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ÖVP: Eile ist geboten

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Die erste Runde der Konfrontation auf parlamentarischem Boden ist vorbei, die Regierung hat ihre Absichten verkündet, die Oppositionsparteien haben dazu ausführlich Stellung genommen. Hörfunk und Fernsehen sorgten für größtmög- liche Publizität. Wenn kein entscheidender Durchbruch dabei gelingen konnte, dann liegt es in der Natur der Sache. Über Pläne und Absichten läßt sich prächtig diskutieren. Konkreter und damit ernster wird die Debatte erst, wenn aus den Plänen Wirklichkeit wird.

Das soll nicht bedeuten, daß die Kritik von der Opposition nicht klar, scharf und umfassend genug formuliert gewesen wäre. Vielleicht aber hat die Regierung die Spitze so mancher scharfer Angriffe schon damit abgebogen, daß sie von vornherein erklärt hat, sie werde „Anregungen, die in diesem Hause geäußert werden, mit selbstverständlicher Aufmerksamkeit verfolgen, Kritik mit gebotenem Ernst zur Kenntnis nehmen und Vorschläge mit entsprechender Sorgfalt prüfen“. Selbstverständlichkeiten, gewiß, aber es gehörte seit jeher zum Erfolgsrezept dieser Regierung, daß sie solche Selbstverständlichkeiten „mit gebotenem Ernst“ aussprach und damit schon jede weitere Äußerung der Gegenseite etwas entwertete. Denn wenn man sich mit soviel „Ernst“ und (gespielter) Selbstverleugnung der Kritik stellt, dann mag die Kritik noch so treffend sein, einen Teil der sportlich denkenden Zuschauer hat man auf jeden Fall auf seiner Seite. Alles Weitere wird kaum mehr beachtet. Wem fiel es noch auf, daß die Regierung trotz des angekündigten „gebotenen Ernstes“ auf konkrete Fragen der Opposition nicht oder nur ausnahmsweise einging und sich somit der Kritik gar nicht stellte, sondern diese nur mit Duldermiene über sich ergehen ließ?

Es bleibt also allein schon ein großes Problem für die Opposition und insbesondere für die große Oppositionspartei — für die FPÖ ist die Lage noch komplizierter, denn sie muß versuchen, auch gegenüber der Volkspartei auf Distanz zu bleiben —, mit einer dermaßen beweglichen und erfindungsreichen Regierung, was die Kritik betrifft, zumindest Schritt zu halten und notfalls einen Halt oder ein Zurück zu erzwingen. Es gibt aber für sie ein noch größeres Problem. Sie muß versuchen, sich fallweise von der Regierung beziehungsweise von der Mehrheitspartei abzusetzen. Sie muß bei passender Gelegenheit neue Akzente und Schwerpunkte schaffen, überraschende Vorschläge in die Debatte werfen, die aber die Öffentlichkeit als vernünftig, ja als die beste Lösung eines Problems anerkennen kann. Sie wird dadurch vielleicht kein neues Gesetz erzwingen, kann aber auf lange Sicht etwas noch Wichtigeres erreichen: einen Meinungsumschwung und unter Umständen sogar eine Trendumkehr, sowohl im Hinblick auf Wählermeinung wie auch im Interesse einer mit Überzeugung vertretenen guten Sache. Gelingt ihr eine solche Schwerpunktverlagerung mit Hilfe der Öffentlichkeit nicht, dann bleibt sie vielleicht trotzdem eine gute, wirksam operierende Oppositionspartei, aber eben nur das.

Hier nun einige Beispiele dafür,

wie man Gelegenheiten nützt und einen Meinungsumschwung herbeiführt. (Gegenteilige Beispiele aus der Zeit der ÖVP-Alleinregierung ließen sich ebenfalls anführen.)

Es hat, gerade in den Tagen des Regierungsantrittes, den Ausbruch der Häftlinge aus der Strafanstalt Stein gegeben. Der Vorfall war für die Exekutive, insbesondere für den Justiz- und den Innenminister, höchst blamabel, wurde aber von diesen sofort aufgegriffen und „umgedreht“, noch bevor die Opposition zum massiven Angriff auf eine sich als überrascht und zögernd erwiesene Exekutive angesetzt hätte. Der Justizminister erkannte gleichzeitig die Gefahr wie auch die günstige Gelegenheit, die hellhörig und unruhig gewordene Öffentlichkeit im Sinne der Regierungspropaganda umzustimmen. In einer Erklärung im Hohen Haus verkündete und bekräftigte er die Absicht dieser Regierung, eine „humane“ Ordnung ohne „law and order“ mit noch größerem Nachdruck im Sinne erklärter sozialdemokratischer Grundsätze zu verwirklichen.

Zweiter Fall: Noch -im Wahlkampf wurde, zuerst von unabhängigen Publizisten, die Frage der Machtkontrolle im Fall eines Wahlsieges der SPÖ aufgeworfen. Der Bundeskanzler -hat die Frage zunächst bagatellisiert. Das war von seiner Sicht aus, in seiner Generation, verständlich. Der neue geschäftsführende Klubobmann -der SPÖ, Leopold Gratz, denkt da anders. Er kam in seiner ersten Rede auf das Thema zurück. Gelegenheit für ihn, sich, seine eigene und seiner Partei demokratische Gesinnung in Erinnerung zu rufen und nebenbei den Angriff der Opposition zu entschärfen, von peinlichen Detailfragen abzulenken. Gratz trat also überzeugend für den Ausbau parlamentarischer Kontrollrechte ein, stellte sich damit auf die Spitze der einschlägigen oppositionellen Forderung und verlangte insbesondere, „einige Kontrollrechte auf eine qualitative Minderheit zu übertragen“, weil es sinnlos sei, bei der heutigen Einheit von Regierung und Mehrheitspartei nur der Parlamentsmehrheit Kontrollrechte einzuräumen. Wobei er natürlich recht hatte.

Ähnliche Spontaneität, Intensität und Grundsatzbezogenheit in der Argumentation, die sich nicht in Kritik erschöpfen darf, erwartet die Öffentlichkeit von der Opposition. Der neue SPÖ-Obmann Dr. Kreisky überließ 1967 die Oppositionsrolle zunehmend und weitgehend der Parlamentsfraktion und baute, auf Polemik zunächst verzichtend, aber stets auf Kontakt und Einklang mit der Öffentlichkeit bedacht, die vielzitierten Programme der SPÖ aus. Ohne diese Akzent-, ja St-andortverlage- rung wäre die SPÖ vermutlich heute noch eine gute, scharf kritisierende Oppositionspartei — nicht mehr.

Die Volkspartei steht heute vor einer ähnlichen Alternative. Möglichkeiten für neue, bessere Alternativen und Schwerpunkte bieten sich noch immer unter anderem in der wirtschaftlichen Strukturpolitik, in der Gesundheitspolitik, in der Ge- sellschaftspolitiik (Integrierung alter Menschen!), in der Kommunalpolitik, in der Verteidigungspolitik an. Aber sie muß sich beeilen. Die Regierung besetzt im Mittelfeld nacheinander die Positionen. Die Zeit drängt.

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