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Ohne Getöse

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Bertiin, der ewige Krisenherd der Nachkriegszeit, sollte mit dem Viermächteabkommen und durch den Grundvertrag seiner Brisanz beraubt, dem Westteil der geteilten Stadt endlich eine Entwicklung auf verbesserter rechtlicher Grundlage ermöglicht werden. Bei Abschluß beider Verträge gingen die Meinungen, ob das angestrebte Ziel damit erreicht wurde, weit auseinander, und auch jetzt, nachdem einige Zeit verstrichen ist und erste Erfahrungen gewonnen wurden, wogt der Streit noch immer hin und her, angeheizt durch einige Ereignisse, die optimistische Äußerungen nach den Vertragsunterzeichnungen (Berlin könne zur Tagesordnung übergehen) als euphorisch erscheinen lassen.

Die Reihe der Westberliner Pannen begannen mit dem übereilten Versuch, den Westberliner Bundestagsabgeordneten volles Stimmrecht zu verschaffen. Sie setzte sich fort mit der Auseinandersetzung, ob Westberliner Chartermaschinen in Bulgarien landen1 dürfen oder ob alle Schwarzmeertouristen von Ost-Berlin aus die Reise in den Süden antreten. Mit der Absage des Moskau-Besuches des Regierenden Bürgermeistors Klaus Schütz aus „politischen Gründen" wurde schließlich noch einmal deutlich, daß West-Berlin noch lange nicht seine endgültige Rolle gegenüber dem Osten gefunden hat.

Aus diesen Pannen sofort zu schließen, daß sich die Position Berlins nicht gebessert oder nicht einmal geändert habe, wäre verfrüht. Zu den Pannen der Westberliner Politik trug nämlich mehr als manche unklare Formulierung in den Verträgen das hektische und ein wenig undiplomatische Vorgehen auf Westberliner Seite bei. Vor allem Klaus Schütz agierte vorschnell. Sein Vorstoß zur Verbesserung des Status der Berliner Bundestagsabgeordneten war zwar durch eine Äußerung der neuen Bundestagsprasidentin Annemarie Renger vorbereitet worden, aber sonst offensichtlich mit der Regierung in Bonn nicht abgestimmt. Moskau, ohnedies unsicher, ob mit den Verträgen nicht zuviel abgegeben worden sei, reagierte prompt und brachte diesen Vorstoß von Schütz in voller Harmonie mit den Westmächten zu Fall. Der Effekt war ein Wachsen des Mißtrauens auf sowjetischer Seite.

In der Frage der Bulgarienflüge war die mangelnde Abstimmung zwischen dem Rathaus Schöneberg und Bonn noch krasser. West-Berlin wollte den Entzug der Landerechte für die bulgarische Luftfahrtgesellschaft „Bulgair" durchsetzen, falls die Westberliner Maschinen nicht die Touristen nach Bulgarien bringen dürfen. Bonn winkte ab und der Urlauberstrom gsht via Ost-Berlin an die Schwarzmeerküste. Grund: Auf bundesdeutscher Seite wollte man nicht die Verhandlungen mit der DDR über Überflugrechte und Landemöglichkeiten durch eine harte Haltung erschweren.

Wenn auch die getroffene Entscheidung unschwer als Niederlage West-Berlins zu deuten war, so muß doch gesehen werden, daß diese Verhandlungen über den Luftverkehr für West-Berlin entscheidende Bedeutung gewinnen werden. Mit ihnen entscheidet sich, ob das Ziel eines „Luftkreuzes Tegel", das jetzt mit einem erheblichen Kostenaufwand beim Ausbau dieses Flughafens angestrebt wird, wirklich zu erreichen ist. Jüngste Äußerungen des Regierenden Bürgermeisters deuten darauf hin, daß die bisher gehegten Hoffnungen, viele westliche Fluggesellschaften würden West-Berlin anfliegen, erheblich reduziert wurden. Die Allierten scheinen an einem Ausbau dieses Flugverkehrs, der ihr Monopol für die Berlin-Flüge einschränken würde, nicht viel Interesse zu haben und auf östlicher Seite scheint man mit viel Härte und Geduld auf dem besten Weg zu sein, eben diese Fluggesellschaften auf den Flughafen Schönefeld im Ostteil der Stadt zu locken.

Die Reisen der Westberliner in den Osten haben durch die Besuchsregelung mit mehr als 2,5 Millionen Besuchern allein bis Ende Jänner ein beachtliches Ausmaß erreicht. Versuche Ost-Berlins, diesen Besucherstrom, der für die DDR organisatorische und ideologische Probleme bringt, einzudämmen, konnten in Verhandlungen etwas gemildert werden, zeigen aber, wie schwer dennoch Verbesserungen für West-Berlin in nächster Zeit zu erreichen sein werden.

Vieles deutet darauf hin, daß man sich auf östlicher Seite nach wie vor bemüht, West-Berlin möglichst von der Bundesrepublik zu isolieren: Die Grüne Woche, die große Landwirtschaftsausstellung, wurde nur von Rumänien und keinem anderen Land des Ostblocks beschickt; Westberliner Fußballer in bundesdeutschen Mannschaften werden abgelehnt und die Verträge über das sowjetische Generalkonsulat in West-Berlin scheitern daran, daß die westliche Seite das „Land Berlin" als Unterzeichner wünscht, die Sowjetunion aber den „Senat von Berlin" unter dem Vertrag sehen will.

Weder die Rückschläge noch die ersten Verbesserungen in der Lage West-Berlins haben bislang auf die letztlich entscheidende wirtschaftliche Lage der Inselstadt Einfluß gehabt. Weder Boom noch Flaute sind zu verzeichnen. • Das große bevölkerungspolitische Problem Berlins wird auch nach den Verträgen nur schwer zu lösen sein. Die Überalterung geht weiter. Nur ein starker Gastarbeiterzustrom verhindert den Bevölkerungsschwund. Aber auch ein bald rein türkisches Kreuzberg-vierttel kann nicht verhindern, daß ein Mangel an Spitzenkräften herrscht. Um diese strukturellen Mängel abzubauen, wird es einer Politik auf westlicher Seite bedürfen, die alle neu gegebenen Möglichkeiten nützt und sie ohne großes Getöse in kleinen Schritten realisiert.

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