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Olympia ohne Gnade

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Wieder einmal liegt die sportliche Welt im Olympia-Fieber, und auch Sportmuffel an Schreibmaschinen, Werkbänken und Küchenherden sind gegen Ansteckung nicht immun. Was fasziniert am Wettrennen um Meter und Sekundenhunderstel auf Schanzen, Pisten und in Eiskanälen?

Ohne Zweifel ist Sport vor allem als Triumph von Wille und Leistung gefragt. Die Besten der Welt messen aneinander ihre Kräfte, aber auch ihre Nerven, ihre Ausdauer, ihre Zielstrebigkeit. Olympische Spiele sind ein Gipfel des Leistungssports. Leistung, Leistungsvergleich und Leistungsbelohnung dominieren das olympische Spektakel. Daß dies Millionen begeistert, verwundert ein wenig in einer Zeit, in der übersteigerter, ja „normaler" Leistungsanspruch gerade von vielen Angehörigen der jüngeren Generation kritisch bewertet und vielfach sogar abgelehnt wird.

Nicht wenige von denen, die sich in den Bann des olympischen Triumphalismus ziehen lassen, rümpfen die Nase über den „repressiven" Charakter „übersteigerter" Leistungsanforderung, lehnen vielleicht Schulnoten und Leistungslohn, aber auch den Wettbewerb in der Wirtschaft und Wirtschaftswachstum ab. Aber Aufsteigen mit einem Fünfer im Zeugnis, automatische Gehaltsvorrückung ohne Leistungsbezug, Pragmatisiejrung als Anspruchsprinzip und Verzicht auf EG-Mitgliedschaft zugunsten gemütlicherer Wettbewerbsverhältnisse vertragen sich schlecht mit Jubel und Trubel von Hymnen-, Fahnen-und Medaillenpathos.

Kein Wunder, daß Friedrich Fürstenberg im Katholischen Soziallexikon von einer „Unsicherheit über den Rang des Leistungsprinzips in der allgemeinen Wertehierarchie" spricht. Andererseits hat sich Sport von den frühen Anfängen der Menschheit her mit kultischen Vorstellungen verbunden. Die Kulturen der Jäger, Hirten und Krieger kannten kultische Spiele und Tänze. Sittliche Ideale standen den antiken ebenso wie den in der Neuzeit wiederbegründeten Olympischen Spielen Pate. Alle politischen Bewegungen machen sich die Sportleidenschaft der Menschen zunutze. In den Religionen spiegelt der Rang, den der Sport einnimmt, den Rang des Leibes im Menschenbild wider.

Und doch offenbart gerade auch der Leistungssport die Ambivalenz dieses Ranges. Unvorstellbar, daß in den Bewertungskriterien des Schöpfers Sekundenbruchteile zwischen Sieg und Niederlage, Triumph und Debakel entscheiden könnten. Wahre Weltrekorde an mitmenschlicher Solidarität sind nicht mit den Lorbeerstatistiken des Sports erfaßbar.

Die Goldmedaillen am Tag des Gerichtes werden von keiner noch so präzisen Computeranlage vergeben werden. Denn der perfekteste Computer hat keinen Schaltkreis für Barmherzigkeit.

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