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Ohne Heer auch kein Staatsvertrag

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Ein Alleingang von Außenminister Karl Gruber hätte beinahe die Zweiteilung Österreichs provoziert. Aber die US-Politik zwischen 1945 und 1955 war oft undurchsichtig.

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Ein Alleingang von Außenminister Karl Gruber hätte beinahe die Zweiteilung Österreichs provoziert. Aber die US-Politik zwischen 1945 und 1955 war oft undurchsichtig.

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Die amerikanischen Historiker William Lloyd Stearman und William Bader haben in den sechziger Jahren die ersten wissenschaftlichen Standardwerke zur österreichischen Besatzungzeit vorgelegt. In den siebziger Jahren haben die österreichischen Historiker Gerald Stourzh, Fritz Fellner und Manfried Rauchensteiner, zusammen mit ihren zahlreichen Schülern, die Forschung über Okkupation und Besatzungszeit auf solide Grundlagen gestellt.

Nun regen sich wieder die Amerikaner mit zwei interessanten Neuerscheinungen.

Donald Witnahs und Edgar Ericksons Monografie befaßt sich mit der amerikanischen Planung für die Besetzung Österreichs und die ersten Jahre der Okkupation. Die junge Politikwissenschafterin Audrey Kurth Cronin legt ihre Oxford-Dissertation über den „Kampf der Großmächte um Österreich, 1945 bis 1955“ in Buchform vor.

Beide Werke stützen sich hauptsächlich auf bisher unbe- nützte und zum Teil erst kürzlich geöffnete Dokumente amerikanischer Militärapparate (Armee, Verteidigungsministerium, Nationaler Sicherheitsrat). Diese eröffnen Perspektiven, die von der bisherigen Geschichtsschreibung zum Teil nicht beachtet wurden.

Amerikanische Militärs hatten danach über Planung und Besatzung oft mehr zu sagen, als den Diplomaten des Außenministeriums lieb war, ja, zum Teil bestimmten sie die amerikanische Österreichpolitik oder blockierten Initiativen, was die Entscheidungsfindung verzögerte.

Witnah und Erickson bearbeiten die oft byzantisch anmutenden Machtkämpfe innerhalb der amerikanischen Bürokratie. Während die Soldaten auf den Kriegsschauplätzen rund um die Welt ihr tödliches Spiel trieben, schlugen sich die Planer hinter den Bürotischen an den verschiedenen Verhandlungsorten (Washington, London, Caserta, Florenz, Verona) über die zukünftige Besetzung von Österreich beinahe die Köpfe ein.

Das State und das War Departement (Außen- und Kriegsministerium) etwa hatten unterschiedliche Ideen, wie die erste Phase der Besetzung aussehen sollte. Die Militärs wollten den Kontrollrat in Berlin in dieser Phase direkt nach der Befreiung auch für Österreich zuständig sehen, die Diplomaten im Außenministerium stellten sich aber dagegen.

Zum Glück, kann man da nur sagen, wenn man die mangelnde Eintracht im späteren Berliner Gremium vor Augen hat.

Die beiden Autoren zeichnen mit erstaunlicher Verbissenheit im Detail die komplizierten und endlosen Debatten im Frühjahr 1945 über die Frage nach, welche amerikanischen und britischen Armeegruppen die Befreiung und Besetzung vornehmen sollten. Sollten diese Truppenteile des britischen Feldmarschalls Harold Alexanders Mittelmeer- oder des amerikanischen Generals Dwight D. Eisenhowers Europäischem Kommando unterstellt werden?

Der Kriegsverlauf warf die Pläne von Monat zu Monat über den Haufen. Am Ende behielten - wie so oft, wenn allzu früh im Detail, geplant wird — die pragmatischen Lösungen die Oberhand: daß nämlich der Österreich besetzen sollte, der zuerst da war.

Der Historiker muß sich da schon fragen, ob die geschilderten Reibereien und Rechthabereien innerhalb der Washingtoner Planungsmaschinerie nicht dafür verantwortlich gemacht werden müssen, daß im April 1945, als Wien von den Russen befreit wurde, immer noch keine Zonen- und Kontrollabkommen Vorlagen? Die daraus folgenden Komplikationen und Klimaverschlechterungen um die provisorische österreichische Regierung unter Karl Renner sind hinlänglich bekannt. Witnah und Erickson äußern sich aber dazu nicht.

So wenig sich Witnah und Erickson zu Interpretationen hinreißen lassen, so argumentierfreudig ist Audrey Kurth Cronin in ihrer Analyse. Die junge Amerikanerin, die an der Universität von Virginia lehrt, ist so frisch in ihren Gedanken, wie es Thomas Jefferson, der Gründer dieser altehrwürdigen Institution, in den seinen war.

Kurth Cronin hat fleißig Material in englischen und amerikani-» sehen Archiven zusammengetragen. Es gelingt ihr damit, besonders die Jahre 1949 bis 1953 - besser als bisher bekannt — auszuleuchten. Besonders ihr Kapitel über die — schon wieder! — Auseinandersetzungen zwischen dem Verteidigungs- und dem Außenministerium am Potomac über die Notwendigkeit, einen österreichischen Staatsvertrag im Herbst 1949 zu unterzeichnen, fällt durch seine farbige Schilderung auf.

Das Pentagon schaltete damals auf stur und wollte aus strategischen Gründen keinen Vertragsabschluß. Ohne ein österreichisches Heer würde bei Abzug der Besatzungstruppen ein gefährliches militärisches Vakuum in Mitteleuropa entstehen, in dem ein unbewaffnetes Österreich schwerlich innen- und außenpolitischem kommunistischen Druck standhalten könnte.

Der Prager Umsturz vom Frühjahr 1948 rumorte noch im Gedächtnis der „Kalten Krieger“. Die französischen Militärs und manche österreichischen Politiker hegten ähnliche Bedenken.

US-Präsident Harry S. Truman entschied in diesem Machtkampf gegen das Verteidigungsministerium. Nun hatten aber die Sowjets die Lust verloren, einen Staatsvertrag zu unterzeichnen.

Kurth Cronin schildert überzeugend, wie besonders der britische Außenminister Ernest Bevin alles daransetzte, die Sowjets auf die Probe zu stellen, da seine Österreich-Experten den Eindruck gewonnen hatten, Josef Stalin sei bereit zum Abschluß des Vertrags. Kurth Cronin ist ebenso überzeugt, es gebe genug echte Hinweise, „daß die Sowjetunion offensichtlich gewillt war, einen Vertrag unmittelbar nach der Pariser Konferenz (Juni 1949) zu unterzeichnen.“

Im Grunde kann die US-amerikanische Wissenschafterin aber auch nur die Spekulationen der britischen Diplomaten für ihre Vermutung ins Feld führen.

Britische Dokumente werfen auch ein neues Licht auf bisher wenig bekannte Varianten der westlichen Verhandlungstaktik zum österreichischen Staatsvertrag. Nach dem Ausbruch des Korea-Krieges im Juni 1950 setzte man sich mit den Russen nur mehr an den Verhandlungstisch, um die genervte öffentliche Meinung in Österreich zu beruhigen. Man wollte wenigstens den Eindruck aufrechterhalten, der Westen sei immer bereit, zu verhandeln.

Kurth Cronin deutet auch an, daß der damalige österreichische Außenminister Karl Gruber in diesen Jahren zäher Kalter- Kriegs-Diplomatie von gefährlicher Ungeduld heimgesucht wurde.

Im Frühjahr 1950, nach den Frustrationen über den nur beinahe Unterzeichneten Vertrag von 1949, schalteten die Sowjets wieder auf eisige Sturheit. Gruber schlug in dieser Phase dem Westen folgende Aktion vor: Obwohl kein Vertrag unter zeichnet war, sollte man in den westlichen Besatzungszonen die Artikel, über die man sich bereits geeinigt hatte, in Kraft setzen und die westlichen Truppen abziehen.

Aber der Westen spielte da nicht mit. Zu Recht befürchtete man, die Sowjets würden bleiben. Und dann hätte man ein geteiltes Land.

Kurth Cronin überzeichnet aber in ihrem sonst lesenswerten Buch einige historische Ereignisse dieser Jahre. In der Hunger- Demonstration vom 5. Mai 1947, die ähnlichen Ereignissen im Frühjahr 1947 nach dem strengen Winter 1946/47 folgte, sieht sie einen ersten „Putschversuch“. Die Kommunisten hatten Umsturzpläne in der Schublade — soviel ist bekannt. Aber in Hungerunruhen wird man kaum einen „coup d’etat“ sehen können.

Eines überrascht in beiden Bänden: Die inzwischen sehr reichhaltige österreichische Fachliteratur wird beinahe vollständig ignoriert.

Der Autor studiert amerikanische Geschichte und Internationale Politik an der Harvard-Universität und ist Instruktor für Geschichte an der Universität von New Orleans.

THE AMERICAN OCCUPATION OF AUSTRIA. Planning and Early Years. Von Donald R. Witnah/Edgar Erickson. Greenwood Press, Westport, Conn.-London 1985. Ln., 352,Seiten (mit Bildern).

GREAT POWER POLITICS AND THE STRUGGLE OVER AUSTRIA. 1945-1955. Von Audrey Kurth Cronin. Cornell Universi- ty Press, Ithaca-London 1986. Ln., 219 Seiten.

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