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Ohne Beschönigung

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Nachholkurs: Vor 43 Jahren kam das Volksstück „Geschichten aus dem Wienerwald“ des Österreichers ödon von Horväth in Berlin zur Uraufführung. Jetzt erst sieht man es im Burgtheater. Ein Versäumnis wird gutgemacht, nur eben fast ein halbes Jahrhundert später. Kommt es nun zu einer Wiedergabe, die das Spezifische dieses Dichters herausarbeitet?

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Nachholkurs: Vor 43 Jahren kam das Volksstück „Geschichten aus dem Wienerwald“ des Österreichers ödon von Horväth in Berlin zur Uraufführung. Jetzt erst sieht man es im Burgtheater. Ein Versäumnis wird gutgemacht, nur eben fast ein halbes Jahrhundert später. Kommt es nun zu einer Wiedergabe, die das Spezifische dieses Dichters herausarbeitet?

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Die Geschichte des Mädchens Marianne aus dem Laden des „Zauberkönigs“, das sein Herz an den Falschen, den Strizzi Alfred, hängt und ins Elend gerät, bis die innerlich fast Zerstörte doch den Fleischermeister heiraten wird, hat viel Bitternis. Und die Menschen rund um Marianne sind Beute ihrer Gutherzigkeit, aber noch viel mehr ihrer Egoismen, ihrer Verhärtung, ihrer Schlechtigkeit. Das wird ohne Beschönigung gezeigt, es ersteht in meisterlichen Dialogen, in denen sich wie selbstverständlich ihr Innerstes entblößt.

Hat Otto Schenk, der Regisseur der Aufführung, Scheu vor all dem Herben, Dunklen, Bösen? Er ist sehr merkbar bestrebt, Gegengewichte zu schaffen, indem er die Szenen durch eine Fülle vorzüglich beobachteter naturalistischer Einzelheiten publikumswirksam ausfächert. Man spürt, mit welchem Genuß er etwa die Heurigenszene breit darbietet und auch die Szene im Nachtlokal mit einem Nacktauftritt Mariannes groß aufmacht. Das sehen Parkett und Ränge mit Wonne. Die Gefahr, sich am Herben zu sehr zu stoßen, wird durch diese gut gefederte Polsterung verhindert. Aber ist das noch Horväth? Die Bühnenbilder von Günther Schneider-Siemssen unterstützen den Regisseur in seiner Absicht, möglichst Gefälliges zu bieten. Besondere Effekte: Dreht sich die Drehbühne mit ihrer Projektionswand, gleiten die Projektionen ineinander über.

Hervorragende schauspielerische Leistungen bieten Gertraud Jesserer als dem Gefühl verfallene Marianne, Wolfgang Hübsch als charakterloser Schigeri Alfred, Karl Paryla als egoistisch verbohrter Zauberkönig, Jane Tilden als männernärrische Trafikantin, Adrienne Gessner als scheinheilig-bösartige Großmutter, Heinrich Schweiger als primitiv gutmütiger Fleischermeieter.

Stücke von Federico Garcia Lorca wurden schon geraume Zeit bei uns nicht mehr aufgeführt. Weshalb? Sie sind poetisch und enden tragisch. Beides widerspricht dem Trend der heutigen Dramatik, fast nur das Widerwärtige unserer Zeit, und zwar schwarz in schwarz wiederzugeben. Da spielt nun das Volkstheater in den Wiener Außenbezirken Lorcas „Die wundersame Schustersfrau“, das einzige nicht tragische unter seinen Stücken, eine Posse. Die temperamentgeladene Titelgestalt macht ihrem sanften, viel älteren Gatten das Leben zur Hölle, so daß er davongeht, worauf sie sich in Sehnsucht nach ihm verzehrt und so lebt „als ob er da wäre“. Er kehrt als Schausteller und Bänkelsänger zurück, wird zunächst nicht erkannt, dann aber lodert die Freude des Wiederverein'tseins. Der gute Kern löst sich bei ihr aus der rauhen Schale. Guter Kern, das gibt es da noch, poetische Ansätze, die aus dem Volkstümlichen Andalusiens erstehen, sind auch in dieser Posse spürbar. Regisseur Peter Birkhof er bringt das schlichte Stück wirkungsvoll zur Geltung. Elfriede Ramhapp ist eine sprühend temperamentvolle Schustersfrau, Oskar Willner gibt dem Gatten das Duldende und dann das Komödiantische des Bänkelsängers. Maxi Tschunko entwarf das milieugerechte Bühnenbild.

Unter den französischen Schwank-fabrikanten erreichte — Jahrzehnte vor Feyideau — Eugene Labiche besondere Erfolge. Er hat zum Teil mit anderen Autoren 175 Stücke geschrieben. Der Schwank „Der ,Prix Martin'“ wird derzeit von den Komödianten“ im Theater am Börseplatz aufgeführt. Was fand die bürgerliche Gesellschaft von damals unterhaltlich? Eheliche Untreue, Gehörnte. Frau Loisa Martin betrügt ihren Mann mit dessen Freund Agenor, geht dann mit Hernandez durch. Der Gatte beschließt Rache, ist dazu nicht fähig, so muß der verbliebene Agenor zur Strafe einen „Preis Martin“ stiften und der Gehörnte kann mit ihm weiter Karten spielen. Von typisierender Charakterkomödie, wie man Labiches Stük-ke kennzeichnet, ist da nicht viel zu spüren, die Feydeausche Präzisionsmechanik fehlt. Peter Stein spielte vor einigen Monaten in Berlin einen Labiche-Schwank mit „kritischer Genauigkeit“, Regisseur Conny Hannes Meyer dagegen führt diese Szenen mit übersteigerten Gesten, mit skandierendem Sprechduktus vor, das soll die Vorgänge lächerlich machen. Es ist aber nichts zum Lächerlichmachen vorhanden, worum es da geht, ist viel zu belanglos, interessiert nicht. Die Übertreibung kann daher nicht greifen. Helmuth Wiesner verkörpert als Martin voll diesen Spielstil, Helga Illich bleibt als dessen Frau etwas verhaltener, Dieter Hofinger exaltiert als Hernandez. *

Ebbt die Grausamkeitswelle auf dem Theater doch ab, obwohl Terror weiterhin fast die ganze Welt beherrscht? Das „Theater der Courage“ spielt unter dem Titel „Freizeit“ drei Einakter des Bundesdeutschen Renke Korn, die weder Folter noch Mord vorführen. Es sind „drei Beispiele“ unschönen oder verdaimmenswerten Verhaltens, die zeigen, wie es nicht sein sollte. Erster Einakter: Da wird ein Familienvater unduldsam gegen andere, die sich beim Sonntagsausflug ebenfalls auf den Platz legen, auf den er allein Anspruch zu haben glaubt. Zweiter: In einem Beisel springt aus unhaltbaren Vorwänden Haß gegen Fremdarbeiter auf und führt zu einem Brutalitätsakt. Dritter: Ressentiment erfüllt einen Agenturangestellten, der mit seinem Kollegen den Urlaub verbringt und nun erfährt, daß der ihm Befreundete eben zum Direktor avancierte, was er für sich erhoffte. Diese „Beispiele“ haben Atmosphäre, die Figuren sind gut gezeichnet. Der lehrhafte Zweck ist zwar unaufdringlich, doch soll der Zuschauer seine „eigene Aggression erkennen“, das ist die Absicht. Sind Regisseure die Präzeptoren des Publikums? Vor Schulmeisterei sei gewarnt. Unter der Regie von Heiko Rall bewähren sich in der vortrefflichen Aufführung vor allem Otto Beier durch subtile Zeichnung, Reinhard Reiner durch Penetranz, Ottwald John durch Prägnanz in der Darstellung je zweier Gestalten. Die Weiblichkeit hat nur geringen Einsatz. Emil Kubisch entwarf schlichte Bühnenbilder.

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