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Ohne Ausgleich geht es nicht

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Mit der Wahl werden neue Frauen und Männer in den Natio- nalrat einziehen. Mit guten Vorsätzen. Und belastet mit dem zweifelhaften Ruf, den Politiker heute in der Öffentlichkeit haben. Einer, der 1986 in dieser Situation war, zieht Bilanz.

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Mit der Wahl werden neue Frauen und Männer in den Natio- nalrat einziehen. Mit guten Vorsätzen. Und belastet mit dem zweifelhaften Ruf, den Politiker heute in der Öffentlichkeit haben. Einer, der 1986 in dieser Situation war, zieht Bilanz.

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Wenn ich - rückblickend auf die vier Jahre meiner bis- herigen aktiven politischen Tätig- keit - festhalten soll, was mich am meisten irritiert hat, so ist es die Diskrepanz zwischen dem Bild des Politikers in der Öffentlichkeit und seiner tatsächlichen Arbeit.

Dieses Phänomen ist keineswegs auf die Politik beschränkt. Män- ner, die nie, auch in ihrer Kindheit nicht, einen Handgriff im Haushalt getan haben, neigen zur Auffas- sung, die Tätigkeit einer Hausfrau bestehe darin, beim Friseur zu sit-

zen und Illustrierte zu lesen. Ein hoher Richter sagte mir einmal al- len Ernstes: „Was tut denn so ein Generaldirektor überhaupt? Er arbeitet ja gar nicht, so wie wir; er telefoniert nur herum!"

Analog dazu haben all jene, die nie in der Politik tätig waren (und dies ist in einer repräsentativen Demokratie die große Mehrheit der Bevölkerung) die feste Auffassung: Politiker besuchen Kirchtage und Feuerwehrfeste und kassieren da- für Höchstbezüge, womöglich noch jenseits der Grenze der Legalität; Die Fälle R. (für Höchstbezüge) oder B. (für gerichtliche Verurteilung) sind doch ausreichender Beweis.

Dieser Induktionsschluß ist ge- nauso beweiskräftig wie die Haus- frau beim Friseur. Politik bedeutet den geordneten Ausgleich von In- teressengegensätzen, wie diese einer pluralistischen Gesellschaft inhärent sind, und zwar gleichzei- tig auf einer Unzahl von Ebenen - Generationenkonflikt, Arbeitneh- mer versus Arbeitgeber, Handel versus Industrie, Einzelhandel ver- sus Großhandel, Kleinhandel ver- sus Einkaufszentren, Hauptschul- lehrer versus AHS-Lehrer, Konsu- menten versus Produzenten, Län- der versus Bund. Gleichzeitig ver- ändern sich die politischen, wirt^ schaftlichen und technologischen Gegebenheiten immer rascher-vor 20 Jahren war das Waldsterben, vor zehn Jahren die CO,-Proble- matik noch kein Thema.

Jeder einzelne Mensch, aber auch j eder einzelne Politiker, vermag nur noch einen immer geringer wer- denden Teil des Gesamtgeschehens

zu durchschauen.

In diesem Sinne ist es eigentlich bewundernswert, was „die Politik" in unseren westlichen Demokratien in den letzten Jahrzehnten zustan- de gebracht hat, etwa im Vergleich mit den (bisher) zentral gelenkten Staaten Osteuropas. Selbst in der Umweltpolitik sind wir jenen ande- ren Systemen meilenweit voraus. Und gerade die nunmehr zu Ende gehende Legislaturperiode hat auf vielen Gebieten grundsätzliche Weichenstellungen vorgenommen - allein im Umweltbereich mit dem Chemikaliengesetz, dem FCKW- Verbot, dem Pflanzenschutzmit- telgesetz, dem Luftreinhaltegesetz, dem Smogalarmgesetz, der Sonde- rabfallgesetznovelle, dem Wasser- rechtsgesetz, Altlastensanierungs- gesetz und Abfallwirtschaftsgesetz. Von all diesen Gesetzen spürt der Staatsbürger in seinem täglichen Leben nichts - all diese Gesetze verhindern ja nur schwere Schä- den, die in den kommenden Jahren einträten, wenn diese Gesetze nicht verabschiedet worden wären.

Ein Beispiel für die hartnäckige Fehlbeurteilung der Politik sei herausgegriffen: der sogenannte Klubzwang. Vorausgeschickt sei, daß Artikel 18 der Bundesverfas- sung Behörden dazu verhält, (nur) aufgrund von Gesetzen aktiv zu werden. Dies zwingt dazu, jeden noch so nebensächlichen Sachver- halt gesetzlich zu regeln. Ein Jahr- gang des Bundesgesetzblattes um-

faßt rund 5.000 (!) Seiten - es ist physisch unmöglich, daß alle Ab- geordneten alle Gesetze gemeinsam ausarbeiten.

Zunächst einmal gibt es eine große Zahl von Gesetzen, die sowieso einstimmig, mit den Stimmen aller Abgeordneten aller Parteien ver- abschiedet werden, von einer durch die Regulierung des Lafnitzbaches erforderlich gewordenen Verlegung der Landesgrenze zwischen der Steiermark und dem Burgenland bis hin zu einem Beschluß zur Er- haltung der tropischen Regenwäl- der.

Dann gibt es den großen Bereich all jener Spezialgesetze, die infolge der allgemeinen Überforderung nur von einem kleinen Teil der Abge- ordneten, die im betreffenden Un- terausschuß tätig sind, erarbeitet werden konnte. Hier bleibt allen anderen Abgeordneten gar nichts anderes übrig, als darauf zu ver- trauen, daß ihre Kollegen in dieser Ausschußarbeit bis an die Grenze des dem politischen Partner zu- mutbarem gelangt sind; ich werde daher dem Gesetz zustimmen, auch wenn ich mir (samt meinen im be- treffenden Unterausschuß tätigen Kollegen!) in vielen Punkten ande- re Regelungen gewünscht hätte. Die Alternative zu diesem Verhalten würde ja bedeuten, daß überall dort, wo ein Ausgleich von Interessen- gegensätzen erforderlich ist, über- haupt nie eine gesetzliche Rege- lung zustande käme.

Dann aber gibt es den - zuneh- menden - Bereich, in welchem die eigene Überzeugung zu sehr stra- paziert würde. Es ist der Öffent- lichkeit in Österreich zu wenig bewußt geworden, daß diesbe- züglich in der abgelaufenen Le- gislaturperiode ein grundlegender Wandel eingetreten ist. Glaubte man bei der Draken-Abstimmung, als steirische ÖVP-Abgeordnete gegen einen Minister der eigenen Partei einen Mißtrauensantrag ein- brachten noch, die Welt stürze ein, stimmten bald darauf - bei einem Namensgesetz - die weiblichen ÖVP-Abgeordneten gegen die eige- ne Partei, ja, kam es anschließend immer häufiger in jeder der vier Parteien zu einem gespaltenen Stimm verhalten, ohne daß dies noch besonders auffiel oder irgendwelche Konsequenzen nach sich gezogen hätte.

Ja, die Medien warfen der ÖVP sogar vor, daß sich die Abgeordne- ten des Österreichischen Wirt- schaftsbundes in der Frage des zweiten Karenz Jahres nicht an den „Klubzwang" hielten.

Am vorletzten Parlamentstag votierten-beim Sportstättengesetz - sogar die Abgeordneten aller vier Parteien unterschiedlich. Ich sehe schon die selben Kritiker, die bis- her den „Klubzwang" verteufelten, nunmehr „das Bild der Zerrissen- heit" beklagen, das die Politik doch bietet...

Alles bisher Gesagte sei nicht dahingehend mißverstanden, daß in der Politik alles zum Besten be- stellt sei. Im Gegenteil: Politiker sind Menschen aus Fleisch, und Blut, mit Vorzügen, Fehlern und Mängeln. In der Politik geht es nicht anders zu als in der Familie oder am Arbeitsplatz, Nur, und damit schließt sich der Kreis: In der Fa- milie, am Arbeitsplatz, nehmen wir alle Unzulänglichkeiten und Unge- rechtigkeiten in Kauf, weil wir sie kennen; in der Politik aber, die un- gleich komplexer ist, erwarten wir, weil wir sie nicht kennen, engel- gleiche Perfektion.

Der Autor, seit 1968 Professor für Statistik an der Universität Wien, ist seit 1986 Abgeordneter zum Nationalrat und Umweltsprecher der ÖVP

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