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Ohne religiöses Bekenntnis. . .

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Halten gegenwärtige Trends an, so ist Österreich in gar nicht so ferner Zukunft nicht einmal mehr auf dem Papier katholisch. ,,Glaubensweitergabe“ in und außerhalb der Schule lautet das Thema der Stunde, dem sich die Erzdiözese Wien derzeit mit einer „Woche des Religionsunterrichtes“ widmet.

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Halten gegenwärtige Trends an, so ist Österreich in gar nicht so ferner Zukunft nicht einmal mehr auf dem Papier katholisch. ,,Glaubensweitergabe“ in und außerhalb der Schule lautet das Thema der Stunde, dem sich die Erzdiözese Wien derzeit mit einer „Woche des Religionsunterrichtes“ widmet.

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Filmvorführuitg. Freundliche Bilder flimmern auf der Leinwand. Ein Mann pflückt Kirschen, reicht sie Kindern über den Gartenzaun, freut sich an einem erblühten Kaktus, den er später seiner Freundin schenkt. Der Briefträger bringt einen Kartengruß. Erwachsene und Kinder spielen im Garten, jausnen, blättern in alten Fotoalben. Ein Hund kommt des öfteren schweifwedelnd ins Bild. Religionsunterricht an einer Wiener Berufsschule.

Gott kommt dabei nicht vor. Was hat Gott überhaupt in der Schule zu suchen? So fragen vor allem die, die auch sonst mit Gott nichts zu tun haben wollen und im Religionsunterricht eine Art „Zwangsbeglückung“ sehen. Der „Zwang“ hat aber Grenzen — denn eine Abmeldung vom Religionsunterricht ist möglich: ab dem 14. Geburtstag durch den Schüler selbst, vorher durch seine Eltern. Von dieser Möglichkeit wird Jahr für Jahr völlig unterschiedlich Gebrauch gemacht. Es dürfte viele Motive geben:

• Gleichgültigkeit, selten Feindseligkeit gegen die Kirche,

• Zeitgewinn (die meisten Abmeldungen verzeichnen Schulen mit sehr dichtem Stundenplan, besonders BHS und Fachschulen, und Schulen, in denen Religion in „Randstunden“ fällt),

• die Freude, sich eigenständig von etwas abmelden zu können (was ja bei Mathematik, Latein, Physik nicht geht).

Die Person des Religionslehrers dürfte nur selten den Ausschlag geben. Leopold Wolf, Leiter des Schulamtes der Erzdiözese Wien, nennt ein Beispiel aus Gänsern-dorf. Dort unterrichtet der gleiche Lehrer drei Parallelklassen, in zweien gibt es keine Abmeldungen, in der dritten deren zehn! Die didaktisch-methodische Ausbildung der Religionslehrer ist besser geworden, die Zahl der ungeprüften Lehrer (die ihre Sache aber oft sehr gut machen) geht zurück.

Was will eigentlich der heutige Religionsunterricht?

„Es hat wenig Sinn, wenn man gleich die sieben Sakramente auswendig lernen läßt“, betont Wolf: „Man kann nicht mit der katholischen Glaubenslehre beginnen, sondern muß zunächst versuchen, den Menschen für Gott zu öffnen.“ Mit einem modernen Schlagwort heißt das: den Menschen dort abholen, wo er ist, und das ist oft weit weg von der Kirche.

Genau das versuchte Berufsschullehrer Christian Romanek mit dem eingangs geschilderten Film, der „Geschenke“ zum Inhalt hatte. Es ging darum, zwischen materiellen und ideellen Geschenken zu unterscheiden, zu definieren, was überhaupt ein Geschenk ist: etwas, das einem ohne eigenes Verdienst und ohne eigene Leistung zufällt.

Die Berufsschüler, die Romanek unterrichtet, sind Verkäufer in der Elektrobranche und mußten sich für Religion — die Stunde ist unangenehmerweise für 7.50 Uhr angesetzt — eigens anmelden. Denn Religion ist neben Englisch und Turnen eines von drei Freifächern, von denen die Schüler höchstens zwei wählen können oder diese Zeit im Betrieb verbringen müssen.

Lautet hier die Alternative Religionsunterricht oder Arbeit, so winkt anderen Schülern statt Religion Freizeit. Schulamtsleiter Wolf hält das in der Bundesrepublik Deutschland teilweise übliche Modell für überlegenswert: Der vom Religionsunterricht abgemeldete Schüler muß eine Art Ethik-Unterricht besuchen. „Schon allein im Interesse des Staates“ — so Wolf — müßten auch jene, die sich von Religion abmelden, etwas von jenen ethischen Werten mitbekommen, die sonst die Religionsstunde vermittelt. Das Motiv „Zeitgewinn“ käme dann bei Abmeldungen nicht mehr zum Tragen.

Gerade wegen seiner ethischen Dimension wird der Religionsunterricht auch von rund einem Drittel der Schüler „ohne religiöses Bekenntnis“ (orB) besucht. Der Anteil dieser Schüler steigt übrigens weit deutlicher als die Abmeldungen der getauften Kinder. Othmar Zieher, Fachinspektor für Religion in zwei Wiener Bezirken, hat berechnet, daß in Wien im Schuljahr 1990/91 (die Volksschüler dieses Jahrganges sind ja heute schon weitestgehend getauft oder nicht getauft) zu 15,54 Prozent orB-Kinder in den Volksschulen sitzen werden (heuer sind es 6,31 Prozent).

Nehmen orB-Kinder am Religionsunterricht teil, erhalten sie einen Teilnahmevermerk, aber keine Zeugnisnote. Soll man das Fach Religion überhaupt benoten? Leopold Wolf bekennt sich zur Note — „Damit können wir Maturafach sein und haben eine andere Position im Fächerkanon“ —, betont aber: „Die Note darf kein Disziplinierungsmittel und keine Beurteilung der Frömmigkeit sein. Es gibt aber ein Glaubenswissen, das man abprüfen und benoten kann — das sollte man dem Schüler verständlich machen.“

An der genannten Berufsschule gibt es keinen „Notendruck“, und die Aufmerksamkeit am Unterricht hält sich (sicher nicht nur deswegen) in Grenzen. Die Anwesenheit von drei Zuhörern, von denen sich einer am Ende als Journalist entpuppt, lenkt zusätzlich ab. Aber mit Wiener Schmäh — „Reißt's euch zusammen, in drei Minuten gibt's dann Kaffee“ -mobilisiert Lehrer Romanek nach dem Film seine Schüler zur Beantwortung der Frage: „Was ist das größte Geschenk?“

„Das Leben“, diese Antwort hat sich Romanek vor der Stunde gewünscht — „damit wäre für mich das Lehrziel erreicht“ —, und sie kommt auch überraschend prompt, denn das Leben entspricht genau der vorher gefundenen Definition eines Geschenkes. Mit einem Wortgeplänkel, wie denn das im Falle der Rein-karnation sei, wo man die nächste Seinsstufe nicht geschenkt bekomme, sondern sich erarbeiten müsse, endet die Stunde.

„Hätte ich am Schluß gesagt: ,So, das Leben ist das größte Geschenk, und das Leben kommt von Gott', hätte ich viel zerstört, so sollen die Schüler selbst weiter darüber nachdenken“, meint Romanek später im Lehrerzimmer.

Vielleicht setzt sich die Einsicht immer mehr durch, daß auch der Glaube, zu dessen Weitergabe die „Woche des Religionsunterrichtes“ derzeit Impulse setzen will, letztlich ein großes Geschenk ist— besser: eine Gnade.

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