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Offener Brief an einen Unzeitgemäßen

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Der aus Südtirol gebürtige und jetzt in Bayern lebende Herbert Eosendorfer war trotz einigen kleinen Publikationen ein weithin Unbekannter, bis er 1969 mit seinem Roman „Der Ruinenbaumeister" einen Sensationserfolg errang — einen Erfolg, der sensationell war in doppelter Hinsicht: Erstens einmal wurde das Buch nicht nur viel gerühmt, sondern auch viel gekauft, und zweitens geschah dies, obwohl Rosendorfer auf keiner wie immer gearteten neuen Welle mitschwimmt, sondern handfest erzählt und, incredibile dictu, mit einem in Bildung fundiertem Witz erzählt. Der „Monat" sprach ganz zu Recht von einem „verwegenen Einbruch in die monotonen Gefilde zeitgenössischer Literatur". Wie wahr!

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Der aus Südtirol gebürtige und jetzt in Bayern lebende Herbert Eosendorfer war trotz einigen kleinen Publikationen ein weithin Unbekannter, bis er 1969 mit seinem Roman „Der Ruinenbaumeister" einen Sensationserfolg errang — einen Erfolg, der sensationell war in doppelter Hinsicht: Erstens einmal wurde das Buch nicht nur viel gerühmt, sondern auch viel gekauft, und zweitens geschah dies, obwohl Rosendorfer auf keiner wie immer gearteten neuen Welle mitschwimmt, sondern handfest erzählt und, incredibile dictu, mit einem in Bildung fundiertem Witz erzählt. Der „Monat" sprach ganz zu Recht von einem „verwegenen Einbruch in die monotonen Gefilde zeitgenössischer Literatur". Wie wahr!

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Herr-Rosendorfer!

Die Anrede müßte Ihnen schon alles sagen — indessen: ich sage noch mehr. Und zwar:

Eigentlich halben Się sich ja selbst schon entlarvt, als Sie in Ihrem ,,Ruinenbaumeister“ — schon der Titel des Buches spricht Bände! — die heiligsten Güter nicht hur der Nation, sondern der gebildeten Menschheit schlechthin in den Kot Ihrer Komik zogen! Aber statt nun in sich zu gehen und in grauen Gerichtsstuben Ihr etwa an Faust, aber eigentlich an der ganzen abendländischen Kultur begangenes Sakrileg zu büßen, schleudern Sie, von dem sattsam bekannten Verleger Daniel Keel mit schnödem Honorar bestochen, ein neues Buch auf den übersättägtein Markt, das jenes erste, das man allenfalls noch für eine pubertäre Verirrung halten mochte, gewissermaßen legitimiert, ja ihm erst jene Krone aufsetzt, die es freilich so wenig verdient wie Sie den Lorbeerkranz, den eine noch immer an Homer, statt an Handke orientierte, also desorientierte Literaturkritik Ihnen widmet.

Dieses neue Buch — „Der stillgelegte Mensch“ — ist kürzer als jenes, aber gerade dadurch tritt die Infamie gleichsam unumschnörkelt hervor: etwa wenn Sie, Herr Rosendorfer, in der Erzählung „Der Sieger bin ich" einen Mann des wohlverdienten Erfolges zuerst an einer, wie Sie selber nicht leugnen können, eher lasziven Dame und dann an dem sonst nur faulenzenden römischen Straßenpöbel jämmerlich, bis zum Verlust des Toupets, scheitern lassen, und zwar in der offenkundigen Absicht, den Erfolg als das Kriterium unseres Menschseins in Frage zu stellen. (Wie wenig weit haben Sie’s denn gebracht, he?) In „Maik Hammer und das rote Tuch“ versteigen Sie sich gar zu hanebüchener Geschichtsfälschung; dergestalt nämlich, daß Sie den Aufbruch revolutionärer Massen in einem Zufall, in einem Mißverständnis begründet sehen, wobei Sie sich weder genieren, den (allen stu- dentischep Helden zwischen dem Wilden und dem Berliner Westen heiligen) Namen Ho Tschi-minh eitel zu nennen, noch auch, auf den bekanntlich mit einer Aktentasche bewaffneten Vorsitzenden Rudi Dutschke hämisch anzuspielen — als ob nicht schon der heilige Marx das Gegenteil von allem und die Mao- Bibel das Gegenteil sogar auch des Gegenteils bewiesen hätte! Und daß Sie, in der krankhaft bizarren Vision von dem in Paris entwurzelten und just (F. J. Strauß) nach Bayern transportierten Eiffelturm, die doch jedem „Spiegel“-lesenden Menschen am Herzen liegende Völkerverständigung, die Ihnen freilich offenbar bloß im Magen liegt, verulken: das versteht sich dann eigentlich schon von sdbst. Die Tatsache aber, daß Ihr skurriler Humor — insbesondere in „Die Karriere des Florenzo Wald- weibel-Hostelli“ — dem Doderers öder Herzmanovsky-Orliandos nicht nachsteht, kann nicht als Alibi gelten, sondern müßte strafverschärfend wirken, denn eben damit ködern Sie das noch nicht zum Klassenbewußtsein erwachte, sondern vorerst noch den Freuden des Lebens zugewandte Publikum.

Doch nicht nur den Glauben an den Fortschritt, nicht nur den Kampf für den Frieden, nicht nur das soziale Engagement lassen Sie, Herr Rosendorfer, vermissen, sondern auch dasjenige Element, in das eine fast drei- tausendjährige Literaturgeschichte — remember good old Hegel! — nun glücklich eingemündet ist: den Sex. Schämen Sie sich nicht, den Geschlechtsverkehr allenfalls, wie in der finsteren Renaissance, charmant und diskret zu umschreiben und dadurch geheimnisvoll ahnbar zu machen, anstatt Ihn packend vorzuturnen? Glauben Sie wirklich, so ganz ohne (mindestens) homosexuelle Gruppensodomie Ihre Leser aus den bourgeois-dekadenten Nie derungen erotischer Delikatesse heraus zu der von „Hair“ und „Flesh“ markierten Höhe der Zeit verführen zu können?

Und — Kolle und Zimmermann sei’s geklagt! — nicht nur die Lust, sondern auch das Verbrechen bleibt, soi disant, bekleidet, nämlich mit Metaphysik, indem Sie dem Leser der drei bis vier in dem Band enthaltenen Mordgeschichten eine tiefere Dimension des blutigen Geschehens offerieren. Bei dem als Amerikaner natürlich ungebildeten Raymond Chandler mag das noch hingehen: im Töten und im Getötetwerden das sichtbare Resultat unsichtbarer Vorgänge zu erblicken. Von Ihnen, Herr Rosendorfer, aber erwarten wir keine wie immer entarteten Subtilitäten, sondern das kriminalistisch und juristisch Faßbare. Wir Leser haben, genauso wie unsere noch analphabetischen Kleinchen vorm Bildschirm, das Recht auf Blut und sonst nichts — und eben dieses wird uns von Ihnen vorenthalten: Sie gönnen es bloß den von Ihnen auch andernorts in den literarischen Himmel gehobenen Vampiren. Wofür aber halten Sie, also, uns?

Antworten Sie, bitte, nicht! Sie stehen ja sowieso in dem nicht unbegründeten Verdacht, sich Gedanken zu machen, und ein Mensch, der sich Gedanken macht, geht seiner Umwelt auf die Nerven. Sie denken, zum Beispiel, über die Zeit, und finden, daß diese durchaus subjektiv sei:-abhängig von Maß und Grad des Denkens: „Wer viel denkt, dem vergeht die Zeit schnell. Manche Denker haben es darin so weit gebracht, daß sie schließlich der Durchschnittszeit ihrer Umgebung um Hunderte von Jahren voraus sind.“ Und Sie folgern: „Wie es eine Geographie des Raumes gibt, gibt es auch eine der Zeit.“ Und in der Titelgeschichte treiben Sie diese Spekulationen bis zum Exzeß: ein Mensch wird durch medizinische Machinationen für. elf Tage „stillgelegt“, aber nicht der Herzchirurg Barnard, sondern der Opernheld Orpheus kommt ins Spiel. Von dem ärztlichen Experiment wird dann, geradezu mittelalterlich, resümiert: „Man sollte auch heutzutage Gott’ n: čh* ‘ ‘•’versuchöin, • seifetdann nicht, wenn ės gar keinen gibt." Solches zu denken ist schon schlimm genug. Zur Schweinerei wird solches Denken aber dann dadurch, daß Sie, Herr Rosendorfer, es in einer wahrhaft faszinierenden^ Sprache praktizieren: in einer reichen, bunten, schillernden, dabei harten, strengen, disziplinierten Sprache, in einer grammatikalisch treuen und dennoch flexiblen, in einer wie aus Metall gehämmerten und zugleich wie Wasser fließenden Sprache, in der das Gesagte ein Höchstmaß des Gemeinten repräsentiert; in einer Sprache obendrein, die selbst dem ideologisch unwilligen Leser alle paar Seiten ein unwillkürliches (und vor Che und so weiter natürlich unverantwortbares) Gelächter entkitzelt — was dem Kollegen Jandl, an dessen Gefalle Sie sich auch sonst ein Beispiel nehmen könnten, gewiß nie passieren wird. Denken Sie, in Draculas Namen, was immer Sie wollen, Herr Rosendorfer; aber sagen Sie’s, bitte, in dem revolutionären Jargon der Reaktionäre, damit man, Gott behüte!, nicht versteht, was Sie meinen. Anders ausgedrückt: Sie müssen, wenn Sie ein derzeit wahrhaft deutscher Dichter sein wollen, so blöd zwar nicht sein, aber tun, wie es der blödeste Ihrer potentiellen Leser nicht ist.

Aber — aber — aber — wollen Sie eigentlich ein derzeit wahrhaft deutscher Dichter sein? Das fragt sich, in jähem Erschrecken, Ihr Sie vielleicht ganz fundamental verkennender Leser und Kritiker

Herbert Eisenreich *

Herbert Rosendorfers Erzählungen mit dem Titel „Der stillgelegte Mensch" sind im Diogenes-Verlag, Zürich, erschienen.

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