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Offenheit statt Angst!

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Gerade in der heutigen Zeit ist eine Theologie, die mit einer modernen Universität in einer offenen Kommuni- kation stehen kann, unver- zichtbar - meint ein Medizi- ner und Rektor.

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Gerade in der heutigen Zeit ist eine Theologie, die mit einer modernen Universität in einer offenen Kommuni- kation stehen kann, unver- zichtbar - meint ein Medizi- ner und Rektor.

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Als Naturwissenschaftler hat man das Bedürfnis, bei der Beobach- tung von Ereignissen das Grund- muster zu erkennen, das den Ab- lauf der Vorgänge verstehbar macht.

Die Berichte, die in letzter Zeit fast wöchentlich neue Überra- schungen bescheren, zeichnen sich durch ihre Irrationalität und durch das Gefühl, daß dahinter ungeheu- re und unausgesprochene Angst

Kritik anzuführen ist.

Sehr ernst zu nehmende Gerüch- te sprachen vor einigen Wochen davon, daß Kräfte aus dem Bereich der katholischen Kirche daran arbeiten, die Theologischen Fakul- täten aus den Universitäten Öster- reichs zu entfernen.

Nicht nur in den Universitäten und in der Rektorenkonferenz, sondern bei allen engagierten Gläu- bigen hat dieser Bericht Beunruhi- gung hervorgerufen.

Nachdem kaum einige ruhigere Tage vergangen sind, wird in den Medien über ein Gutachten eines Theologen berichtet, das alle jene, die gegen Mord und Totschlag in Krieg und Konflikt eintreten, mit wohlüberlegten Argumenten desa- vouiert, ein Aspekt, in dem offen- bar versucht wird, reale Schuld durch Überkompensation zu elimi- nieren.

Die beschriebenen Ereignisse stellen eine ansehnliche Liste von offensichtlich wohlgezielten Schlä- gen dar. Für den Rektor einer der alten Universitäten Österreichs, ist vor allem das Gerücht über den Wunsch, die theologischen Fakul- täten auszugliedern, ein Alarmzei- chen.

Es ergibt sich durch Zufall, daß am 23. Juli 1990 der Ministerpräsi- dent Sloweniens bei einer Diskus- sion an unserer Universität versi- chert hat, seine Regierung werde alles unternehmen, um die wäh- rend der Zeit des Tito-Regimes vollzogene Ausgliederung der theo- logischen Fakultät der Universitä- ten Laibach und Marburg so schnell wie möglich rückgängig zu machen.

Die Komplementarität der bei- den Trends der neuesten Zeit ist bemerkenswert.

Zu den Aspekten des diskutier- ten Problems habe ich unter ande- rem vor kurzem festgestellt: Die Tatsache, daß an der Universität Graz soeben ein Theologe und Mönch zum neuen Rektor - als mein Nachfolger für die Studienjahre 1991 bis 1993 - gewählt wurde, demonstriert die tiefe Verwurze- lung dieser Fakultät, deren Ge- schichte mit der Gründung unserer Universität als Jesuitenschule durch Erzherzog Karl von Inner- österreich im Jahre 1585 beginnt. Bemerkenswert bei dieser Rektors- wahl, bei der der Bibel Wissenschaft- ler Franz Zeilinger die notwendige Mehrheit der Stimmen erhielt, ist die Tatsache, daß die Stimmen, die für die beiden zur Wahl stehenden Theologen abgegeben wurden, 95 Prozent der anwesenden stimmbe- rechtigten Wahlpersonen entspra- chen. Da die politischen und welt- anschaulichen Einstellungen an der Universität nicht sehr wesentlich vom Landesdurchschnitt abwei- chen dürften, kann man folgern, daß die Anerkennung der theologi- schen Fakultät quer durch alle Lager geht.

Gerade in der heutigen Zeit, die ein Nachdenken über moralische und geistige Werte und über Sinn- gebung dringend benötigt, ist eine Theologie, die mit einer modernen Universität in einer offenen Kom- munikation stehen kann, unver- zichtbar.

Es wäre ein furchtbarer Fehler, die Akzeptanz unserer Theologen durch Andersgläubige, Ungläubi- ge und auch sogar durch Gegner der Kirche als etwas Negatives zu betrachten. Diese Akzeptanz be- ruht vielmehr auf jener Achtung, die alle wahrheitssuchenden Men-

sehen gegenseitig empfinden.

In allen Bereichen der Forschung wird heute der Bedarf an philoso- phischen und theologischen Grund- lagen offensichtlich. Unsere natur- wissenschaftlichen Kenntnisse haben jene Überheblichkeit über- wunden, die alles zu verstehen meinte und die die Wissenschaft der Erkenntnis des lebendigen Gottes als eine Absurdität hinstell- te. Heute zweifelt niemand mehr an der Notwendigkeit einer Verknüp- fung von Naturwissenschaft, Gei- steswissenschaft und Theologie, sowohl im Bereich der Theorie als auch im Bereich der Praxis. Es gibt kaum Tagungen über umfassende Themen der Naturwissenschaft oder der Medizin ohne entschei- dende Beteiligung eines Theologen.

Als aktuelles Beispiel sei erwähnt, daß erst vor kurzem im Rahmen der Sommerakademie in Graz Ta- gungen über die Themen „Krieg, Konflikt, Kommunikation" sowie „Unsere Zukunft, das Kind" statt- fanden. Bei beiden Tagungen sprachen Theologen zum Thema. In Spitälern wird man auch in Europa mehr und mehr die Seelsorger in die therapeutischen Teams einbe- ziehen. - Vielleicht in Österreich etwas später als anderswo, weil wir noch immer die Einstellung von Schnitzlers „Doktor Bernhardi" nicht überwunden haben.

Die Mitarbeit eines Priesters in der Ethikkommission der Medizi- nischen Fakultät in Graz ist vor einigen Monaten festgelegt worden. Gemeinsame Lehrseminare von Medizinern, Philosophen und Theo- logen finden hier bereits seit Jah- ren statt.

Der Wunsch nach Ausgliederung einer Gründungsfakultät erscheint mir als selbstmörderischer Ana- chronismus, der eher einer krank- haften Reaktion vergleichbar ist.

So manches, was an schwer ver- ständlichen Maßnahmen oder Ent- scheidungen in gewissen Kreisen der Kirche in letzter Zeit geschieht oder erwogen wird, trägt neuroti- sche Züge. Zu diesen gehört vor allem das vielfältige Erscheinungs- bild der Angst.

Angst vor Kritik, zwanghafte Angst vor allem Neuen, Angst vor dem anderen Geschlecht. Angst mit dem ständigen Gefühl einer irra- tionalen Schuld, mit dem Bedürf- nis nach einer Bestrafung. Vor lau- ter Angst, irgendetwas nicht kor- rekt vollzogen zu haben, wird dem Unwichtigsten - wie etwa der Fra- ge der Ministrantinnen - laut Pro- tokoll der Bischofskonferenz un- glaubliche Bedeutung beigemessen.

Der Schaden, der durch diese Einstellung entsteht, ist schlimmer als das Risiko, daß etwa durch Forschungsergebnisse Glaubens- wahrheiten gefährdet werden könn- ten.

Ich habe das Gefühl, daß Chri- stus in keiner anderen seiner Ak- tionen so sehr als der „Christus Medicus" gegen die neurotische Kleingläubigkeit und Sturheit psy- chotherapeutisch demonstriert hat, wie bei seinem ersten Wunder bei der Hochzeit zu Kana. Abgesehen davon, daß es sich um eine Hochzeit gehandelt hat, hat er gezeigt, daß zuweilen sogar Inkonsequenz zu- lässig ist. Er ist ferner - und das scheint mir wesentlich - das Risiko eingegangen, daß im bereits fortge- schrittenen Zustand des Festes gerade durch sein Wunder vielleicht sogar Mißbrauch Vorschub gelei- stet wird.

Dieses Evangelium der Risikobe- reitschaft und Offenheit sollte sich eine Obrigkeit ständig vor Augen halten, die, fast wie damals die Pharisäer, alles bis ins Letzte re- geln und in den Griff bekommen möchte und die nun alles verbieten und einengen möchte, was nur im entfernten die Gefahr einer zu gro- ßen Freiheit in sich birgt.

Wo kommen wir aber hin, wenn uns in einer Zeit, wo die Grenzen zwischen den Fakultäten und Wis- senschaften zu fallen beginnen, die Freiheit des Forschens abgespro- chen werden soll?

Der Autor ist Professor für Physiologie und derzeit Rektor der Universität Graz.

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