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Olympische Skandale haben Tradition

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Es ist soweit: Österreichs bester alpiner Rennläufer wurde vom Internationalen Olympischen Komitee von der Teilnahme an den Konkurrenzen in Sapporo gesperrt, weil er angeblich gegen die Regeln des IOC verstieß, obwohl die FIS, der internationale Schiverband, nichts gegen ihn einzuwenden hatte und hat. Damit aber hat sich die olympische Bewegung — nicht zum erstenmal, aber gründlich — demaskiert. Nationalistische Frontenstellungen und offenbar auch wirtschaftliche Interessen haben neuerlich die entscheidende Rolle bei einer offensichtlichen Fehlentscheidung gespielt. Und die Diagnose ist nicht eben erfreulich: Olympia entspricht nicht mehr dem Idealmodell Coubertinschen Musters, sondern ist ein nationalistischer Interessenverein zwischen den Blöcken — in dem die Kleinen das Nachsehen haben und die Großen bestimmen, was ihnen eben paßt.

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Es ist soweit: Österreichs bester alpiner Rennläufer wurde vom Internationalen Olympischen Komitee von der Teilnahme an den Konkurrenzen in Sapporo gesperrt, weil er angeblich gegen die Regeln des IOC verstieß, obwohl die FIS, der internationale Schiverband, nichts gegen ihn einzuwenden hatte und hat. Damit aber hat sich die olympische Bewegung — nicht zum erstenmal, aber gründlich — demaskiert. Nationalistische Frontenstellungen und offenbar auch wirtschaftliche Interessen haben neuerlich die entscheidende Rolle bei einer offensichtlichen Fehlentscheidung gespielt. Und die Diagnose ist nicht eben erfreulich: Olympia entspricht nicht mehr dem Idealmodell Coubertinschen Musters, sondern ist ein nationalistischer Interessenverein zwischen den Blöcken — in dem die Kleinen das Nachsehen haben und die Großen bestimmen, was ihnen eben paßt.

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Dabei verkünden alle vier Jahre Dutzende offizielle Redner in stereotypen Phrasen die olympischen Schlagworte, daß das Coubertinsche Ideal der Olympischen Spiele „nicht der Sieg, sondern die Teilnahme“ sei, daß der „Sport die Völker zum friedlichen Wettstreit“ vereinige und daß die „völkerverbindende Mission des Sports immer noch Wunder des Friedens“ vollbringe. Wir hören die Botschaft, glauben wir noch daran?

Nur Skeptiker können die Bedeutung des Sportes leugnen. Dabei gibt es im Sport dennoch Sternstunden, die wieder an die Zukunft von Olympia glauben lassen. Zum Beispiel am 6. September 1960 im Olympiastadion zu Rom: Drei Sportler kämpften um die wahrscheinlich bedeutendste Goldmedaille der Olympischen Spiele, im Zehnkampf; denn nicht zu Unrecht nennt man den Sieger im leichtathletischen Dekathlon „König der Athleten“. Drei Männer also standen nach neun harten Prüfungen am Ablauf zum letzten Wettkampf, zur Marter des 1500-m-Lau-fes. Bs war ein erbittertes Ringen, mühsam schleppten sich die drei über die letzten Meter, dann lagen sie erschöpft auf dem Rasen. Aber noch bevor sie sich so recht erholt hatten, fielen sie einander wie Brüder um den Hals, wahrscheinlich haben sie sogar geweint, wie Freunde, die einander nach einem Krieg zum erstenmal wieder begegnen. Es waren: Der Sieger Rafer Johnson, ein farbiger Amerikaner, der für Formosa startende Nationalchinese Yang Chuan Kwäng, ein Gelber, und der Sowjetrusse Kus-netzow. Drei Welten.

Sport und Toleranz

Freilich, solche Sternsekunden gibt es nur selten, zu selten. Die Sportler selbst, also jene Menschen, auf die es eigentlich im Sport ankommt, könnten der Welt viele solcher Ereignisse schenken; aber hinter diesen aktiven jungen und begeisterten Menschen stehen Staaten und Politik — damit aber auch die Intoleranz. Lessing hat seine Ringparabel im „Nathan“ gegen die religiöse Unduldsamkeit geschrieben. Wer wird endlich eine moderne „Ringparabel“ — im Zeichen der fünf olympischen Ringe nämlich — gegen die Intoleranz und den Haß, den es leider im olympischen Sport gibt, schreiben?

Mr. Avery Brundage, der umstrittene Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, erklärte nach den letzten Sommerspielen in Mexico City (1968): „Ein magisches Wort hat die Athleten aus allen füni Kontinenten nach Mexiko gebracht Dieses magische Wort heißt .Olympia'. Ohne Armee und ohne Polizei, ja ohne Geld, und nur getragen von der hohen Moral ihrer Prinzipien hat sich die olympische Bewegung immer stärker erwiesen als viele andere Kräfte in der Welt, die unsere Idee bedrohen.“

Der alte Mann, der mit jugendlichem Eifer im Stile Don Quichotte; gegen die Windmühlen des modernen Sportes ankämpft, betrachtet als den ärgsten Feind dieser olympischen Idee freilich die wirtschaftlichen Aspekte des Sportes und daher verteidigt er in einem Anachronismus sondergleichen und mi1 einem Fanatismus, der einer besseren Sache würdig wäre, den zweifellos überholten Amateurparagraphen. Sein Kampf gilt aber nicht dem gefährlichen Nationalismus, der vor allem von den kommunistischen Staaten ausgeht, die ihre Sportler nicht nur zum friedlichen Wettstreit ausbilden, sondern zum Kampf für ihre politische Idee, und zwar schärfer und härter als es im Profisport üblich ist. Dennoch tastet niemand, auch Mr. Brundage nicht, den Amateurstatus der Ostblockstaatsamateure an.

Die schwarze Faust

Mr. Brundage, der nach den Spielen in Mexiko die „großartige Verbindung zwischen den Völkern“ pries, scheint drei Ereignisse, die sich vor den Spielen und während derselben abgespielt haben, völlig übersehen zu haben:

Im Frühjahr 1968 protestierten einige afrikanische Republiken gegen die Teilnahmeerlaubnis, die das IOC der Republik Südafrika gegeben hatte. Die Sowjetunion und mit ihr alle kommunistischen Satelliten schlössen sich mit Boykottdrohungen diesem Protest an. Das IOC forderte daraufhin Südafrika auf, mit einer gemischten Mannschaft (Schwarze und Weiße in einem olympischen Team) nach Mexiko zu kommen. Die südafrikanische Republik stimmte zu. Ein unglaublicher Erfolg war dem IOC also geglückt. Auch der Westen jubelte: Endlich ein Einbruch in die Apartheidpolitik! Was folgte, war schmählich. Die Afrikaner und der Ostblock, die anscheinend nicht mit einem Einlenken der Südafrikaner gerechnet hatten, drohten dennoch — also zum zweitenmal — mit einem Boykott. Das Zugeständnis Südafrikas (mit einer gemischten Mannschaft zu starten) wurde „nicht einmal ignoriert“. Und jetzt versagte das oberste Gremium des Sports. Die Südafrikaner, Weiße wie Schwarze, wurden wieder ausgeladen.

Ein halbes Jahr später brachen die Panzer der Sowjetunion in die Tschechoslowakei ein. Viele — aber viel zuwenige — verlangten vom IOC den Ausschluß der Friedensbrecher. Aber gerade ein Teil jener verantwortlichen Leute, die sich zuvor noch so lautstark für „Frieden und Gerechtigkeit“ eingesetzt hatten, schwiegen nun.

Avery Brundage hat als Bannerträger der olympischen Idee — mit Blindheit geschlagen — aber auch übersehen, daß es vor den Spielen in Mexiko 1968 zu blutigen Unruhen gekommen ist. In diesem Land der Gegensätze und der großen sozialen Spannungen hatten Studenten, Demonstranten und — wie immer bei solchen Anlässen — Gewalttäter ohne Ideologie die Olympischen Spiele benützt, um eine blutige Rebellion anzuzetten. Drei Wochen vor Beginn der Spiele standen vor dem Oympiastadion, das gegenüber der Universität liegt, Reihen von Panzern, lagerten Soldaten mit ihren Gewehren unter den Bäumen am Rande der Stadt und vor der Botschaft der USA. Für die Demonstranten waren die Spiele nur der Anlaß, weltweites Echo zu erhalten.

Oder hat Mr. Brundage die schwarzen Fäuste übersehen, welche die zwei scharzen Amerikaner bei der Siegerehrung des 200-Meter-Laufes Zuschauern und olympischen Ringen entgegenstreckten?

Hier haben Sportler menschlich versagt; denn eine derartige Demonstration bei einem „völkerverbindenden Sportfest“ ist ein Mißbrauch der olympischen Idee.

Im Zeichen der fünf Ringe spielte sich auch die deutsche Tragödie ab. Die „völkerverbindende Mission“ des Sports wurde zur Trennung eines Volkes benützt. Der DDR gelang es in der Vollversammlung des IOC am 8. Oktober 1965 in Madrid, ihre Vollmitgliedschaft durchzusetzen. Das IOC war somit die erste internationale Körperschaft, die die DDR offiziell anerkannte. Diese Entscheidung war eine rein politische, und so wurde sie auch von den DDR-Machthabern verstanden und ausgenützt. Es war das Sprungbrett zur Selbständigkeit, zur Teilung Deutschlands.

Wenn am 3. Februar dieses Jahres bei der Eröffnungszeremonie in Sapporo die Mannschaften in das Mako-manai-Stadion einmarschieren, geht für alle Welt offensichtlich und wohl endgültig auch das letzte Kapitel gesamtdeutscher Gemeinsamkeit im Sport zu Ende. Zum erstenmal gehen zwei „völlig voneinander getrennte deutsche Mannschaften an den Start, die nicht einmal mehr Fahne und Hymne gemeinsam haben.

Die Olympischen Spiele seit 1948 bilden also ein getreues Spiegelbild deutscher Nachkriegsgeschichte, ein Bild mit Trauerrand: 1948 war Deutschland weder politisch noch sportlich salonfähig. Die olympische Familie, die sich in London und St. Moritz traf, lud die deutschen Sportler nicht ein.

Doch schon 1952 nahmen wieder deutsche Sportler — in Helsinki (Sommer) und Oslo (Winter) an den Olympischen Spielen teil. Sie traten in zwei Mannschaften an, als Bundesrepublik Deutschland und als Saarland, das damals noch politisch selbständig war. Das IOC erkannte zu diesem Zeitpunkt lediglich das „Nationale Komitee für Deutschland“ (also der Bundesrepublik) an und forderte die Sportführung der DDR auf, sich diesem anzuschließen oder ein gemeinsames Nationales Olympisches Komitee zu bilden. Da keine Einigung zustande kam, konnten 1952 die Sportler der DDR nicht starten.

Vier Jahre später trat in Melbourne (Sommer) und Cortina (Winter) erstmals eine gemeinsame deutsche Olympiamannschaft hinter der schwarz-rot^goldenen Fahne an, die 1956 auch von der DDR anerkannt wurde. Als gemeinsame Hymne hatte man sich auf die „Hymne an die Freude“ aus Beethovens Neunter Symphonie geeinigt.

1960 (Sommerspiele in Rom, Winterspiele in Squaw Valley) bröckelte die gesamtdeutsche Gemeinsamkeit bereits wieder ab. Die DDR setzte eine „Kompromißfahne“ durch (Schwarz-Rot-Gold mit olympischen Ringen).

1965 in Madrid erfolgte dann die Teilung des deutschen Sports. Nur noch eine gemeinsame Fahne und die Hymne erinnerten daran, daß es eigentlich einmal ein Deutschland gegeben hat. Die Mannschaften traten unter „Deutschland“ und „Ostdeutschland“ an. Sapporo ist nunmehr der Schlußpunkt dieser tragischen Entwicklung. Nach dem Beschluß der Vollversammlung von Mexico City wird der DDR-Mannschaft in Japan und auch in München eine eigene Fahne und eigene Hymne zugestanden. Auch „DDR“ wird als offizieller Name anerkannt. Die Teams starten offiziell unter den Titeln GER (Germany — Deutschland) und GDR (englische Kurzform für DDR).

Verräter...

In diesem Zusammenhang freilich fällt auf, daß die Ostblockstaaten im Olympischen Komitee immer mehr Einfluß gewinnen. Ein außenpolitischer Vergleich bietet sich geradezu an: Überall, wo sogenannte „progressive“ (ganz linke) Kräfte im Westen vorherrschen, wächst der Einfluß des Ostblocks.

Die DDR ist ein markantes Beispiel für die ungeheure Heuchelei, die aus politischen Gründen betrieben wird. Den Beweis liefert der jüngste Fall einer Sportlerübersiedlung nach dem Westen. Als der DDR-Eiskunstläufer Günther Zöllner kürzlich in die Bundesrepublik flüchtete, wurden ihm Leitartikel in den DDR-Gazetten gewidmet. Immer wieder tauchten Schlagzeilen wie „Hochverräter an der Sache des Soziallsmus“ auf. Und nur naive Leute glauben immer noch, man laufe einfach Ski oder man spiele Fußball, weil es den Sportlern Spaß macht. In Wirklichkeit ist Sport genauso Politik wie Wirtschaft oder Diplomatie.

Dazu kommt: kein geflüchteter Sportler aus „sozialistischen“ Ländern ist für seine neue Heimat startberechtigt, auch wenn er längst seine Staatsbürgerschaft gewechselt hat. Das IOC singt also bei diesem garstigen politischen Lied wacker mit. Freilich erst dann, wenn einzelne Staaten die Sperre verlangen. Beispiele gibt es genug: Die Leichtathleten Rosznyoi und Cegledi — sie waren 1956 aus Ungarn geflüchtet — durften als Österreicher weder bei den Olympischen Spielen noch bei Europameisterschaften antreten. Die deutsche Leichtathletik-Nationalmannschaft trat zu den Europameisterschaften in Athen im Jahre 1969 nicht an, weil der ehemalige ostdeutsche Läufer Jürgen May auf Wunsch des Ostblocks gesperrt wurde. Mr. Brundage und Genossen unterschreiben damit (hoffentlich nur gedankenlos) die Gehässigkeiten der Kommunisten.

Daß es im Sport freilich auch internationale Freundschaft geben kann, hat Österreich längst bewiesen: Der vielfache Internationale Österreichs im Langstreckenlauf, der Tiroler Konrad, übersiedelte nach Deutschland und erhielt vom ÖLV (Leichtathletikverband) selbstverständlich die Freigabe. Er startete 1956 in Melbourne für Deutschland im 10.000-Meter-Lauf.

Neben seinem Vernichtungsfeldzug gegen die „Werbesportler“, vor allem gegen die alpinen Skiläufer, und hier wieder ganz besonders die „frechen“ Österreicher, könnte sich Mister Brundage also wohl mit diesen viel ernsteren Fällen beschäftigen.

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