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Opemfiguren werden Menschen

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Wer die alte, seit Jahren schrottreife „Ariadne“ der Wiener Staatsoper als Routineaufführung im Repertoire sah, fragte sich wohl manchmal: Kann uns dieses synthetische Spiel mit Stilelementen, Symbolfiguren, mythologischen Gestalten heute noch etwas bieten? Oder:' Was geht uns ein solcher Historienverschnitt, ein Maskeradenzirkus intellektueller Spiellaune, an? Es staubte einem aus der Klamotte entgegen. Die Schönheiten des Werks waren einfach verschüttet. Um so größer nun die Überraschung - ein Wunder des Operntheaters. Richard Strauss' und Hofmannsthals Stück feiert einen Triumph sondergleichen (der allerdings „Daphne“, „Capriccio“ oder „Danae“ wohl versagt bleiben wird!).

Was Karl Böhm und dem italienischen Regisseur Füippo Sanjust gelungen ist, zeugt von tiefem Verstehen der diffizilen stilistischen, dramaturgischen, psychologischen Probleme dieses eminent schwierigen Stücks. Zwei Künstler, die sich in leidenschaftlicher Hingabe zu verschwenden vermögen, wo sie in kritischer Distanz ein äußerstes an Kalkül einsetzen, haben ein Spiel- und Interpretationsmodell gefunden, in dem musikalische und szenische Dramaturgie eins geworden sind, Optik, Gestus und Klang einander ergänzen. Um dieses Konzept zu realisieren, steht ein Ensemble zur Verfügung, das Schritt für Schritt Maßarbeit leistet. Es beschert Eindrücke, die man bewundernd als Sternstunde der Oper klassifizieren muß.

Wo Karl Böhm Hand anlegt, dominiert natürlich die Musik. Prima la musica. Das ist für ihn selbst bei einem so artifiziellen dichterischen Spektakel wie der „Ariadne“ Devise. Böhms Konzeption ist klar, sachlich, logisch. Aber stets von jener Herzlichkeit erwärmt, die Opernfiguren menschlich werden und den Zuschauer jenes Wunder des Theaters empfinden läßt, daß Sänger auf dem Podium eben als Ariadne, Bacchus, Zerbinetta oder Harlekin Schicksale aufzurollen vermögen. Und wie'Böhm da die Philharmoniker anspornt, um kammermusikalische Phrasen aufblühen zu lassen, das Orchester zum sinnlich gleißenden Finale anheizt, sein Sängerensemble zu äußerster Intensität steigert, das ist einzigartig. Sie, die Stars, können mit ihm glücklich sein wie mit kaum einem anderen. So präzise, so behutsam, so besonnen und bestimmt führt er.

An Sängern steht ihm allerdings ein Idealensemble zur Verfügung. Gundula Janowitz als Ariadne - eine strahlende Prinzessin, die den weichen Goldglahz ihres Soprans verschwenderisch verströmen läßt. Die Höhe leuchtet kraftvoll, das samtige Piano der Mitte läßt Todesfurcht und Sehnsucht entstehen. Edita Gruberovd ist eine fulminante Zerbinetta. Makellos perlen die Koloraturen ihrer Arie, die sie zu einem Furioso der Gesangskunst werden läßt. Kein Wunder, daß das Publikum sie mit einem Beifallssturm auf offener Szene feierte. Agnes Baltsa singt den Komponisten mit viel Feuer, mit geschmeidigem Timbre, schön im Ausdruck, zwischen Aufregung, Verhaltenheit, aufkeimender Liebe... Die Persönlichkeit könnte allerdings stärkere Ausprägung vertragen.

Auf der Seite der Herren fast durchwegs gleichwertige Besetzungen: James King ist für mich noch immer einer der imponierendsten Bacchus-Interpreten: zart in der Lyrik, voll Temperament, Leidenschaft, kostbarem Schmelz. Heinz Zednik begeistert als puppenhafter Tanzmeister-Geck. Walter Berry rückt den Musiklehrer ins Gemütlich-Väterliche. Zerbinettas Galanquartett (Barry McDaniel, Kurt Equiluz, Manfred Jungwirth, Gerhard Unger) brilliert mit komödiantischem Spiel.

Man muß das alles vorwegnehmen, um begreiflich zu machen, daß hier Darstellungsstil, also Pantomimisches, stilisierte Gesten, das Pathos des spätbarocken Schauspiels, daneben der Darstellungsstil der reformierten Gluck-Oper und die grotesken Komödienelemente der Comme-dia dell'Arte mit dem Gesangsstil eine perfekte Symbiose, ein untrennbares Ganzes ergeben. Denn dieses bis in die kleinsten Details blankpolierte, zu-rechtgeschliffene Ganze ist wohl nur mit einem solchen Team möglich.

Vor allem Filippo Sanjusts szenischem Konzept muß man rückhaltlos Bewunderung aussprechen. Ich habe „Ariadne“ kaum jemals so im Gleichgewicht psychologischer Tiefe und geistvoller Anspielungen erlebt. Jeder Zoll dieser Inszenierung macht das spürbar: die klug kalkulierte Paraphrase auf den heroischen Opernstil des frühen 18. Jahrhunderts, die klassische Opernreform Glucks, die italienische Commedia Harlekins und seiner derben Spießgesellen, die hier von Hofmannsthal freilich entsprechend dem Rahmen noblere Sitten verpaßt bekommen haben ... Sanjust hat dieses Neben- und Ineinander der Stile, Traditionen, Symbole durch sein eigenes romantisches Empfinden gefiltert. Das geistvoll konstruierte Spektakel im Palasttheater des neureichen Grafen im mariatheresianischen Wien gewinnt so humane Dimension. Das Nebeneinander von Tragödie und Komödie, von Wandlung und Verwandlung, Maskerade und maskiertem Empfinden, Ironie und tieferer Bedeutung wird zur Komödie der Empfindsamkeit.

Aber auch im Bühnenbild, das geradezu musikalische Vorstellungen in Farben umsetzt, vereinigt Sanjust diese Stilelemente zum reizvollen Wechselspiel der Gegensätze. Barock trumpft das Vorspiel auf, die Hinterbühne mit Maschinerie im flackernden Licht hunderter Kerzen, mit - fast schon altmodischer - barocker Kostümpracht ... Dann sitzen wir selbst im Zuschauerraum, bestaunen das prunkvolle Bühnenportal mit Säulen und Proszeniumslogen und dazwischen die Versatzstücke aus Ariadnes wüster Insel. Und zur Schlußapotheose läßt Sanjust das Portal auseinandergleiten. Die Bühne weitet sich zum kolossalen klassizistischen Gemälde in leuchtendem Blau ... Ein Sternenfirmament, unter dem Bacchus Ariadne das ewige Leben verheißt. Stilfragen, Spieltraditionen, der Filter kritischer Distanz sind dem zentralen Thema gewichen: dem Mysterium der Liebe. Ein Verschwelgen in Wohllaut, in Farben, in schönen Stimmen. Ich könnte mir keinen im-ponierenderen Steigerungsbogen denken.

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