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Okonomik aus dem Koran

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Von Nordafrika bis Süd-ostasien bemühen sich neuerdings islamische Ökonomen, die ethischmoralischen Dimensionen wirtschaftlichen Handelns zu erfassen. Diese neue „Islamische Ökonomik“ ist durchaus mit der christlichen Lehre vergleichbar, zeigt aber auch gravierende Unterschiede (siehe Seite 10).

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Von Nordafrika bis Süd-ostasien bemühen sich neuerdings islamische Ökonomen, die ethischmoralischen Dimensionen wirtschaftlichen Handelns zu erfassen. Diese neue „Islamische Ökonomik“ ist durchaus mit der christlichen Lehre vergleichbar, zeigt aber auch gravierende Unterschiede (siehe Seite 10).

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Die westlichen Ökonomen haben die Wirtschaftsethik wiederentdeckt. Das neu erwachte Interesse an normativen Fragen läßt sich nicht nur an immer mehr Konferenzen, bei denen sich Ökonomen zu Problemen von Wirtschaft und Moral äußern, erkennen, sondern auch daran ablesen, daß angesehene Verlage neue Journale herausbringen, die Titel tragen wie „Economics and Philosophy“ „Business Ethics“ oder „Ethics and Economics“.

Die Ökonomen knüpfen damit an eine Tradition an, die bis auf die Begründer ihrer Wissenschaft zurückgeht, aber von der „herrschenden Meinung“ der letzten 40 Jahre vernachlässigt wurde.

Während sie also einige Schwierigkeiten haben, den normativen Zweig ihrer Wissenschaft zu rehabilitieren, können wir erleben, wie sich seit etwa zehn Jahren an immer mehr Hochschulen der muslimischen Welt von Nordwestafrika bis Südostasien eine neue akademische Disziplin etabliert, für die ihr normativer Zweig geradezu konstituierend ist, nämlich die „Islamische Ökonomik“. In dieser neuen Wissenschaft bemüht man sich um eine integrierte Betrachtung der ethisch-moralischen, rechtlichen und ökonomischen Dimensionen menschlichen Handelns.

Anfang der achtziger Jahre wurde mit finanzieller Unterstützung reicher arabischer Staaten in Malaysia und in Pakistan je eine International Islamic Univer-sity errichtet, die auch über Wirtschaftsabteilungen verfügen, an denen Lehre und Forschung betrieben werden. Als Forschungseinrichtung entstand bereits Mitte der siebziger Jahre das International Centre for Research in Islamic Economics, das der ansonsten westlich orientierten University in Jeddah angegliedert wurde. Außerdem wurden in den letzten zehn Jahren noch einige weitere Institutionen geschaffen, die mehr anwendungsorientierte Forschung nicht nur über islamische Wirtschaft, sondern auch über die Wirtschaft in islamischen Ländern betreiben.

Wie ehedem die „westliche“ Wirtschaftswissenschaft, so hat sich auch die „Islamische Ökonomik“ als eigene Disziplin aus einem theoretisch-juristisch geprägten weltanschaulichen System heraus entwickelt. Die dann später in der westlichen Ökonomie eingetretene „Säkularisierung“ der Wirtschaftswissenschaft wird jedoch von den islamischen Ökonomen ausdrücklich abgelehnt. Für sie besteht weniger ein Mangel an positiven Theorien, die beobachtbare wirtschaftliche Phänomene erklären können, als vielmehr an •normativen Theorien, die zeigen, wie ein „ideales islamisches Wirtr schaftssystem“ funktionieren würde.

In einem solchen System haben zum Beispiel die Individuen bestimmte Verhaltensnormen, die man im weiteren Sinne als „altruistisch“ bezeichnen könnte, verinnerlicht. Spezielle Institutionen wie zinslose, nach dem Erfolgsbeteiligungsprinzip arbeitende Banken sind vorhanden, und eine spezifische Form der Sozialhilfe (Zakat) ist implementiert. Schließlich wird angenommen, daß die Regierungen eines islamischen Staates dem Gemeinwohl verpflichtet sind und staatliches Handeln generell dem islamischen Recht unterliegt. Daneben finden sich in den Modellen einer islamischen Wirtschaft aber auch Verhaltensnormen für den einzelnen und Handlungsmaxime für die Regierung, welche westlichen Ökonomen keineswegs völlig fremd sind. So wird

• individuelle (Arbeits-)Lei-stung als wichtigste Quelle für den Erwerb von Einkommen betont;

• persönlicher Reichtum im Grundsatz akzeptiert, öffentlicher Luxuskonsum dagegen verurteilt;

• Privateigentum an Produktionsmitteln anerkannt, jedoch die Sozialpflichtigkeit von Eigentum hervorgehoben;

• Wettbewerb als Koordinationsprinzip der Einzelwirtschaftspläne herausgestellt, gefordert ist aber auch eine gewisse soziale Ergänzung;

• es gibt das Prinzip des Haushaltsausgleichs; der Geldwertstabilität wird eine hohe Priorität eingeräumt.

Insgesamt scheint es, daß die von islamischen Ökonomen präzisierte Wirtschaftsethik durchaus mit christlichen Lehren vergleichbar und die angestrebte Wirtschaftsordnung eine besondere Variante der Sozialen Marktwirtschaft (allerdings mit einem zinsenlosen Bankwesen und Kapitalmarkt) ist. Die grundlegenden Unterschiede zur westlichen Ökonomik liegen weniger darin, was gefordert wird, sondern vielmehr darin, warum es gefordert beziehungsweise wie es begründet wird.

So sind die Basisinstanz der islamischen Ökonomik der Koran und die Sünna (FURCHE 23/ 1988):

• Der Koran gilt als die wörtliche Offenbarung Gottes; an der wortgetreuen Wiedergabe besteht kein Zweifel.

• Die Sünna ist die Sammlung der vorbildlichen Aussagen, Handlungen und bewußten Unterlassungen des Propheten Mohammed, der durch den Koran selbst als authentischer Interpret der göttlichen Offenbarung legitimiert wird. Da die Uberlieferungen (Hadithe) erst später aufgeschrieben wurden, werden Abstufungen hinsichtlich des Grades der Verläßlichkeit und Authentizität der einzelnen Uberlieferungen gemacht, wofür sich eine eigene Hadith-Methodologie entwickelt hat.

Der Islam erhebt den Anspruch, eine nicht nur auf das Jenseits gerichtete Religion, sondern eine alle Lebensbereiche umfassende Weltanschauung zu sein. Daher ist für jede Frage des menschlichen Lebens zunächst in Koran und Sünna nach einer Antwort zu suchen. Findet man keine eindeutige Stelle, so sind Interpretationen unumgänglich. Dem Fragesteller ist dabei jedoch die Methodik der Interpretationen keineswegs freigestellt. Sie ist — mit gewissen Unterschieden in den vier großen Rechtsschulen des Islams — von der islamischen Rechtswissenschaft genau vorgezeichnet, mit denen praktisch anwendbare Erkenntnisse aus Koran und Sünna abgeleitet beziehungsweise darauf zurückgeführt werden können. Das sieht so aus:

• Ist man sich über die Bedeutung oder Anwendbarkeit einer relevant erscheinenden Koranstelle im unklaren, vergleicht man diese mit anderen Koranstellen und greift auf Interpretationen des Propheten aus der Sünna zurück.

• Fehlt eine solche originäre Auslegung, sucht man nach früheren Interpretationen der fraglichen Stelle und zieht unter Umständen auch die besonderen Umstände bei der Offenbarung des zu interpretierenden Textes zu Rate.

• Schließlich kommt Analogie-Schlüssen von geklärten auf ungeklärte Fälle eine große Bedeutung zu. Von dieser Methode wird gerade heute bei den Versuchen zur Fortentwicklung des islamischen Wirtschaftsrechts ausgiebig Gebrauch gemacht.

Insgesamt vollzieht sich die Interpretation in einem Rahmen, der Willkür ausschließen und die Rationalität der Vorgehensweise sichern soll. Ohne solche Vorgaben wäre es wohl unmöglich, daß sich in wesentlichen Fragen so etwas wie ein allgemeiner Konsens der Rechtsexperten beziehungsweise Vertreter der zuständigen Disziplinen herausbilden könnte. Käme es zu einem solchen Konsens, das heißt zu einer Ubereinstimmung aller Fachleute, dann hätte dieser eine ähnliche Verbindlichkeit und Rechtskraft wie Koran und Sünna selbst. In der Praxis einer sich modernisierenden und arbeitsteilig entwickelnden Welt ist man freilich von einem Konsens noch weit entfernt. Das liegt nicht zuletzt daran, daß die zumeist ökonomisch nicht geschulten islamischen Juristen vielfach noch nicht hinreichend in der Sache mit den neuen, oftmals komplizierten Phänomenen zum Beispiel im modernen Bankwesen vertraut sind, weswegen ihren Urteilen ein unterschiedlicher Sachverstand zugrunde liegt.

So gibt es etwa zwischen islamischen Banken deutliche Unterschiede bei Geschäftstätigkeiten und Finanzierungsmethoden, die von den jeweiligen islamischen Rechtsberatern der Banken für zulässig erklärt wurden. Es waren zunächst einmal die Banker, die ihren islamischen Rechtsberatern erklären mußten, wie zum Beispiel ein Devisentermingeschäft „funktioniert“. Je nach Art ihrer Darstellung und durch ihr betonen oder weglassen von Details hatten sie nicht unerheblichen Einfluß darauf, welche Analogie der Rechtsberater herstellte und ob er die Transaktionen sanktionierte oder untersagte. So entstand der Eindruck, daß man letztlich für alles ein sanktionierendes Urteil eines Rechtsexperten erhalten könnte.

Die Situation hat sich inzwischen gewandelt: Die Rechtsberater islamischer Banken haben offenbar das Problem der widersprüchlichen Beurteilung erkannt und begonnen, durch internationale Konferenzen ihr Wissen und ihre Erfahrungen auszutauschen, eine gemeinsame Linie in wesentlichen Fragen zu entwik-keln. Außerdem wächst der ökonomische Sachverstand der Juristen, und mancher Trick, der vor einigen Jahren wegen mangelnder Sachkenntnis von ihnen noch nicht durchschaut wurde, ist heute nicht mehr möglich.

Der Autor ist Professor für Wirtschaftswissenschaft in Bochum

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