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Olscheich Mao

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Seit nunmehr zwölf Jahren ist China von Rohölimporten unabhängig. Mit einem Ausstoß von rund 50 Millionen Tonnen rangiert das Land seit 1974 auf Platz 10 in der Liste der größten ölproduzenten der Welt. Bund zehn Prozent des chinesischen Öls flössen 1974 nach Japan, dieses Jahr werden es aber fast acht Millionen Tonnen sein.

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Seit nunmehr zwölf Jahren ist China von Rohölimporten unabhängig. Mit einem Ausstoß von rund 50 Millionen Tonnen rangiert das Land seit 1974 auf Platz 10 in der Liste der größten ölproduzenten der Welt. Bund zehn Prozent des chinesischen Öls flössen 1974 nach Japan, dieses Jahr werden es aber fast acht Millionen Tonnen sein.

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Der Mantel des Geheimnisses, den die chinesischen Führer über die wirtschaftlichen Vorgänge in ihrem Land gebreitet haben, ist schwer zu lüften. Selbst für gewöhnlich gut informierte Experten liefern ganz unterschiedliche Schätzwerte. Anfang 1975 gab Peking offiziell bekannt, die Rohölproduktion von 1974 sei gegenüber dem Jahre 1973 um 20 Prozent angewachsen.

In einem vertraulichen Gespräch mit Japans Außenminister Ohira gab Tschu En-lai zum erstenmal die 50 - Millionen - Tonnen - Ziffer bekannt, die im Westen allerdings auf Skepsis stieß (1973). Tatsächlich dürften die 50 Millionen erst im Vorjahr' erreicht worden sein, wenn auch die Londoner „Times“ in einem Bericht ihres Pekinger Korrespondenten überschwenglich von 90 Millionen Tonnen sprachen, Fest steht jedenfalls, daß die Volksrepublik China in den letzten 25 Jahren einen beachtlichen Aufschwung in puncto ölförderung erlebt hat, wenn man bedenkt, daß die ersten Förderanlagen mit sowjetischer Hilfe erst Mitte der fünfziger Jahre installiert wurden. Die ölproduktion verdreifachte sich in der ersten Fünfjahres-plan-Periode und erreichte 1957 1,5 Millionen Tonnen. Bis in die sechziger Jahre blieb China von Importen aus der UdSSR abhängig. Allein 1959 verkaufte Moskau drei Millionen Tonnen Rohöl an Mao. Als sich China 1960 der sowjetischen Berater entledigte, folgte ein kurzfristiger Rückschlag, denn die Russen nahmen alle Pläne für Prospektierung und Ausbau der Förderanlagen mit.

Gleichzeitig aber wurde damals das wichtigste ölfündige Gebiet Chinas, Taching, entdeckt, von dem heute mehr als die Hälfte der Gesamtproduktion stammt. So konnte Peking bereits 1963 stolz seine Energie-Souveränität bekunden, zumindest auf dem Rohölsektor. Raffinierte Produkte in kleineren Mengen wurden bis zur Mitte der sechziger Jahre nach wie vor aus der UdSSR gekauft, in erster Linie Benzin, Diesel und Kerosin.

Vorerst blieb die Produktion auf die nordöstliche Küstenregion des Landes konzentriert, nahe den Industriezentren der Mandschurei und der Nordküste. Neue ölfunde wurden damals in Shengli (Shantung-Provinz) und etwas später in Takang (Provinz Hopei), 60 Kilometer südlich von Tientsin, gemacht.

Taching, Schengli und Takang liefern auch heute noch mehr als die Hälfte des Gesamtausstoßes, während der Rest von den traditionellen Feldern nahe den industrialisierten Küstenstädten stammt. (Die bedeutendsten davon sind Yumen, Provinz Kansu; Karamai in Sinkiang, Lenghu in Chinghai und Jenchang in der Provinz Schensi.) Eng verknüpft mit der schrittweisen Erschließung der ölfelder ist die regionale Industrieentwicklung gewisser Landesteile: Das öl von den Feldern Taching und Shengli, nahe den Hafenstädten Dairen und Tientsin, eignete sich eher für den Export als das öl aus dem Landes inneren. Die überraschend hohen Erträge der Felder von Taching überforderten mit der Zeit die Kapazität dieser Häfen.

Man beschloß, den alten Kohlehafen von Chinhuangtao, 200 Kilometer nordöstlich von Tientsin, in einen modernen ölport umzubauen. Gleichzeitig wurde der Bau einer unterirdischen Pipeline von Taching nach Chinhuangtao in Angriff genommen. (Die Eröffnung dieser Pipeline fand am 11. Jänner 1975 statt, allerdings wird vermutet, daß ein starkes Erdbeben Anfang Februar die Hauptstrecke, 160 Kilometer östlich vom Epizentrum entfernt, vernichtet hat. Das Beben erreichte den Wert von 7,3 auf der Richterskala und wurde auch im 800 Kilometer entfernten Wladiwostok registriert.)

Eine Parallel-Pipeline wurde bis zum Eisenbahnknotenpunkt Tiehieln gebaut. Dieser Ort liegt sechzig Kilometer nördlich vom Industriezentrum Schenjang (Mukden) in der Provinz Liaoning.

Chinas erstes Auftreten als öl-exporteur fiel mit der massiven Rohölpreiserhöhung der OPEC-Länder zusammen. Schon glaubten öl-hungrige Westmenschen — in erster Linie Amerikaner —, in China die zukünftige Ausweichmöglichkeit vor der arabischen Erspressung gefunden zu haben. Die weitere Entwicklung dämpfte diesen naiven Optimismus allerdings stark.

So wie es jetzt aussieht, kommt das chinesische öl vorerst nur in bescheidenem Umfang für die Länder Südostasiens in Frage. Denn der Export geht eindeutig zu Lasten der Inlandsbedürfnisse, vor allem, was den Industriebedarf anlangt. Wie groß die Reserven sind, darüber wissen die Chinesen selbst am allerwenigsten Bescheid. Auf dem Festland dürften sie nach einer US-Studie rund 1,2 bis 1,8 Milliarden metrische Tonnen betragen. Tatsu Kambara, der Londoner Vertreter der staatlichen japanischen ölför-dergesellschaft, glaubt, daß China in den nächsten Jahren darangehen wird, diese enormen Schätze systematisch auszubeuten: „Wenn keine neuen Quellen mehr gefunden werden, reichen die bisherigen bei normal steigender Nachfrage bis 1983 leicht aus. Um unabhängig bis zum Jahr 1980 weiterwirtschaften zu können, benötigt China allerdings nur Reserven von fünf Millionen metrischen Tonnen.“

Diese Angaben beziehen sich nur auf die Festlandkapazität. Eine Studie der Vereinten Nationen bezeichnete schon 1969 das Riff zwischen Japan und Formosa als eines der vermutlich ölfündigsten Gebiete der Welt. Auch das Gelbe Meer läßt ähnliche Schlüsse der Geologen zu.

Selbst wenn dies der Fall ist, läßt sich bisher nicht erkennen, ob Peking dort bohren lassen will. Denn die fragliche Inselgruppe, um die es hier geht, nämlich die Senkaku-Inseln der Ryukyu-Gruppe, sind seit jeher ein Zankapfel zwischen Peking, Taiwan und Japan gewesen. Jeder erhebt darauf Besitzansprüche. Peking hat unmißverständlich deutlich gemacht, daß sowohl Taiwan wie die Inseln ein Teil der Volksrepublik seien, diesen Anspruch bisher jedoch nur mit Worten verteidigt.

Versuchsbohrungen im Meer wurden bislang nur in der Bucht von Pohai und entlang der Südostküste unternommen. Die geographische Enge dieser Bucht würde normalerweise die Förderung sehr erleichtern. Es gibt jedoch in China nur eine sehr begrenzte technische Ausrüstung für solch ein Unternehmen.

In einer für sie charakteristischen Art haben die Chinesen einige Exemplare von Bohrgeräten westlicher Herkunft gekauft, gleichzeitig aber selbst an der Entwicklung solcher Maschinen mit Hochdruck gearbeitet Der weltweiten Ölkrise folgte nämlich eine massive und ebenso weltweite Verknappung an Bohr- und Förderausrüstung. Deren Preis übrigens in gleichem Maß gestiegen ist wie der des zu fördernden Produktes... Daher beschränkt sich das Unterwasserbohren auf einige fixierte Bohrinseln in der Nähe der Küste, eine 1972 „second hand“ von Japan gekaufte Bohrinsel (der acht weitere aus Dänemark demnächst folgen sollen) und Chinas erste und einzige Eigenproduktion, eine fahrbare Bohrinsel, die an der Südküste eingesetzt ist.

Könnten die vermuteten ölreich-tümer China in die vorderste Linie der ölländer bringen? Tatsu Kambara nimmt an, daß die Gesamtproduktion 1977 die 100-Millionen-Ton-nen-Grenze überschreiten wird, wovon aber nicht mehr als 15 Millionen Tonnen in den Export gehen werden. 1980, bei einer Gesamtproduktion von 150 Millionen Tonnen, würde China sicher nicht mehr als 20 Millionen Tonnen exportieren.

Der Auffassung Kambaras wird von anderen Experten energisch widersprochen: Ryutaro Hasegawa, Vorsitzender des Rates für japanisch-chinesischen ölimport, meint: „Japan wird bald, auf jeden Fall schon vor 1980, 30 Millionen Tonnen öl pro Jahr aus China beziehen.“ Schon für 1975 glaubt der Experte an ölimporte aus China in der Größenordnung von 16 Millionen Tonnen.

Chinas Vizepremier Li Hsien-nien erklärte japanischen Besuchern im Dezember des Vorjahres, Japan könne 1975 „auf jeden Fall mit acht Millionen Tonnen Rohöl aus der Volksrepublik China rechnen“ („Asahi Shinbun“, 9. Dezember 1975). Vorausgesetzt, die Chinesen sind willens und imstande, ihren Rohölerport in die freie Welt zu steigern, bleibt immer noch die Frage offen, ob sie für jenen Qualitätsstandard, den sie bieten, überhaupt Abnehmer finden. Drei wesentliche Gründe sprechen gegen das „Mao-Öl“:

• die geringe Qualität der Produkte, vornehmlich des Schengli-Öls,

• die noch ungelösten Probleme des Transportes zu Wasser,

• die hohen Verkaufspreise, wenn man sie an jenen mißt, die Peking im Vorjahr von Japan gefordert hat. Japan hat bisher nur Taching-Öl gekauft, dessen Schwefelgehalt sehr niedrig ist. Taking-Öl' enthält noch weniger Schwefel, ganze 0,1 Prozent, wird aber noch nicht angeboten.

Das Schengli-Öl ist schwer und enthält relativ viel Wasser. Die Folge davon ist, daß es sich im Tankerrumpf verdickt, insbesondere in kälteren Meereszonen, ein gravierender Nachteil also beim Transport über lange Distanzen. Schengli-Öl wurde bis jetzt nur an die Philippinen verkauft, soll nun aber auch den anderen Handelspartnern angeboten werden.

Für die modernen Supertanker sind Chinas Häfen ohnedies völlig unzugänglich. Zudem würden dadurch die Transportkosten noch erheblich gesteigert werden. Last, not least haben Maos Manager ihre Preise auf OPEC-Niveau gehoben. Kostete das Barrel Rohöl aus China Anfang 1974 noch 3.77 Dollar, so verlangte man um die Jahresmitte für ein Barrel Taching-Öl schon 8.60 Dollar, von Juli bis September 12.85 Dollar und an der Jahreswende schon 14 Dollar.

Bei politisch motivierten Exporten sinkt der Preis klarerweise. Thailand zahlt für chinesisches Dieselöl weitaus weniger als den Weltmarktpreis; Hongkong und die Philippinen werden ebenfalls zu „Freundschaftspreisen“ bedient. Schließlich verfügen weder die Thais noch die Philippinos über diplomatische Beziehungen zum „großen Bruder“. Den Japanern biedert man sich an, um sie davon abzuhalten, sowjetisches öl zu kaufen und die Erschließung der sibirischen ölressoür-cen mitzufinanzieren.

Aber nicht nur Japan schätzt China langfristig als ölmacht der Zukunft ein. Auch führende Köpfe westlicher „Multis“ halten es für denkbar, daß China in wenigen Jahren viermal soviel öl fördern kann wie jetzt. Durch den Export des heißbegehrten Saftes könnte das Land genügend Devisen ansammeln, um sein chronisches Handelsbilanzdefizit abzubauen und in weiterer Folge Industrieausrüstungen aus dem Westen zu kaufen, die dringend für den Ausbau Chinas zum modernen Staat benötigt werden.

Bis es soweit ist, sind noch einige Probleme zu lösen: Was, wenn Peking beschließt, den Großteil der Einnahmen aus den ölexporten lediglich für die Erschließung weiterer Ölvorkommen vor der Küste zu verwenden? Dann käme es zweifellos wieder zu einem militärischen Konflikt mit Taiwan und dessen Verbündeten, den USA, der ungeahnte Ausmaße annehmen könnte.

China betritt das heiße Pflaster des ölmarktes just in jenem Moment, in dem die wichtigsten Abnehmerstaaten alles daransetzen, um autark zu werden und die traditionellen ölförderländer gezwungen sind, zwecks Erhaltung des hohen Preisniveaus Produktionsdrosselungen vorzunehmen. Von den Entscheidungen in den nächsten Jahren wird es abhängen, ob Mao und seine Genossen noch am großen Ölkuchen der späten siebziger Jahre mitnaschen können oder nicht.

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