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Onkel aus Amerika

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Die Frage, was der amerikanische Präsident George Bush bei seinen Besuchen in Warschau und in Budapest - ab kommenden Samstag, 8. Juli - an Geschenken mit sich im Gepäck führen wird, beschäftigt Polen und Magyaren seit Wochen (siehe Seite 3). Die Botschaft vom „Sieg des Kapitalismus“, seit Jahrzehnten als Endziel im Westen propagiert, seit Monaten zum Greifen nahe, wird den beiden noch-kom-munistischen Staaten mit fast täg^ lieh überraschenden politischen Veränderungen in ihrem wirtschaftlichen Desaster ebenso wenig bringen wie das Zögern jener, die den Reformen im Osten ma wenig Chancen zubiUigen und stündUch deren Scheitern erwarten.

Wir befinden ims in der Phase des Spätkommunismus. Er stirbt dort ab, wo er real geworden war. Lebendig ist er noch in den Köpfen jener, die ihn als Feindbild brauchen, um eine Kalter-Krieg-Politik zu konservieren. Scheinbar am Leben ist er dort, wo seine Prinzipien nur mehr mit der Waffe verteidigt werden können.

Wenn die Großmacht USA auf die Vorgänge in China sehr zurückhaltend reagiert, das Riesenreich nicht in die Isolation treiben will und schon in den Startlöchem scharrt, um dort normal weiterzumachen, wo am 4. Juni mit Panzern und Gewehren eine Zäsur erfolgte, um wieviel mehr müßte Präsident Bush die Reformpohtik in Polen, Ungarn und auch in der Sowjetunion anerkennen imd, wie er in Mainz am 31. Mai betonte, „jenseits der Eindäm-mungspoUtik“ zu einer Art Kooperation mit Osteuropa kommen I

Werden die USA untätig zuschauen, den Kassandra-Rufen glauben, abwarten vmd Osteuropa sich selbst —oder wirtschafthch den westeuropäischen Staaten — etwa der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich oder vielleicht sogar Großbritannien -überlassen? Francois Mitterrand hat jüngst in Polen die Umschxüdung von einer Milliarde Dollar poliüscher Auslandsschulden imd einen Kredit in Höhe von 100 Millionen Francs in Aussicht geste lltMomentanverhandeltMicbail Gorbatschow in Paris mit dem französischen Staatspräsidenten. Helmut Kohl will bei seinem noch immer nicht terminisierten Polen-Trip einen Schuldenerlaß von 500 Mil-honen Deutsche Mark gewähren.

Die Magyaren erwarten jetzt von den USA die Erteilimg der Meistbe-günstigxmgsklavisel für fünf Jahre, eine Ausdehnung des Allgemeinen Zollpräferenzsystems auf Ungarn sowie die Übernahme von Verpflichtungen und Garantien für amerika-

msche Privatinvestitionen in Ungarn auf Regierungsebene. So will man die ausländische Kapitalbetei-hgxmg inderungarischen Wirtschaft beträchtlich erhöhen.

Während Ungarn (10,5 Millionen Einwohner) mit 18 Milliarden Dollar verschuldet ist, beträgt diese Svmune bei Polen (38 Millionen Einwohner) nahezu 40 Milliarden. Die IMlationsbekämpfung wird immer drängender. Polen kaim vorläufig kaum wirtschaftüche Kooperation anbieten. Das Land braucht rasche materielle imd fir nanzielle Auslandshilfe.

Über Michail Gorbatschows Visite in der Bundesrepublik (FURCHE 25/1989) schrieben amerikanische Magazine: „Er kam, sie sahen, er siegte.“ Was wird man über George Bushs Reise in jene osteuropäischen Staaten sagen, denen Gorbatschow eine Vorreiterrolle bei Reformexperimenten zugedacht hat, deren poU-tische Reformfortschritte aber wegen der prekären Wirtschaftslage bedroht sind?

Wenn - wie der Sprecher des

Weißen Hauses, Merlin Fitzwater, bestätigte - Bush tatsächlich in Polen mit einem internationalen Hilfsplan aufkreuzen sollte, köimte vielleicht eine neue Ära der Ost-West-Z\jsammenarbeit - zunächst über Hilfsmaßnahmen - eingeleitet werden. Das müßte auch für die Moskauer Reformer wie ein Signal wirken, daß es sich auszahlt, politische Reformen zu forcieren.

Wie ernst in der Sowjet\inion neben dem NationaUtätenproblem die wirtschaftliche Lage ist, hat dieser Tage der führende sowjetische Wirtschaftswissenschaftler Leonid Abalkin vor Augen geführt. Abalkin, jetzt auch Stellvertretender Ministerpräsident tmd Leiter der staatUchen Wirtschaftsreformkommission, spricht von einem „Ausnahmezustand“. Der Vertrauensvorschuß für die Reformer schwinde, für die Sanierung der sowjetischen Wirtschaft habe man noch maximal zwei Jahre Zeit. Das ist doch ein Hilferuf!

Die sowjetische Parteizeitung „Prawda“ warnt in diesem Zusammenhang vor einer amerikanischen Ost-Politik, die nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche funktio-züere. Wül man damit das Ausein-andeidividieren der kommunistischen Länder mittels westUcher Wirtschaftshilfe stoppen?

Bush kann diesen Eindruck in Warschau und in Budapest verstärken oder entkräften. Die Ost-Poü-tik der Vereinigten Staaten sollte sich aber davor hüten - hört man aus osteuropäischen Reformkreisen -, nur jene zu beruhigen, die - nach dem „Sieg des Westens“ im Kalten Krieg, im Zeitalter verstärkter Abrüstungsbemühungen und -maßnahmen - plötzÜch vor der geopoÜ-tischen Überlegenheit der Sowjetunion zu warnen beginnen; bloß um die alte Freund-Feind-Politik mit allen wirtschaftUch-nühtärischen Konsequenzen bequemfortsetzenzu können.

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