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ÖVP: Konglomerat aus 9x6 Kleinparteien

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Zum Thema ÖVP-Reform setzt der einstige Abgeordnete Frühwirth im folgenden die in der Vorwoche begonnenen Ausführungen fort. Seine Analyse ist die bisher umfangreichste, mußte aber aus Platzgründen dennoch erheblich gekürzt werden, wofür wir ihn wie die Leser um Verständnis bitten. Ein Schlußteil wird noch folgen.

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Zum Thema ÖVP-Reform setzt der einstige Abgeordnete Frühwirth im folgenden die in der Vorwoche begonnenen Ausführungen fort. Seine Analyse ist die bisher umfangreichste, mußte aber aus Platzgründen dennoch erheblich gekürzt werden, wofür wir ihn wie die Leser um Verständnis bitten. Ein Schlußteil wird noch folgen.

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Parteileitungen werden noch durch einen Berufsgruppenvertreter aus den Reihen des ÖAAB und einen sogenannten Bezirkswirtschaftsrat aus den Reihen des Wirtschaftsbundes komplettiert.

Diese Vielgliedrigkeit des Funktionärskaders könnte vielleicht dann

Das ausgeprägte Eigenleben der ÖVP-TeÜorganisationen führte nicht nur zu einem aufgeblähten Verwaltungsapparat, sondern auch zu einer Vielzahl von bündischen Funktionären, die oft noch mit zugehörigen Kammerfunktionen angereichert werden, so daß es schon dem Insider manchmal schwerfällt, jeder bekannten Person die richtige Funktion zuzuordnen. So kommt es nicht selten vor, daß man bei einer Sitzung eines zufolge bündischer Beschickung aufgeblähten Parteigremiums gefragt wird, in welcher Funktion man da sitzt, ohne es selbst zu wissen. Faktisch ist die ÖVP ein aus 9 (Bundesländern) x 6 (Teilorganisationen) = 54 (mehr oder minder selbständigen) Kleinparteien bestehendes Konglomerat

Die Wiener Landesparteileitung umfaßt beispielsweise rund 60 Personen, von denen mindestens 24 als Vertreter der sechs Teilorganisationen delegiert werden, ohne daß sie von der Partei in dieses Gremium gewählt wurden oder die Partei eine solche Delegierung verhindern kann. Man kann sich leicht vorstellen, wie effizient ein solch „leitendes“ Organ arbeitet.

Dieses System zieht sich von der Bundesparteileitung über die Landesparteileitungen bis zu den Bezirksparteileitungen durch. Auf Bundes- und Landesebene gibt es zusätzlich noch je einen Vertreter der leitenden Organe der Kammer der gewerblichen Wirtschaft, der Arbeiterkammer, der Christlichen Fraktion des ÖGB und der Landwirtschaftskammer. Die Wiener Bezirkspositiv sein, wenn dadurch tatsächlich die sechsfache Zahl ambitionier-ter Funktionäre und der sechsfache Effekt gewährleistet wären. Nicht selten ist aber das Gegenteil der Fall. Ein bündischer Funktionär verläßt sich darauf, daß die Arbeit für die Gesamtpartei von den Funktionären der anderen Teilorganisationen geleistet wird. Jeder hat mit der Arbeit in seiner Teilorganisation soviel zu tun, daß er nicht auch noch „fremde“ Felder bestellen will. Das Hemd ist jedem näher als der Rock, denn Einfluß und eventuelle Mandate bekommt er ja nur wieder über „seinen“ Bund bzw. die Teilorganisation.

Die Aufteilung der Parteispitzenfunktionen und Mandate nach „Bünden“ ergibt auch eine Problematik für den Nachwuchs an politischen Führungskräften. Eine unglückliche Berufswahl bzw. „falsche“ Zugehörigkeit zu einem Bund kann einem fähigen und ambitionierten Nachwuchspolitiker der ÖVP von vornherein die Chancen auf ein Emporkommen in der Parteihierarchie nehmen.

Besonders problematisch ist das bündische Prinzip für soziale Aufsteiger, Berufswechsler und Nebenerwerbsbauern. Steigt etwa ein Angestellter, der bisher vom ÖAAB politisch betreut wurde, in eine führende Position (Manager, Prokurist u. ä.) auf, so wird er auch vom Wirtschaftsbund umworben, da er dann bereits stellvertretend Funktionen des Unternehmers ausübt. Ähnlich ist es im Gewerbe, wenn ein Facharbeiter, der bisher beim ÖAAB war, die Meisterprüfung und sich dann selbständig macht.

Ganz arg ist es diesbezüglich bei den vielen Nebenerwerbsbauern.

Von Jugend auf fühlten sie sich als angestammte Bauernbündler. Mit dem Eintritt in irgendeine unselbständige Tätigkeit (Bau, Fabrik usw.) beginnt gleichzeitig mit der gewerkschaftlichen Betreuung auch eine andere Denkweise bei diesen Leuten Platz zu greifen. Sie verlieren den Kontakt zum Bauernbund, finden aber kaum einen Anschluß beim ÖAAB. Die Partei als Verbindungsbrücke fehlt, und damit sind diese Pendler in der Regel für die ö VP verloren.

Hier nützt es auch nichts, wenn sich die Bünde gegenseitig die Mitglieder abwerben oder einige Leute tatsächlich zu einer Doppelmitgliedschaft bewegen können. Meist führt dies nur zu einem überflüssigen in-terbündischen Kleinkrieg.

Vor allem die Angehörigen einer neu entstandenen Mittelschichte finden in der ÖVP keine Repräsentanz, weil sie in keine der Teilorganisationen hineinpassen und auch gar nicht hinein wollen. Diese Schichte ist keineswegs homogen, sondern besteht wieder aus zahlreichen kleineren (z. B. Hochschullehrer, Freiberufler u. a.) oder größeren (z. B. höhere Angestellte, Beamte, Unternehmer u. a.) Gruppen, die aber kaum eine traditionelle Bindung zu einer Partei haben. Gemeinsam haben sie meist nur die gehobene Berufsposition und die städtische Lebensform. Hier ist auch der allergrößte Teil der Wechselwähler beheimatet.

Innerhalb der eigenen Partei sehen dann die einen im ÖAAB nur die Linksüberholer, die aus der ÖVP am liebsten eine sozialistische Partei machen möchten. Die anderen erblicken im Wirtschaftbund nur die Kapitalisten, die sich zwar nach außen antisozialistisch gebärden, in Wirklichkeit sich jedoch vorwiegend „im Mastdarm sozialistischer Spitzenpolitiker aufhalten“, um entsprechende Aufträge zu bekommen. Der Bauernbund wird vielfach als konservatives Überbleibsel einer vergangenen Zeitepoche betrachtet.

Die Finanzhoheit der Teilorganisationen schließlich ist zwar eine logische Folge der Gesamtkonstruktion, doch führt sie oft nicht nur zu grotesken, sondern schon zu chaotischen Zuständen. Im Rahmen einer Be-zirksparteüeitung gibt es normalerweise sechs voneinander unabhängige Kassen der Teilorganisationen und eine vielfach auf diese angewiesene Parteikasse. Der Finanzreferent der Partei weiß aber nicht, wieviel Geld in den Kassen der Teilorganisationen ist. Letztere heben ja in sehr unterschiedlicher Höhe auch die Mitgliedsbeiträge ein, so daß die Parteikasse auf fragwürdige Beitragsanteile der Teilorganisationen und freiwillige Spenden irgendwelcher Gönner angewiesen ist.

Die Bünde dagegen verfügen nicht nur über die Mitgliedsbeiträge, sondern im Wege vielfältiger personeller Verflechtungen auch über andere Mittel. Dies trifft für den Bauernbund etwa im Bereich des Genossenschaftswesens bzw. der Raiffeisenor-ganisation, für den Wirtschaftsbund über die Industriellenvereinigung, Banken u. ä., sowie für den ÖAAB über die Fraktion christlicher Gewerkschafter (FCG) zu. Der Parteiobmann kann jederzeit von den Bünden im Wege der Finanzen zu sachlichen oder personellen Zugeständnissen erpreßt werden.

In einem Dilemma befindet sich die ÖVP aber auch bezüglich der Sozialpartnerschaft, durch deren Institutionen sich wachsende Bevölkerungsgruppen überhaupt nicht vertreten fühlen. Aber wie immer sie objektiv bewertet wird, verleiht sie der ÖVP in der breiten Öffentlichkeit das Image einer Unternehmerpartei, die Arbeitnehmerforderungen bremst.

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