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Omnipotente Nationalität

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Mitte November tagte in Triest der Vorbereitungsausschuß für die Internationale Konferenz über die Fragen der nationalen Minderheiten, die vom 27. bis zum 31. Mai nächsten Jahres in Triest stattfinden wird. An diesen Vorbereitungsarbeiten nahmen etwa 40 angesehene europäische Wissenschaftler für soziale, juridische und historische Fragen teil. Die Konferenz selbst wird von der Provinz Triest veranstaltet und im Vorbereitungsausschuß unter der Leitung des Provinzratsvorsitzenden Dr. Michele Zanetti befinden sich auch die Vertreter der slowenischen Volksgruppe, unter ihnen der slowenische Abgeordnete im Regionalparlament von Friaul-Julisch-Venetien, Drago Stoka. Da die im Jahre 1971 von der Provinz Triest angekündigte Konferenz nur die Fragen der slowenischen Minderheit in Friaul-Julisch-Venetien erörtern sollte und später die Thematik auf verschiedene Volksgruppen, die als Minderheiten bezeichnet werden können, erweitert wurde, äußerte Drago Stoka die Hoffnung, daß die Konferenz der slowenischen Minderheit in Italien besondere Aufmerksamkeit widmen werde, was übrigens auch die Bedingung für die Mitarbeit der slowenischen Liste „Slovenska skupnost“ im die Region regierenden Centro-Sinistra war.

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Mitte November tagte in Triest der Vorbereitungsausschuß für die Internationale Konferenz über die Fragen der nationalen Minderheiten, die vom 27. bis zum 31. Mai nächsten Jahres in Triest stattfinden wird. An diesen Vorbereitungsarbeiten nahmen etwa 40 angesehene europäische Wissenschaftler für soziale, juridische und historische Fragen teil. Die Konferenz selbst wird von der Provinz Triest veranstaltet und im Vorbereitungsausschuß unter der Leitung des Provinzratsvorsitzenden Dr. Michele Zanetti befinden sich auch die Vertreter der slowenischen Volksgruppe, unter ihnen der slowenische Abgeordnete im Regionalparlament von Friaul-Julisch-Venetien, Drago Stoka. Da die im Jahre 1971 von der Provinz Triest angekündigte Konferenz nur die Fragen der slowenischen Minderheit in Friaul-Julisch-Venetien erörtern sollte und später die Thematik auf verschiedene Volksgruppen, die als Minderheiten bezeichnet werden können, erweitert wurde, äußerte Drago Stoka die Hoffnung, daß die Konferenz der slowenischen Minderheit in Italien besondere Aufmerksamkeit widmen werde, was übrigens auch die Bedingung für die Mitarbeit der slowenischen Liste „Slovenska skupnost“ im die Region regierenden Centro-Sinistra war.

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Seit ihrer Gründung im Jahre 1963 hat die Region Friaul-Julisch-Venetien schon manches für die slowenische Volksgruppe geleistet und mehrere Fragen des täglichen Lebens der slowenischen Volksgruppe positiv gelöst, wie es der Artikel 3 des Regionalstatuts vorsieht. Doch die Zuständigkeit der Region für die Angelegenheiten der slowenischen Volksgruppe wurde ihr trotz Artikel 3 vom Verfassungsgericht in Rom aberkannt, was den besagten Artikel im Regionalstatut so gut wie sinnlos machte. Der Spruch des römischen Verfassungsgerichtes ist um so weniger erklärlich, als ja gerade das Vorhandensein einer slowenischen Minderheit der Grund für das SpezialStatut der Region Friaul-Julisch-Venetien gewesen war.

Die Haltung der italienischen Mehrheit gegenüber der slowenischen Volksgruppe besserte sich jedoch seit Gründung der Region zusehends. Man baut nicht mehr italienische Siedlungen in slowenischen Gemeinden, mit welcher Methode man früher einige slowenische Orte rund um Triest und sogar die slowenische Gemeinde Devin-Nabrezi-na/Duino-Aurisina überwiegend italienisch gemacht hatte.

Die einzigen zwei Gesetze zugunsten des slowenischen Schulwesens wurden einst unter der römischen Regierung des „Centro“ (ohne „Sini-stra“1) angenommen. Auf dem christdemokratischen Parteikongreß im vergangenen April meinte sogar der damalige Sekretär Coloni, daß die Zeit für einen Eintritt der katholischen und demokratischen Slowenen in die Democrazia Cristiana reif sei. So „II Meridiano di Trieste“ in einer seiner Septemberausgaben.

Guter Wille für die Lösung aller Fragen der slowenischen Volksgruppe wird in den Kreisen des in der Region regierenden „Centro-Sinistra“, und vor allem seitens der Christdemokraten und Sozialisten immer wieder betont, und das Eintreten für die Minderheit bei der römischen Regierung zugesichert. Doch sind die christdemokratischen und sozialistischen Funktionäre für eine stufenweise Lösung der Fragen, während die slowenischen politischen Vertreter und die kommunistische Opposition sich für ein globales Schutzgesetz einsetzen. Eine verspätete Lösung der offenen Fragen könnte aber wegen der Erbitterung langjährigen Zuwartens nur von geringem Effekt sein. Dies beweist das nunmehr vereinfachte Verfahren zur Wiedererlangung der in der faschistischen Ära zwangsweise italianisierten slowenischen Familiennamen; der plötzlich gewährten juridischen Möglichkeit bedienten sich nur wenige Slowenen, deren Familiennamen italianisiert worden waren.

Ohne Erfolg blieben auch alle Versuche der slowenischen Volksgruppe, die Rückstellung oder den Ersatz des in der faschistischen Ära konfiszierten Vermögens der slowenischen Genossenschaften durchzusetzen. In Triest betrug vor dem Ersten Weltkrieg allein das Kapital der slowenischen Banken und Sparkassen 58,5 Millionen österreichische Kronen (gegenüber den 67 Millionen der italienischen). Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde das slowenische Kapital zur Gänze liquidiert und den italienischen Geldinstituten übergeben. Die einzige slowenische Bank, die heute noch in Triest arbeitet, die „Trzaska kreditna banka/Banca di Credito di Trieste“, konnte erst nach dem Londoner Abkommen von 1959 mit ihren finanziellen Operationen beginnen und hat erst im vergangene Jahr bei der Banca d'Italia die Bewilligung für Auslandsgeschäfte durchsetzen können. Als einziges slowenisches Geldinstitut überlebte die noch heute in Götz tätige kleinere „Kmecka banka/Banca agrico-la“ den Faschismus. Vier slowenische Sparkassen von lokaler Bedeutung überlebten außerdem in Sovodnje/ Savogna d'Isonzo, in Doberdob/Do-berdö del Lago, Nabrezina/Aurisina und in Opcine/Opicina oberhalb Triests.

Das Londoner Abkommen beinhaltet für die Provinz Triest einige Bestimmungen über die slowenische Presse, über Ausbildung, Kultur, Sportvereine und Schulwesen (Art. 4). In Triest gibt es die folgenden slowenischen Schulen: eine Lehrerbildungsanstalt (4 Klassen), ein wissenschaftliches Lyzeum (5 Klassen), ein Klassisches Lyzeum (5 Klassen),eine Handelsmittelschule (5 Klassen) upd eine Industriefachschule (3 Klassen). Bemühungen der slowenischen Vertreter gehen nun dahin, die In-dustriefachschule in eine fünfklas-sige Industriemittelschule umzuwandeln oder die Gründung einer neuen Industriemittelschule zu erreichen. Das Londoner Abkommen bezieht sich nicht auf die Provinz Görz, doch gibt es in Götz eine slowenische Handedsmittelschule, eine Lehrerbildungsanstalt und ein Gymnasium-Lyzeum. Slowenische Volksschulen gibt es in Triest ebenso wie in Görz und in der Umgebung. Die Zahl der slowenischen Schüler beträgt derzeit in der Provinz Triest insgesamt 3383 (um 149 mehr als im vorigen Jahr), die slowenischen Kindergärten betreuen 800 Kinder; in der Provinz Görz sind es insgesamt 503 Schüler und nahezu 100 Kinder in den Kindergärten. An der Fakultät für moderne Sprachen in Udine wurde vor zwei Jahren eine Lehrkanzel für die slowenische Sprache und Literatur errichtet.

Ohne irgendwelchen Unterricht in der slowenischen Sprache bleibt aber noch immer die 30.000 Menschen zählende slowenische Volksgruppe in der Provinz Udine, die sich im Jahr 1866 für Italien entschied. In der faschistischen Zeit verloren die Slowenen der Provinz Udine auch in den Kirchen den Gebrauch ihrer Sprache. Der Gottesdienst wird auch heute in der Nachkonzilszeit noch immer italienisch gefeiert.

Artikel 5 des Londoner Abkommens bestimmt die Zweisprachigkeit in der Provinz Triest: die slowenischen Staatsbürger haben das Recht auf Gebrauch ihrer Muttersprache im Kontakt mit Gerichten und Verwaltungsbehörden und das Recht auf Beantwortung ihrer Eingaben in derselben Sprache, zumindest in Form von beigefügten Übersetzungen. Orte oder Stadtteile mit 25 Prozent slowenischer Bevölkerung müssen zweisprachige Beschriftungen, Ortstafeln und Straßennamen aufweisen. Wegen der Nichtratifizierung des Londoner Abkommens im römischen Parlament ist aber die Durchführung dem guten Willen der einzelnen Gemeinden überlassen. Zweisprachige Ortstafeln finden sich in den Gemeinden Devin-Nabrezina/Duino-Aurisina, in Zgonik/Sgonico, Repen-tabor/Monrupinö, Dolina/S. Dorligo della Valle, und in der Provinz Görz, die durch das Londoner Abkommen nicht verpflichtet wird, in Sterver-jan/S. Floriano del Collio, Sovodnje/ Savogna d'Isonzo und Doberdob/Do-berdö del Lago. Ohne zweisprachige Beschriftung bleiben aber die Gemeinde Triest, die von den Kommunisten verwaltete Gemeinde Muggia/ Milje und in der Provinz Görz die Gemeinde Cormons/Krmin. In der Provinz Udine werden keine zweisprachigen Beschriftungen toleriert.

In der Stadt Triest gründete man für die einzelnen Stadtteile und Vororte die Rayonskonsuiten, um ein besseres Funktionieren der Gemeindeverwaltung zu erreichen. In einigen dieser Konsuiten ist auch Slowenisch als Amtssprache zugelassen. Vor kurzem wurde aber der „Slovenska skupnost“ die schon versprochene Stelle eines Rayonskon-sultenvorsitzenden abgelehnt. Desgleichen wurde die „Slovenska skupnost“ von den Sekretärs- und Vorsitzendenstellen der zahlreichen regionalen Kommissionen und anderen Institutionen ausgeschlossen, während diese Stellen den oppositionellen liberalen und kommunistischen Vertretern offenstanden.

Die Interessen der slowenischen Volksgruppe vertritt deren politische Organisation, die „Slovenska skupnost“ gemeinsam mit dem Slowenischen Demokratischen Verband in Görz. Diese slowenische Koalition wird in Triest noch von den slowenischen Demokraten und von der slowenischen Linken unterstützt. Dagegen steht aber die Assimilationspolitik der italienischen KP und der Sozialisten, die unter dem Motto des Internationalismus und der Verbrüderung Einfluß auf einen großen Teil der linksorientierten slowenischen Wähler ausüben. Unverständlich bleibt dabei, daß die jugoslawische Teilrepublik Slowenien die Eingliederung von Triestiner Slowenen in die italienische KP trotz der damit verbundenen Assimilierung unterstützt.

In Triest besteht seit den Tagen der angloamerikanischen Besetzung des „Freien Territoriums Triest“ der slowenische Sender „Radio Trst A“ mit zwölfstündiger Sendezeit. Die Vertreter der slowenischen Volksgruppe setzten sich für eine tägliche Fernsehsendung von etwa zwei Stunden ein, wie sie schon für das deutschsprachige Südtirol eingeführt wurde und im französischsprachigen Aosta derzeit in Vorbereitung ist. Ein diesbezügliches Gesuch wurde in Rom zwar nicht abgelehnt, da im benachbarten jugoslawischen Köper ein farbiges Fernsehprogramm für die italienische Minderheit läuft, aber mit einer baldigen Erledigung ist nicht zu rechnen. Demgegenüber erhofft man jedoch eine baldige staatliche Finanzierung des slowenischen Theaters in Triest.

In Italien wird an den zentralen Stellen nicht zwischen den Begriffen „Volk“, „Nation“' und „Staatsbürgerschaft“ unterschieden und alles dies als „Nazionalitä“ bezeichnet. Daher fällt es den zu „Minderheiten“ herabgesunkenen Volksgruppen bei aller Anerkennung ihrer Sprach- und Menschenrechte äußerst schwer, bei den in nationalistischer Mentalität erzogenen italienischen Mitbürgern Verständnis zu finden. Auch der „gute Wille“ hat daher oft nur formalen Charakter.

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