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Österreichs kulturelle Sendung

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Kulturelle Missionen und Sendungen glaubt man in einem Lande, beziehungsweise glaubt das Land immer erst dann zu haben, wenn es keine politischen Missionen und Sendungen mehr hat. Österreich hat zur Zeit Karls V. die Welt beherrscht, und auf Grund dieses Umstandes war es dem Land, beziehungsweise der Dynastie, die nicht nur das Land selbst, sondern darüber hinaus auch noch so und so viele andere Länder, zum Beispiel in Ost- und Westindien, und eine Fülle spanischer und italienischer Königreiche und Herzogtümer beherrscht hat, möglich, kulturell wirksam zu werden, ohne es auch nur selbst zu bemerken, etwa indem sich ganz Deutschland, Italien, Burgund und die Niederlande dazu einspannen ließen und so gut wie alle Renaissancekünstler für Habsburg arbeiteten. Ja sogar noch zur Zeit des schon zum Kaisertum Österreich zusammengeschrumpften Weltreichs, seit 1805 also, ließ man Beethoven und Haydn, Stifter und Waldmüller, Rilke und Hofmannsthal zum Ruhme des Reiches tätig sein, ohne ihnen sonderliche Prügel zwischen die Beine zu werfen wie etwa einem Grillparzer, dies letztere aber nur deshalb, weil der, offiziell zumindest, kein Künstler, sondern ein Hofrat war; und auch die übrigen Untertanen des Hauses Lothringen-Habsburg, Polen und Tschechen etwa, Rumänen und Ruthenen, Kroaten und Italiener kümmerten sich damals noch nicht um das Herrscherhaus und die deutsche beziehungsweise deutsch sprechende Oberschicht Österreichs, sondern waren mit der vortrefflichen, ja manchmal sogar meisterhaften Verwaltung der Monarchie durchaus zufrieden. Nur die Ungarn hatten schon zu jener Zeit den Chauvinismus auf ihre Fahnen geschrieben. Erst jetzt, da dieses Reich und seine Macht und Herrlichkeit dahin sind, reden wir in unserem Rumpfstaat immerzu von unserer kulturellen Sendung, können aber lediglich nicht eben bedeutungsvolle Schulen jüngerer Leute veranlassen, kulturell zu schalten und zu walten. Ja sogar die Operette ist längst dahin, und ein Lehär und ein Robert Stolz, ein Benatzky und ein Oskar Straus haben sich schon zu ihren Ahnen versammelt. Was aber das Schlimmste sein mag: Auch Carl Zuckmayer, nachdem er im Jahre 1938, allerdings bloß sage und schreibe einen einzigen Tag lang, Österreicher gewesen war, ist uns durch die Lappen gegangen und hat jetzt, als Schweizer, bereits seine vierte Staatsbürgerschaft.

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Die Markgrafschaft Österreich ist unter Leopold dem Erlauchten aus dem Hause der Babenberger, 984, auf dem Gebiete der einstigen Karolingischen Mark neu gestiftet worden, aber weil man die Jahreszahl nicht mehr so genau weiß, so möchte man jetzt aus einer Art von Ungeduld, das tausendjährige Jubiläum des Landes zu feiern, die Gründung desselben vorverlegen. Denn wenn die Dinge auch bei -uns, gelenkt von „nützlichen Idioten“, wie Lenin derlei Leute genannt hat, so halbbolschewistisch weitergehen wie bisher, werden wir bis 1984 wohl ganz bol-schewisiert sein, erinnert unsere Situation, in all ihrer Unsicherheit, doch bereits jetzt mehr und mehr an die Ukraine oder die Kosakenrepublik im Jahre 1918. Zudem ist unser ganzer Ursprung so vage, wie es auch unser Ende zu werden verspricht. So gibt es hier überall noch aus der Zeit Karls des Großen, dessen Mark unter dem Ansturm der Magyaren und Avaren zu bestehen nicht vermocht hatte, eine Menge von Ortschaften, bei denen die Edel-leute, von denen sie beherrscht worden sind, die sogenannten „milites“, bloß in den Namen dieser Ortschaften weiterexistieren, sonst aber auf keine Weise; etwa ein Burkhard nur noch in Purkersdorf, ein Ottokar in Ottakring, ein Enzio in Enzersdorf und ein Sieghart in Sieghartskir-chen. Nichts anderes als diese Vornamen weiß man von den Trägern dieser Lehen, alles übrige jedoch, was die ältesten Grundherren der

Lehen ansonsten betrifft, etwa ihre Frauen und Kinder, ihre Verwandtschaft und ihre Taten, ist längst vergessen, nur ihre Vornamen — denn Familiennamen hatten sie ja noch keine — leben geisterhaft fort. Ja vielleicht ist den gespenstischen Vergessenen dieses Vergessenworden-sein sogar selber recht. Wie unheimlich ist doch .die einzige wirkliche Erinnerung, die wert ist, daß es sie gibt, die Erinnerung an das Vergessen selbst...

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Für sehr merkwürdig, ja geradezu für skurril könnte man's aber freilich nehmen, daß die ältesten bekannt gebliebenen Ahnherren der zwei Dynastien, die uns beherrscht haben, beide ermordet worden sind: Leopold der Erlauchte, der Ahne der Babenberger in Österreich, 1004 auf dem Reichstage zu Würzburg, und Richwin von Verdun, von dem sich das lothringisch-habsburgische Kaiserhaus herleitet, 923, vielleicht auf seinem Hofe Reichenstein in den Ardennen. Doch hüte man sich, derlei Dinge bei uns auch nur zu streifen oder gar breitzutreten, würde es doch geradezu für taktlos gelten, dem alten Kaiser Franz Joseph, dem ohnedies nichts erspart geblieben ist, außerdem auch noch nachzusagen, einer seiner Vorfahren sei bereits vor mehr als 1000 Jahren auf sb gangsterhafte Weise vom Leben zum Tode befördert worden. Denn wer weiß, was kaisertreue Kreise schon dem Genealogen, der die bezügliche Entdeckung gemacht hat und der obendrein, wenn mir recht ist, Schenck zu Schweinsberg geheißen hat, statt, wie es sich auf echt österreichisch gehört hätte, etwa Hrdlitschka von Schlachtentreu, für empörte Vorhaltungen gemacht haben mögen! Einem so typisch österreichischen Monarchen wie dem alten Herrn war ja, außer Gott, nicht einmal der Papst heilig, entzweiten ihn doch mit diesem letzteren, vor allem mit Leo XIII., oft genug sogar heftige Differenzen. Diese gab es auch in der Dynastie, in welcher auch immer wieder und weiter Dinge vorfielen, über die man selbst in einer bescheidenen Vorstadtfamilie die Hände gerungen hätte wie zum Beispiel über die Ermordung Kaiser Albrechts durch dessen Neffen Parricida, das Gemunkel über die Liquidierung Don Juans de Austria oder des spanischen Kronprinzen Don Carlos durch Philipp II. und Wallensteins durch Ferdinand den Katholischen, die Erschießung Maximilians von Mexiko, den man nach Amerika hinübermanipuliert hatte, auf Befehl eines ganz ordinären Indios, wie es jener Juärez gewesen war, die Niederlage von Königgrätz auf Grund einer — wie man auf der Bühne des Welttheaters gesagt hätte — Fehlbesetzung des Kommandos, welche wiederum als dynastischen Gründen erfolgt war, die Eskapaden der Kaiserin Elisabeth, die Homosexualität des Erzherzogs Ludwig Viktor und so weiter und so weiter, so gab es das offiziell ganz einfach nicht. Alle derlei Greuel — von den immer noch nicht aufgeklärten Vorgängen in Mayerling ganz zu schweigen — blieben in die Shakespeare-Dramen auf der Bühne des Burgtheaters verbannt, obwohl man dort sogar schon zur Zeit des guten Kaisers Franz den Satz „Franz heißt die Kanaille“ aus Schillers „Räubern“ gestrichen hatte, weil man's für eine Herabsetzung jenes Monarchen hätte nehmen können.

Aber weder aus dem Anlasse dieser aufregenden noch andrer weniger aufregender Ereignisse hat man sich gefragt, ob etwa Dürers Portrait des Kaisers Maximilian, das der Maler nach einer auf der Burg zu Nürnberg gemachten Skizze ausgeführt hat, künstlerisch besonders wertvoll sei oder nicht, oder ob die Figuren, welche die Lippizaner in der Spanischen Schule zu vollführen hatten, kulturell etwas bedeuteten oder nichts bedeuteten. Man hat, zum Beispiel, auf die sogenannte Levade, bei der sich das Pferd auf den Hinterbeinen, um nicht zü sagen auf der ganzen Kruppe, halb aufrichtete, nur deshalb so viel Wert gelegt, weil es dabei die Kugeln, die der salvenschießende Feind abfeuerte und die dem Reiter galten, in der eigenen Brust auffing; und wenn sich jetzt ein Staatsbesuch über die Spanischen

Figuren und über die Nachfolger der einstigen Kastraten, die heutigen Sängerknaben, freut oder sich stellt, als ob er sich darüber freue, so sollen wir uns ja nicht einbilden, daß der Zweck der bezüglichen Darbietungen ursprünglich ein kultureller gewesen ist. Es war vielmehr bloß ein taktischer, beziehungsweise ein religiös-gesanglicher Zweck. Das war alles. Auch zur Zeit des Barock hat man ja nie vom Barock an sich geredet, sondern immer nur vom „hellen“ neuen Stil, offenbar um dessen Gegensatz zum düsteren, älteren Stil hervorzukehren; und wenn die Kaiser einen Palast aufführen ließen, so ist er nie aus künstlerischen, sondern immer nur aus repräsentativen Gründen errichtet worden. Kurzum, was wir Kultur nennen, ist stets bloß ein Ausdruck akademischen, aber niemals lebendigen, politischen und wirtschaftlichen Denkens gewesen. Oder mit anderen Worten: erst unsere Professoren haben die „Kultur“ erfunden, aber die Päpste und Kaiser, die Mächtigen und die Reichen haben sie, zumindest um ihrer selbst willen, nie gefährdet und ihr auch nie soviel Wert beigemessen, wie wir heute auf sie legen, wenn wir keine mehr haben.

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Alles in allem, jedenfalls, charakterisiert sich das Verhältnis zwischen

Kultur und Macht, beziehungsweise zwischen unserer derzeitigen Machtlosigkeit und unserem Wunsche, immer noch eine wenigstens kulturelle Rolle zu spielen, am ehesten durch jene Dialogstelle aus Molieres „Bürger als Edelmann“, wo Herr Jour-dain den Musiklehrer fragt, warum es denn immer bloß Schäfer und Schäferinnen sein müßten, die einander ihr Liebesleid zu klagen hätten; worauf der Musiklehrer erwidert: .„Weil das leichter fällt, als etwa einen Artilleriehauptmann seine Gefühle absingen zu lassen.“ Das heißt aber nichts andres, als daß schon damals wohl ein Artillerist einen Schäfer veranlassen konnte, zu singen, aber daß kein Schäfer, der zu singen wünschte, einem Artilleristen befehlen konnte, ihm zuzuhören; und so, wie es damals war, ist es denn auch bis heute geblieben, ja so ist es denn heute sogar mehr als je.

Das ist leider alles, was über un-sern Wunsch, kulturell eine Rolle zu spielen, zu sagen ist. Wir hätten, anders, eben nicht so viele Kriege verlieren dürfen; und jetzt, da wir sie de facto verloren haben, sollten wir vor allem nicht um unsere kulturelle Sendung kämpfen, sondern bloß darum, nicht mehr nur ein Volk von Fußballspielern und Skiläufern geworden zu sein.

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