7228060-1993_51_04.jpg
Digital In Arbeit

Ohne Dialog steuert die Region unaufhaltsam in die Katastrophe

19451960198020002020

Anfang Jänner sollen Gespräche auf Außenministerebene zwischen Indien und Pakistan stattfinden: es geht um die künftige Stellung Kaschmirs.

19451960198020002020

Anfang Jänner sollen Gespräche auf Außenministerebene zwischen Indien und Pakistan stattfinden: es geht um die künftige Stellung Kaschmirs.

Werbung
Werbung
Werbung

Es herrscht eisige Stille auf dem weitläufigen Platz im Zentrum Srinagars. Auf der einen Seite haben Militärs Stellung bezogen. Einen nach dem anderen lassen sie vor sich jene Kaschmiris vorbeidefilieren, die sie in der jüngsten Suchaktion vorübergehend festgenommen haben.

Ihnen gegenüber, im Abstand von wenigen Metern, steht eine Reihe von Jeeps. In jedem sitzt eine „Katze”, ein ehemaliger Militanter, der sich nun in den Dienst der Sicherheitskräfte gestellt hat und bei der Identifikation noch aktiver Kämpfer hilft.

Die „Katzen” sind in Decken und Schals gehüllt, die nur ihre Augen freilassen und sie so für die Festgenommenen unkenntlich machen.

Mit Hilfe der „Katzen” ist es den indischen Sicherheitskräften in den vergangenen Monaten gelungen, zahlreiche Rebellen, die für die Unabhängigkeit Kaschmirs von Indien oder dessen Anschluß an Pakistan kämpfen, zu verhaften und in der Folge umfangreiche Waffenlager auszuheben.

Doch jeglicher Optimismus, daß man mittels verstärkten Polizei- und Militäreinsätzen der Sezessionsbewegung Herr werden könnte, scheint fehl am Platz.

Zwar fordert etwa die radikale Hindu-Partei Bharatiya Janata Party (BJP) ein scharfes Durchgreifen gegen die Aufständischen. Die meisten Betroffenen und Beobachter aber sind der Ansicht, daß der Konflikt um Kaschmir nicht mit jenem im Punjab gleichzusetzen ist, wo es nach Jahren möglich war, den Aufstand zu brechen, wieder Ruhe herzustellen und Provinzwahlen abzuhalten.

Wie brisant die Lage ist, hat erst die jüngste Krise um die Hazratbal-Moschee in Srinagar wieder gezeigt, wo Militante ein Waffenlager angelegt hatten und sich einen Monat lang, von Mitte Oktober bis Mitte November, verschanzten.

Die Affäre nahm ein unblutiges Ende. Doch die dadurch ausgelösten Verbalattacken zwischen Neu Delhi und Islamabad machten deutlich, rlaft ^npVnlntinnpn lihpr pinprt npiiprliehen Krieg zwischen den beiden Nachbarn durchaus ihre Basis haben.

Knapp vor dem Amtsantritt der neuen Premierministerin Benazir Bhutto (siehe Seite 5) betonte Über-gangspremier Qureshi noch einmal den „engen Zusammenhang” zwischen dem Kaschmir-Problem und Pakistans Festhalten an der nuklearen Option.

Die Zugehörigkeit des einstigen Fürstentums Kaschmir ist seit der Teilung des Subkontinents in die beiden unabhängigen Staaten Indien und Paki-im Jahre 1947 umstan stritten.

Das moslemische Pakistan rechtfertigte seinen Anspruch auf Kaschmir mit der religiösen Zusammensetzung des Fürstentums, das zwar von einer Hindu-Dynastie regiert wurde, aber mehrheitlich moslemisch war. Indien ließ aufgrund seines Selbstverständnisses als säkularer Staat, in dem alle Bürger, unabhängig von ihrer Konfession, gleiche Rechte genießen, das religiöse Argument nicht gelten.

Als der Hindu-Maharaja unter dem Eindruck eines von Pakistan geschürten Aufstandes die Beitritts-Urkunde zu Indien unterzeichnete, kam es zum ersten Kaschmir-Krieg zwischen Delhi und Islamabad, dem 1965 ein zweiter folgte.

„Jeglicher Versöhnungsprozeß”, betont Karan Singh, der in Delhi an-sässierp Sohn Hps Maharaia der sich nach Jahren politischer Abstinenz im Zuge der Hazratbal-Krise überraschend wieder zu Wort gemeldet hat, „muß Gespräche auf zahlreichen Ebenen einschließen: zwischen Indien und Pakistan sowie mit den Vertretern jener fünf Regionen, die das einstige Fürstentum umfaßte, also die zwei, die seit 1948 unter der Kontrolle Pakistans sind und jene drei - das überwiegend hinduistisehe Jammu, das mehrheitlich buddhistische Ladakh und das moslemische Kaschmir-Tal - die 1948 bei Indien blieben und den heutigen indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir ausmachen. Der Kampf der von Pakistan trainierten, finanzierten und bewaffneten Militanten beschränkt sich ja auf das Kaschmir Tal.”

„Der Dialog” - auf Außenministerebene für Anfang Jänner eingesetzt - „ist dringend nötig”, so Karan Singh, „sonst gehen wir in dieser Begion, in der sich die Lage seit dem Ende der achtziger Jahre sukzessive verschlechtert hat, auf eine Katastrophe zu.”

Die politischen Vertreter Kaschmirs bestehen auf dem Referendum über die Zugehörigkeit der Region, auf das sich Delhi und Islamabad 1948 einigten, dessen Voraussetzung — ein Truppenrückzug beider Seiten - aber nie erfüllt wurde. Die Politiker in Delhi - und auch Karan Singh - betonen, daß die Zeit dafür längst verstrichen ist.

Welche Lösung bietet sich also in der derzeitigen scheinbar aussichtslosen Lage an? Die Umwandlung der Waffenstillstandslinie in eine offizielle Staatsgrenze?

„Wenn das für Indien und Pakistan annehmbar gewesen wäre, würde sich der Konflikt nicht schon über 46 Jahre hinziehen”, so Karan Singh, der sich als Vermittler im Streit angeboten hat. Er „möchte über keine der möglichen Lösungen spekulieren. Das Wichtigste ist es, einen Versöhnungsprozeß einzuleiten, wir werden ja sehen, wohin er uns führt.”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung