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Ohne Vertrauen geht es nicht

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Das Anlegen von Gurten bei Autofahrern soll jetzt in Wien strenger kontrolliert werden, teilte kürzlich der Innenminister mit. Der Ruf nach strengerer Kontrolle erklingt auch jedesmal, wenn die Unfallzahlen infolge Alkoholisierung veröffentlicht werden. Wegen der zahlreichen Anschläge wird jetzt auf Flughäfen strenger kontrolliert. In Sachen Umwelt wird nach strengeren Vorschriften und vermehrter Kontrolle gerufen...

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser” — ein Ausspruch Lenins scheint zur Maxime der Gestaltung unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens zu werden. Diese Art zu denken ist uns zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Folge: Immer mehr Regulierungen und immer mehr Kontrollen.

Weil diese Einstellung des Regulierens und Kontrollierens so sehr unseren Alltag prägt, ist es wert, den geistigen Hintergrund, auf dem die Aussage Lenins gemacht wurde, kurz zu beleuchten. In seinen „Erinnerungen” läßt der sowjetische Schriftsteller Maxim Gorki den Revolutionsführer Lenin zu Wort kommen:

„Ich kenne nichts Schöneres als die Appassionata ... Eine wunderbare Musik!... Daß Menschen solche Wunder schaffen können!... Aber allzuoft kann ich Musik nicht hören. Sie wirkt auf die Nerven, man möchte lieber Dummheiten reden und Menschen den Kopf streicheln... Aber heutzutage darf man niemandem den Kopf streicheln - die Hand wird einem sonst abgebissen. Schlagen muß man auf die Köpfe, unbarmherzig schlagen -obwohl wir im Ideal gegen jede Vergewaltigung sind. Hm, hm unser Amt ist höllisch schwer!”

Diese Menschenverachtung sollte uns auch bei der Übernahme anderer Lenin-Sprüche stutzig machen. Warum übernehmen wir gerade die Aussage eines Kommunisten über Vertrauen und Kontrolle so bereitwillig? Weil sie gut in unser Systemdenken paßt. Wir haben unser Leben weitgehend auf das Funktionieren der Systeme eingerichtet: Daß das Licht brennt, wenn wir auf den Schalter drücken; daß der Zug fahrplanmäßig fährt, damit wir den Anschluß nicht versäumen; daß das Bildungssystem für ausreichend gebildeten Nachwuchs sorgt, der Handel für täglich frisches Obst...

Immer sind es also Systeme, die wir als Produzenten von Leistungen ansehen: das Verkehrs-, Ver-waltungs- oder Energieversorgungssystem ... Es scheint uns so, als würden die Leistungen nur von Apparaten erbracht, als ginge es nicht um Menschen.

Da ist es schon verständlich, daß wir vor allem an Kontrolle denken. Soll man etwa einem Apparat vertrauen? Nein, natürlich nicht. Man kann nur auf die Zuverlässigkeit seines Funktionierens nach entsprechender Uberprüfung setzen. Wenn ich eine längere Reise antrete, kontrolliere ich den Reifendruck bei meinem Auto.

Die oben erwähnten Systeme bestehen aber nicht nur aus Maschinen und Apparaten. Ihr Funktionieren hängt weitgehend von menschlichen Leistungen ab. Gut auch für sie, daß Kontrolle besser ist als Vertrauen?

Einige werden sagen: ja. Wenn man seine Mitarbeiter nicht kontrolliert, lassen sie nach, nehmen sie ihre Aufgabe nicht ernst. Das mag in mancher Hinsicht zutreffen. Jeder von uns muß ja immer wieder mit dem „inneren Schweinehund” kämpfen. Und wer kann behaupten, er unterliege nie? Aber kann solche Kontrolle das Vertrauen ersetzen? Kann sie wichtiger sein als Vertrauen?

Wer solches behauptet, unterstellt, daß der Mensch vor allem durch äußeren Druck und Angst vor Strafe bereit ist, etwas zu leisten. Daß durch äußeren Druck erwirktes Wohlverhalten weder menschenwürdig noch leistungsfördernd ist, zeigen die Ostblockländer zur Genüge. Denn überall dort, wo es um das Zusammenwirken von Menschen geht, kann man ohne Vertrauen nicht auskommen. Schließlich sind es ja wiederum Menschen, die kontrollieren oder Kontrollapparate einrichten und auswerten. Daher möchte ich Lenins Satz umkehren: Kontrolle ist gut, Vertrauen besser.

Oder kann man sich einen funktionierenden Straßenverkehr ohne Vertrauen auf das richtige Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer vorstellen? Das gleiche gilt für die Wirtschaft: Wenn ich ein Auto erwerbe, muß ich einfach darauf vertrauen, daß die für die Produktion Verantwortlichen ihre Arbeit ordentlich gemacht haben. Kontrollieren könnte ich ihre Leistung doch nur, indem ich das Vehikel total zerlege und prüfe, ob alle Teile vorhanden und richtig eingebaut sind - und das bei meinen technischen Kenntnissen! Und was wäre außerdem dabei gewonnen?

Wir sind einfach auf gegenseitiges Vertrauen angewiesen. Je arbeitsteiliger unsere Gesellschaft ist, umso mehr. Wir verlieren diese Grundbefindlichkeit menschlicher Existenz in unserem technisierten Alltag nur allzu leicht aus den Augen. Es bleibt aber dabei: Kein Zusammenleben ohne Vertrauen!

Aus dieser Einsicht läßt sich auch ableiten, daß Vertrauenswürdigkeit eines der wichtigsten Erziehungsziele ist. Auf Persönlichkeitsbildung kommt es primär an - und nicht auf die Funktionstüchtigkeit des Menschen. Eigenschaften wie Zuverlässigkeit, Einfühlungsvermögen, Initiative und Ausdauer sind mindestens ebenso wichtig wie umfassendes Wissen.

Ein Weiteres wäre zu bedenken: Vertrauen setzt menschliche Begegnungen voraus. Mit dem Vertrauen tue ich mir überall dort leicht, wo ich Erfahrungen mit anderen sammeln konnte, wo eine gemeinsame Geschichte die Grundlage für das Einlassen auf den Partner erleichtert.

Vertrauenswürdigkeit wächst daher am besten in dauerhaften Beziehungen, etwa mit Eltern, Geschwistern oder dem Ehepartner. Wer erfahren hat, wieviel Selbstbestätigung der gewinnt, dem andere Vertrauen entgegenbringen, wird sich um Vertrauenswürdigkeit auch in anonymeren Beziehungen bemühen. Dann mag Kontrolle zwar immer noch gut, aber sicher nicht besser als Vertrauen sein.

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