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„Offenheit für Kritik"
Das im ORF ausgestrahlte Interview mit Karl R. Popper zeigte, welcher Charme von einem wahrhaften Wissenschaftler und Philosophen auszugehen vermag. Gerade gegenüber Epigonen, die sich mit ihrem wissenschaftlichen Planen in den Dienst einer nur allzu durchsichtigen Politik stellen, schafft er ein notwendiges Gegengewicht. Seine autobiographischen Aufzeichnungen „Ausgangspunkte" bestätigen nur diesen Eindruck.
Neben den Lebensdaten gewährt dieses Buch, wie sein Untertitel sagt, vor allem Einblicke in seine „intellektuelle Entwicklung". Seine Forschungen und Theorien, von der „Logik der Forschung" bis zur „Offenen Gesellschaft", sind so lebensnah geschildert, daß vieles unmittelbar einsichtiger und klarer gestellt wird, was man beim Lesen seiner Bücher nur unter schwieriger Anstrengung erarbeiten muß. Die Berichte über seine Gespräche mit Einstein, Bohr, Schrödinger u. a. tragen wesentlich bei, den Werdegang seiner Studien fruchtbringender zu erfassen.
Der Elan der jungen Arbeiterbewegung, an der er sich beteiligte - Popper begann als Tischlerlehrling und Lehrer für sozial gefährdete Kinder -, läßt die ursprüngliche Frische dieser Bewegung wieder aufleben und zeigt, wie er auch in seinen politischen Ansichten keinem saturierten Unfehlbarkeitsdünkel verfiel, der uns heute so viel zu schaffen macht. Die Frucht seines wissenschaftlichen Forschens wie seines politischen Engagements ist die zentrale Einsicht, „daß man Vernunft und Vernünftigkeit am besten als Offenheit für Kritik interpretieren kann ... und ich versuche, Gründe dafür anzugeben, , daß'diese kritische oder vernünftige Einstellung auf so viele Gebiete wie möglich ausgedehnt werden sollte".
Nicht wenig trug zu dieser Einstellung bei, daß Popper auch ein musischer Mensch war, dem die Auseinandersetzung mit Kunst, insbesondere Musik, ein Anliegen bedeutete. Seine Rede zu den Salzburger Festspielen 1979, „Schöpferische Selbstkritik in Wissenschaft und Kunst", wehrt sich, wie überall und immer, gegen jede „Einimpfung" manipulierter Moden. Sein kritischer Rationalismus steht gegen jeden offenen und anonymen Faschismus, gegen jede Gewaltsamkeit wissenschaftlicher und politischer Anmaßung, jene wahren Feinde der Freiheit. Konservatives Bonzentum wie progressive Arroganz befinden sich auf dem gleichen Niveau, sofern hier überhaupt noch von Niveau gesprochen werden kann, auch wenn sie nach außen wie unvereinbare Gegensätze erscheinen. Fortschritt in Wissenschaft und Gesellschaft kann es nur mit jener intellektuellen Redlichkeit geben, die sich dem „sokratischen Wissen von der Unendlichkeit meines Nichtwissens" verpflichtet weiß.
AUSGANGSPUNKTE: Meine intellektuelle Entwicklung. Von Karl R. Popper. Aus dem Englischen von Friedrich Griese. Hoffmann und Campe-Verlag, Hamburg 1979, 376 Seiten, öS 292,00.
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