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(OhnYMacht (OhnjMacht der Kleinen — der Zentralen

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Individualität gegen Apparat, Bürgerbewegung gegen Bürokratie: der Glaube an die Problemlösungskompetenz zentrali-stischer Instanzen gerät ins Wanken. Was tun?

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Individualität gegen Apparat, Bürgerbewegung gegen Bürokratie: der Glaube an die Problemlösungskompetenz zentrali-stischer Instanzen gerät ins Wanken. Was tun?

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zeit Mächtigen in Wirtschaft und Politik erkämpft werden muß. Die Klügeren unter diesen haben schon erkannt, daß sie zur Erhaltung und Erweiterung ihres eigenen Einflusses einer immer breiteren Legitimation bedürfen, daß eine partielle Mitbestimmung durchaus in ihrem Sinn funktional ist.

Entscheidend wird daher auch sein, daß Partizipation auch dort durchgesetzt wird, wo sie heute noch vielen dysfunktional scheint, etwa im militärischen Bereich. Entscheidend wird aber auch sein, daß das Gewirr der Abstimmungen, Initiativen und so weiter — das in Österreich allerdings ohnehin noch viel zu dünn ist — nicht den Blick auf jene ökonomischen Strukturen verstellt, die es einigen wenigen immer wieder ermöglichen, sich dem Zugriff einer partizipationswüligen Bevölkerung zu entziehen.

Die Autorin ist Bundesvorsitzende der Jungen Generation in der SPÖ.

Die Tendenz zunehmender Konzentration ist für jeden sichtbar: Der Supermarkt ersetzt den Greißler, das Ambulatorium den Hausarzt, die Lebensapparate der Sozial- und Pensionsversicherung die Nachbarschaftshilfe.

Im ökonomischen Bereich ist eine starke Konzentration und Zentralisierung des Kapitals festzustellen; im regionalen Bereich zeigen die Zusammenlegungen von Gemeinden sowie das Ausufern der Städte und Schlucken ihrer Umlandgemeinden deutlich die Tendenz zur Konzentration, und im politischen Bereich ist es ähnlich.

In einem dialektischen Verhältnis zu dieser zentralistischen Entwicklung entstand eine Gegenbewegung, die auf der Suche nach der „wahren Größe“ war.

Aus China wird von einer Stadt berichtet, deren Bevölkerung über lange Zeit stabil war, weil ihre Größe in einem Regelkreisverhältnis zum örtlichen Grundwasserspiegel stand. Vermehrte sich die Bevölkerung übermäßig, so wurde das Grundwasser überfordert, und der Grundwasserspiegel sank. Das Wasser war schwerer zu erreichen, das Leben wurde mühsamer und leidvoller, Menschen starben früher. Die Bevölkerung nahm ab, und das Gleichgewicht stellte sich wieder her.

Eine neue politische Kultur will die „Unbeweglichkeit der Tanker“ aufzeigen, die nicht mehr in der Lage sind, ihre ursprünglichen Ziele zu erfüllen. Das führt dazu, daß die politischen Konflikte sich heute nicht auf abstrakter, zentraler Ebene abspielen, sondern auf praktischer, ortsnaher.

Umbalfälle und Hainburg, Dürnrohr und Zeltweg, Pols und Judenburg sind symbolbefrachtete Namen geworden, Politikschauplätze, ah denen sich Wünsche, Hoffnungen, Veränderungen und Herausforderungen der Politik widerspiegeln: Wachstumsskepsis, Widerstand gegen

Atomenergie, Zorn über endgültige Arbeitslosigkeit oder die Zerstörung der Natur.

Die Zentrale hat zwar die Macht, Gesetze zu erlassen, aber nicht mehr die Kraft, diese durchzuführen. In der Zentrale wird der Konflikt zwar zubereitet, dezentral wird er jedoch ausgetragen. Da der Konflikt einen hohen Symbolwert hat, wird aber die Zentrale für den Konflikt wiederum haftbar gemacht.

Politik wird „gegenständlicher“. Die Wut mancher Bürger und Gemeinden über die „Politik da oben“ (oder „da unten in Wien“) ist groß, denn das Parlament (oder der Landtag) beschließt abstrakt etwas, dessen Auswirkungen konkret in den Gemeinden spürbar werden.

Was in Wien als neues Umwelt--gesetz glitzert, wie zum Beispiel die Sonderabfallbeseitigung, provoziert den geballten Protest unzähliger Gemeinden gegen Mülldeponien, von deren Gefährlichkeit wir täglich in den Zeitungen lesen können.

In Wien wird ein Beschluß zum Ankauf von Abfangjägern gefaßt, der auf massiven lokalen Protest des Stationierungsortes in der Steiermark stößt.

Die Zentrale hat zwar die Macht, die Dezentralen schlagen jedoch mit Ohnmacht zurück.

Zentralistische Politik wird immer abstrakter und hat immer weniger mit dem Leben des einzelnen zu tun. Da sie alles regeln will, mischt sie sich aber in alle Lebensbereiche mit Regeln der Bürokratie ein und schiebt den Wunsch der Bürger nach eigenen Lebensformen zur Seite.

Das geht solange gut, als von allen ein gemeinsames Ziel, ein Konsens akzeptiert. wird. Der Konsens der Wachstumspolitik aber ist gerade in den Gemeinden und Städten zerbrochen. Hier wurden die negativen Folgen von Wachstum und Industrialisierung zuerst wahrgenommen.

Das Wirtschaftswachstum hat Natur und Boden gekostet, der •wachsende Wohlstand Fläche. Bundes- und Landesgesetze, die diesen Trend fortschreiben wollen, stoßen daher auf Widerstand.

Dieser verstärkte Regional-Gruppenegoismus als Antwort auf eine bürgerferne zentralisti-sche Politik führt dazu, daß Maßnahmen für das Gesamtinteresse des Staates schwieriger durchsetzbar werden, wie zum Beispiel Lösungen zur Spitalsfinanzierung, der Kampf gegen die Armut, die Änderung des Pensions-versicherungssystems, ein neuer Finanzausgleich und anderes mehr.

Generell geht die Fähigkeit verloren, Politik noch auf einer anderen Ebene als der lokalen zu akzeptieren oder die eigenen Wünsche in einen allgemein politischen Zusammenhang zu betten, nach dem Motto: ein konkreter Irrtum ist besser als ein abstrakter, weil letzterer nicht nur einen Fall berührt, sondern sämtliche denkbaren Fälle.

Der Autor ist Landtagsabgeordneter und Gemeinderat der ÖVP in Wien.

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