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Özals zweiter Wahlsieg

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Bei den türkischen Gemeindewahlen hat Ministerpräsident Turgut özal mit seiner „Anava-tan"-Heimatpartei Ende März rund 45 Prozent der Stimmen gewonnen, özals Erfolg wiegt umso mehr, als diesmal zwei bei den Parlamentswahlen vom 6. November 1983 noch verbotene Oppositionsparteien mit im Rennen lagen.

Diese sind allerdings nach Ozal die zweiten Sieger des kommunalen Urnenganges in der Türkei. Dabei konnte die sozialdemokratische Sodep sichtlich an das Erbe und Wählerpotential der Republikanischen Volkspartei von Bü-lent Ecevit anknüpfen. Dieser selbst war als Kandidat nach wie vor ausgeschlossen und durfte auch keine Wahlwerbung für seine Anhänger betreiben.

Der schon immer schlaue Sozialdemokrat wich jedoch in den Norden von Zypern aus. Die Ende 1983 ausgerufene „Türkische Republik Zypern" verlieh Ecevit als Urheber der Invasion von 1974 ihre Staatsbürgerschaft und ermöglichte ihm so freie politische Betätigung auf ihrem Territorium.

Doch jede Rede des Alt-Ministerpräsidenten zwischen Girne und Lefkoscha galt den Kommunalwahlen im türkischen Mutterland. Diese Flankendeckung war angesichts der anfänglichen Zersplitterung bei der linken Mitte ein Gebot der Stunde.

Gewerkschaftspräsident Halil Tunc und Professor Erdal Inönü mit seiner Partei für soziale Demokratie (Sodep) stritten sich um die legitime Erbfolge der beim Herbstputsch von 1980 unterdrückten Republikanischen Volkspartei. Tunc brachte dazu seine Gefolgsleute vom Gewerkschaftsbund Türk-Isch (Türkische Arbeit), der bisher nur wissenschaftlich bekannte Physiker seinen Namen mit der Erinnerung an Atatürks Weggefährten und langjährigen Nachfolger Ismet Inönü mit.

Wurde er mit Ecevits Hilfe aus Nordzypern in der internen Vorentscheidung zum Sieger über Tunc, so konnte sich seine Sodep dann in den Stadtparlamenten der Industriestädte Istanbul, Iz-mir und Ankara durchsetzen. Doch auch das nicht zu Lasten von özals Heimatpartei. Vielmehr wurden von ihr die pseudosozialistischen Populisten an die Wand gedrängt. Dasselbe gilt für den kommunalen Wahlsieg der islamisch-konservativen „Partei des wahren Weges" (DYP) über die nationalistisch-reaktionären „Nationaldemokraten" des Exge-nerals Sunalp.

Ubergangspremier özal konnte sich in seiner auch international vielbeachteten Pressekonferenz vom 31. März darauf berufen, daß

er allein im vergangenen November nicht nur als Lückenbüßer für die damals vom passiven Wahlrecht ausgeschlossenen demokratischen Persönlichkeiten und Parteien aus der Zeit vor den dreieinhalb Jahren Militärherrschaft ersatzgewählt wurde. Zum Unterschied von ihm sind die echten Kollaborateure der Generalsjunta jetzt in allen Städten und Gemeinden hinausgewählt worden.

Im gegenteiligen Fall wäre özal um eine Wiederholung der Abgeordnetenwahlen nicht herumgekommen.

Hingegen konnte jetzt Turgut özal die Bildung einer parlamentarischen Untersuchungskommission in den türkischen Militärgefängnissen bekanntgeben. Aus Ankara und Diyarbakir, aber ebenso von anderswo, haben sich die Vorwürfe wegen Folter, Mord und brutaler Haftbedingungen gemehrt.

Der demokratische Meilenstein dieser türkischen Gemeindewahlen, bei denen fast 20 der 21 Millionen Stimmberechtigten gegen die Diktatur und ihre politischen Lakaien gewählt haben, ist aber nicht nur fern am Bosporus von Bedeutung. Die Türken haben gleichzeitig für Europa und ihre Zugehörigkeit zur freien Welt gestimmt, obwohl sie fast ringsum von den totalitären Systemen des Kommunismus und Islamismus umgeben sind.

Die einzige Westgrenze nach

Griechenland war seit den Sechzigerjahren durch rigorose Visa-Bestimmungen so gut wie unpassierbar, özal hat diese Schranken jetzt mutig weggeräumt und damit ein gutes Gesprächsklima für die eigentlichen Probleme zwischen Ankara und Athen auf Zypern und in der Ägäis, bei den thrakischen Türken und den Griechen von Istanbul, den Prinzeninseln und Imroz geschaffen.

Die Verteidigungsminister der NATO, die sich Anfang April zu ihrer Frühjahrskonferenz in der türkischen Hauptstadt versammelt haben, konnten sich keine bessere Starthilfe als diesen zweiten Wahlsieg özals und seine außen- wie innenpolitischen Auswirkungen wünschen. Nach der Aufgabe Libanons durch die westlichen Friedenstruppen sind

Zypern, Kreta und Anatolien die letzten Bastionen der amerikanisch-europäischen Verbündeten am östlichen Mittelmeer.

Doch konnten NATO, Europarat und die EG, um deren Mitgliedschaft sich Ankara bemüht, die Türkei seit 1980 und auch noch nach dem November 1983 nicht gerade als Schmuckblatt und Aushängeschild für ihre freiheitlichen Grundsätze betrachten. Aus Brüssel und Straßburg drohten den Türken die ersten Sanktionen.

Nun ist aber zum Vorteil aller, Türken wie Europäer, Turgut özal bestätigt worden: ein Mann, der von seiner Ausbildung und Praxis her ein westorientierter Wirtschaftsfachmann ist und politisch einen Mittelkurs verfolgt.

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