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Österreichs Länderkammer braucht mehr Kompetenzen

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Es gibt kaum eine westliche Demokratie, in der nicht verfassungsmäßig das Zweikammer-System verankert ist. Allein Schweden ist im letzten Jahr den Weg zum Einkammer-System gegangen, wobei die verbliebene einzige Kammer eine Mammutkammer geworden ist. Auch die Republik Österreich hat durch das Bundes-Verfassungsgesetz 1920 das

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Es gibt kaum eine westliche Demokratie, in der nicht verfassungsmäßig das Zweikammer-System verankert ist. Allein Schweden ist im letzten Jahr den Weg zum Einkammer-System gegangen, wobei die verbliebene einzige Kammer eine Mammutkammer geworden ist. Auch die Republik Österreich hat durch das Bundes-Verfassungsgesetz 1920 das

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Zweikammer-System eingeführt und hat es, weil die Republiken Bundesstaat ist, in der Form gestaltet, daß die zweite Kammer die Länderkammer ist. Das wird sie besonders dadurch, daß ihre Mitglieder nicht durch direkte Volkswahl, wie die der ersten Kammer, sondern durch die Landtage der Bundesländer gewählt werden.

Daß der Bundesrat von Anfang an als ungeliebtes Kind in die Welt gesetzt und mit wenig Kompetenzen ausgestattet wurde, hängt ihm seit seiner Geburtsstunde nach. Es wird ihm, aber vor allem seinen Mitgliedern, immer wieder zum Vorwurf gemacht, daß sie zu wenig Wirksamkeit entfalten. Man vergißt jedoch beim Vorwurf, daß diese Entfaltung im Hinblick auf die Kompetenzlage fast nicht möglich ist. Viele gescheite Leute haben in den letzten Jahren über das Problem Bundesrat geschrieben. Alles Schreiben hat nichts geändert. Ich glaube deswegen nicht, weil es einfach an föderalistischer Gesinnung in Österreich mangelt. Erst in den letzten Jahren ist diese föderalistische Gesinnung im Wachsen; übrigens eine Erscheinung, die europaweit ist. Sogar die klassischen Zentralstaaten Frankreich und Italien, aber auch Belgien, gehen dazu über, mehr Kompetenz an die Regionen und nicht nur in der Verwaltung zu geben. Eine sicher sehr positive Erscheinung, weü sie dem Prinzip Rechnung trägt, daß geteilte Macht halbe Macht ist. Die Versuchung des Machtmißbrauches bei geringerer Macht ist geringer.

Der österreichische Bundesrat hat wenig Kompetenzen. Der größte Mangel, abgesehen von der unföderalistischen Zusammensetzung, ist der, daß der Bundesrat kein endgültiges, sondern nur ein aufschiebendes Ein spruchsrecht hat. Allein diese Tatsache muß sich lähmend auf die Arbeit einer solchen Körperschaft auswir- ken. Von dem Recht der Gesetzesinitiative hat der Bundesrat in den letzten Jahren nur in geringem Ausmaß Gebrauch gemacht. Das gleiche gilt aber auch für den Nationalrat. Auch im Nationalrat kommen die meisten Gesetze dadurch zur Verhandlung, daß sie von der Regierung in den Nationalrat eingebracht werden.

Die Fortentwicklung des Gedankens des Föderalismus hat bewirkt, daß sich die Landeshauptmänner schon zweimal auf ein Forderungsprogramm einigen konnten. Wesentliche Teile des Forderungsprogramms 1970 wurden in der Bundes-Verfas- sungsgesetznovelle 1974 verwirklicht. Große Teile blieben aber unerledigt, so daß sich die Landeshauptmänner wieder zusammengesetzt und einmütig das Forderungsprogramm der Bundesländer 1976 erarbeitet haben.

Der Teil A „Forderungen zur Bundesverfassung“ sollte vom Bundesrat als Initiativantrag im Wege der Bundesregierung an den Nationalrat gelangen. Leider war es nicht möglich, im Bundesrat eine Mehrheit für eine solche Initiative zu erhalten. Die sozialistische Fraktion des Bundesrates hat unbegreiflicherweise der Initiative nicht zugestimmt, obwohl, das muß betont werden, das Forderungsprogramm 1976 von allen Landeshauptmännern beschlossen wurde.

Mit der von der sozialistischen Fraktion eingebrachten Entschließung ist nichts getan. Die Aufforderung an die Regierung, mit den Ländern in Beratungen einzutreten, ist leeres Wortgeplänkel. Zweck der Initiative sollte es sein, den Teil A des Forderungsprogramms als Ganzes in den Nationalrat zu bringen. Das hätte die Abgeordneten zum Nationalrat gezwungen, sich einmal mit der gesamten Materie des Forderungsprogramms, Teil A, zu beschäftigen.

Wenn die Bundesregierung das durch die Stellungnahme aller Ministerien zerzauste Forderungsprogramm ins Parlament bringt, wird dieses Forderungsprogramm nur noch ein Torso sein. Eine Chance des Bundesrates, im Sinne des Forderungsprogramms eine echte Tat zu setzen und das ganze Forderungsprogramm in den Nationalrat zu bringen, ist vertan worden. Der Bundesrat sollte auch eine zweite Initiative - hinsichtlich des Teiles B des Forderungsprogramms „Forderung zur einfachen Bundesgesetzgebung“ - ergreifen.

Wenn man diese Entwicklung, wie sie zuletzt geschildert wurde, betrachtet, drängt sich einem langjährigen Bundes rat der Gedanke auf, warum eigentlich die Bundesländer nicht mehr Einfluß auf die von ihnen entsandten Bundesräte ausgeübt haben und ausüben. In meiner siebzehnjährigen Tätigkeit im Bundesrat habe ich es ein einziges Mal erlebt, daß die Bundesräte des Landes Vorarlberg, ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeit, von einem Landesregierungsmitglied zu einer Besprechung gebeten und ersucht wurden, in einer bestimmten Angelegenheit gemeinsam im Interesse des Landes vorzugehen.

Es wäre gut, wenn die Länder weniger von der Aufwertung des Bundesrates reden, sondern sie tun würden. Tun dadurch, daß man die Bundesräte einzelner Länder über die föderalen Probleme aus der Sicht der Länder informiert und sie zum gemeinsamen Handeln über die Parteigrenzen hinaus animiert. Man hätte dies schon tun können, man soll es aber vor allem in der Zukunft tun. Zu erwarten, daß der Bundesrat sich nur dadurch aufwertet, daß er viel öfter Einspruch als bis her erhebt, ist illusorisch. Der Bundesrat hat keine Veranlassung, gegen alle oder viele Beschlüsse des Nationalrates Einspruch zu erheben. Wenn aber dazu föderale Gründe bestehen sollten, müßte er es tun.

Im Initiativantrag des Bundesrates (Forderungsprogramm der Bundesländer) ist eine Verfassungsänderung enthalten, die dem Bundesrat dann ein endgültiges Veto ein räumt, wenn der Nationalrat einen Beschluß gefaßt hat, der ein verfassungsmäßig gewährleistetes Recht der Länder beeinträchtigt.

Sollte dieser Teil des Initiativantrages doch noch einmal Recht werden, wäre das ein echter Fortschritt und eine wirkliche Stärkung der Stellung des Bundesrates.

Daß seit Jahren und immer wieder gerade aus Vorarlberg der Ruf nach der Stärkung der Stellung des Bundesrates und überhaupt nach mehr Föderalismus kommt, liegt wohl im Wesen des Vorarlbergers. Dennoch ist unser Föderalismus nicht Kantönligeist, sondern kommt aus dem Wissen, daß die Zukunft in der Entwicklung der Staaten, auch in Europa, dem Föderalismus gehört.

Macht ist für jeden Menschen und auch für die organisierten Gemeinschaften, die Staaten, eine große Versuchung. Föderalistisch geteüte Macht ist halbe Macht und das ist gut so im Interesse des Bürgers.

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