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Oper der Leidenschaften

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Das war ein großer Abend der itaiiienischen Oper. Das Publikum im Zürcher Opernhaus wußte sich vor Begeisterung kaum zu fassen. Und in der Tat: wenn im Optenüeben alles mit rechten Dingen zuginge, dann müßte dem Repertoire ein neues, altes Zugstück gewomien sein. Aber schon die mit der nämlichen Begeisterung aufgenommene Bonner Erstaufführung von Donizettis „Roberto Devereux" im März 1969 hat keinen Intendanten im deutschen Sprachraum bewegen können, dieses lange vergessene Meisterwerk zu spielen. So ist auch nach der schweizerischen Erstauffühmng — leider! — Skepsis am Platze.

100 Jahre sdüummefte diese Oper um Englands erste Elisabeth und ihren Günstling Devereux, den Grafen von Essex, in italienischen Archiven, bis sie l9’64 in Neapel und 1966 in Rom wieder das Licht der Bühne erblickte. Auf Bonn folgte im Herbst vergangenen Jahres New York. Auch eine Plattenaufnahme existiert bereits. Das Libretto von Salvatore Cammarano, der auch den „Troubadour"-Text auf dem Gewissen hat, ist weniger wichtig als die Situationen, die es Donizetti auszudeuten gibt.

Die Handlung ist Geriist, die Affekte sind. Sie wußte Donizetti 1837, zwei Jahre nach „Lucia di Lammermoor", die er hier an dramatischer Bündigkeit noch übertrifft, zu gestalten. Robertos Walzer ist dabei eines der wenigen wohlfeilen Zugeständnisse an den Zeitgesciimack. Der etwais zu rhapsodischer Banalität neigenden Ouvertüre mit dem anachronistischen „God save the Queen"-Zitat folgt ein ganzes Bündel von Arien, Duetten und Ensembles, die Leidenschaft, Schmerz, Freundschaft, Liebe und, vor allem, rasende Eifersucht schildern. Ein Füllhorn von Einfällen, deren melodische Magie Situationen und Konflikte plastisch umreißt, Einfälle obendrein, die den Schöngesang immer wieder mit Charakterporträts anreichem. Elisabeths Koloraturen fangen viel eher eine Übersteigerung durch verwirrende Gefühle, ein „Außersichsein" ein, ails daß sie virtuoser, äußerlicher Zierat wären. Wie Donizetti auch aus dem Rezitativen immer wieder plötzlich melodisches Feuer hervorzüngeln läßt, ist ebenso erstaunlich wie die Meisterschaft, mit der er das überkommene Schema Rezitativ-Arie-Rezitativ-Cabaletta in die szenischen Vorgänge einschmilzt und so allen stereotypen Beigeschmacks entkleidet. Genialische Vorahnungen Verdischer Errungenschaften gibt es die Menge, und eine Szene von solch ungeheuer musiballischer Dichte wie das Finale des dritten Bildes gehört zum Kostbarsten und Mitreißendsten in der gesamten italienischen Oper.

Melodische Fülle und dramatischer Impuls, Oper der äußersten Affekte, Oper, daß die Funken sprühen. Zumal wenn sie so engagiert wiedergegeben wird wie in Zürich unter Nello Santi, der Feuer mit Akura-tesse, lodernde Dramatik mit Genauigkeit im Detail verband. Glänzend bewährt sich das italienisch singende Ensemble: Antigone Sgourda in großer Primadonnenform als Elisabeth, Carol Smith mit voluminöser Mezzoattacke ala Sara, Glade Peterson nütfast etwas zu schwerem, aber meist strahlkräftigem Tenor als Roberto und Kari Nurmela, den seine imponierende und nur selten durch zu starkes „Aufdrehen" gefährdete Baritonsubstamz geradezu in die Nähe des jungen Tito Gobbi bringt. Ottowemer Meyers weite, leicht historisierende Räume mit schachbrettartigen Bodenkaros sind, täuscht die Erinnerung nicht, dieselben wie seinerzeit in Bonn. Martin Markun inszenierte in großen Umrissen, die Konfliktsituationen in knappe, dramatische Bewegung gliedernd. Die Szene als Dienerin der Musik, Donizetti triumphiert.

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