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Ohne Panik und Krisenstimmung

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Für Aufregung innerhalb der ÖVP hat ein Bericht der Parteiakademie gesorgt. Wird darin einer Konzentrationsregierung nach Schweizer Muster eine Absage erteilt?

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Für Aufregung innerhalb der ÖVP hat ein Bericht der Parteiakademie gesorgt. Wird darin einer Konzentrationsregierung nach Schweizer Muster eine Absage erteilt?

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Die Verfassung des Jahres 1920, wie wir sie seit 1945 entwickelten, ist eine Erfolgsstory. Sie bewältigte ganz unterschiedliche politische Konstellationen — die Große Koalition, die Alleinregierung, die Minderheitsregierung, die Kleine Koalition, ohne daß es dabei zu Brüchen und Entfremdungserscheinungen gekommen wäre.

Trotzdem wird laut über unsere Verfassung nachgedacht. Das ist nicht weiter besorgniserregend, wenn es sich nicht um „parteitaktische Spielereien zur Änderung der Spielregeln“ (Heinz Fischer) oder „um den Zugang zur Macht unter erleichterten Bedingungen“ (Andreas Khol) handelt, sondern um die Fortführung einer organischen Verfassungsreform, wie sie seit dem Jahre 1945 ständig vor sich ging und sich in Hunderten Verfassungsänderungen nieder-

schlug — ohne Dramatisierung, Panik und ohne Krisenstimmung zu erzeugen.

Wo liegen die Schwerpunkte der laufenden Diskussion? • Der aktuelle Ruf nach der Konzentrationsregierung:

Neben Skandalen, Affären und den dringend nach einer Lösung verlangenden „großen Brocken“ der innenpolitischen Szene (Budgetreform, Sozialversicherungssystem, Jugendarbeitslosigkeit, Energieversorgung) — deren Bewältigung für viele nur in einer Zusammenarbeit der Parteien möglich erscheint -, steht noch ein Gedanke im Hintergrund: die Gewaltenteilung stimmt heute nicht mehr.

Der klassische Machtdualismus, der von der Polarisierung und gegenseitigen Kontrolle der beiden Machtträger Parlament und Regierung ausgegangen ist, ist in der politischen Realität Österreichs von der faktischen Allianz von Parlamentsmehrheit und Regierung abgelöst worden. Dazu kommt, daß der Regierung der gesamte bürokratische Apparat der Ministerien und der nachgeordneten Dienststellen zur Verfügung steht.

Verfassungsmodelle anderer Länder sind nicht kopierbar. Darüber sind sich die Politiker dieses Landes einig. Die Konzentrationsregierung in der Schweiz zum Beispiel beruht auf einer freiwilligen Vereinbarung der vier größten im Schweizer Parlament vertretenen Parteien.

Eine Konzentrationsregierung erscheint in Österreich nur dann erstrebenswert, wenn gleichzeitig eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen werden.

Das „Schweizer Modell“ gibt uns mögliche Zielrichtungen an:

Regierungsentscheidungen werden mit Stimmenmehrheit getroffen und binden die gesamte Regierung. Das Abgehen von der Ministerverantwortlichkeit und der Ubergang zum Schweizer Prinzip der Kollegialverantwortung ist naheliegend, da sonst die zentrifugalen Kräfte innerhalb der Regierung zu groß werden.

Neue Unvereinbarkeitsbestimmungen: So sollte kein Regierungsmitglied im Parlament sitzen und sich solcherart selbst kontrollieren. Ebenso sollten Spitzenfunktionen in Parteien und Verbänden von Spitzenfunktionen in Staatsämtern getrennt werden.

Damit die parlamentarischen Kontrollen besser greifen, muß die Unabhängigkeit der Parlamentarier von ihren Parteien ge-

stärkt werden. Ein Mittel dazu ist die Änderung des Wahlrechtes. • Ausgeprägte direkte Demokratie als Korrelat der Konkordanzdemokratie:

Die derzeitigen Regelungen für das direktdemokratische Instrumentarium auf Bundesebene sind unbefriedigend. Volksbegehren etwa haben derzeit nur dann eine Chance, wenn sie in das politische Konzept der Parlamentsmehrheit passen.

Daher fordert die ÖVP den Ausbau des Volksbegehrens zu einem echten Initiativrecht, das heißt, daß eine bestimmte Anzahl von Bürgern den Erlaß einer allgemeinen Regelung (auf der Gemeinde-, Landes- und Bundesebene) verlangen kann. Wenn dieses Begehren hinreichend gestützt ist (mehr als 500.000 Stimmen erreicht), muß darüber eine Volksabstimmung abgehalten werden.

Länder als Vorbild

Eine echte Volksabstimmung würde bedeuten, daß dem Volk das Referendumsrecht zuerkannt wird: über jede allgemeine Regel (Gesetz), die eine Gemeinde, ein Land oder der Bund erläßt, kann innerhalb einer bestimmten Frist eine Anzahl von Bürgern verlangen, daß darüber eine Volksabstimmung durchgeführt wird.

Folgende Voraussetzungen sollten gelten:

Nur generelle Normen, keine Einzelentscheidungen dürfen Gegenstand von Volksbegehren und Volksabstimmung sein.

Bevor ein Vorschlag eines Volksbegehrens, beziehungsweise einer Volksabstimmung zur Abstimmung gestellt wird, muß der Verfassungsgerichtshof in einem Vorprüfungsverfahren entscheiden können, daß das Begehren verfassungsmäßig ist.

Auf Bundesebene könnte man sich ein Vorbild an den Regelungen der Länder nehmen, die bereits in weitgehendem Maße über ein derartiges direktdemokratisches Instrumentarium verfügen. • Verwaltungspartizipation:

In den letzten Jahren stellte sich heraus, daß die sachliche Betroffenheit durch Staatsakte und daraus resultierend der Wunsch nach Mitgestaltungsmöglichkeiten bei Verwaltungsakten wenn nicht von vornherein größer, so doch zumindest um nichts geringer ist als im Fall der klassischen Instrumente der direkten Demokratie.

Es geht vor allem um das (Ver-waltungs-) Initiativrecht, das es in Ansätzen bereits in den neuen Landesverfassungen von Niederösterreich und Burgenland gibt, das dem Bürger die Möglichkeit einräumen sollte, über die klassischen Parteirechte in individuellkonkreten Verwaltungsverfahren hinausgehend, die Erlassung, Änderung oder Aufhebung — ihn betreffender - Verwaltungsmaßnahmen verschiedenster Art zu begehren.

Der Autor, Mitarbeiter der Politischen Akademie der OVP, hat den Forschungsbericht „Die Verfassungsreformdiskussion in Österreich“, im Auftrag der Akademie verfaßt

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