer Zahl, die auch in Perioden einer wirtschaftlicher Flaute beibehalten werden kann.

• Jeder ausländische Arbeitnehmer wird von allem Anfang an als potentieller Einwanderer betrachtet und dem schwedischen Staatsbürger weitgehend gleichgestellt.

• Ausländer, die in Schweden ansässig geworden und im Besitz einer Arbeitserlaubnis sind, laufen nicht Gefahr, bei Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in ihr Herkunftsland zurückgestellt zu werden.

• Die Arbeitserlaubnis wird dem Ausländer persönlich erteilt. Sie muß vor Einreise in Einvernahme mit der obersten Arbeitsbehörde und den Gewerkschaften gegeben worden sein.

• Die Gültigkeit der Arbeitserlaubnis und Aufenthaltserlaubnis wird zunächst auf ein Jahr und eine bestimmte Branche, nicht Arbeitsplatz, begrenzt (Wechsel innerhalb der Branche freigestellt!).

• Die Zweitbewilligung der Arbeitsund Aufenthaltserlaubnis (bzw. Verlängerung) gilt mindestens für zwei Jahre und berechtigt zu völliger Berufsfreizügigkeit. (Branchenwechsel daher möglich.

• Frühestens nach zweijährigem Aufenthalt kann der ausländische Arbeitnehmer einen Antrag auf Dauer-aufenthaltscrlaubnis stellen. Diese Erlaubnis ersetzt die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis und braucht für die Dauer des Aufenthaltes in Schweden nicht mehr erneuert werden.

• Inhaber einer Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis können durchwegs mit deren Verlängerung rechnen. (Ausnahmen: schwere Straftaten, asoziales Verhalten.) Arbeitslose brauchen also nicht die Ablehnung ihres Verlängerungsantrages zu fürchten.

Nach Schätzungen leben in West-Europa an die 12 Millionen Gastarbeiter, davon gehören bereits 4 Millionen der 2. Generation an. In ihrem Interesse und um die Lücke zwischen den Bekenntnissen vom „Menschen im Mittelpunkt” und der Praxis zu schließen, erscheint eine Revision des österreichischen Ausländerbeschäftigungsgesetzes samt einer öffentlichen Bewußtseinsbildung unumgänglich.

(Aus: Informationsdienst der Katholischen Sozialakademie Österreichs)

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