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Opern-Debakel

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Es ist ein trauriges Geschäft, dem wir hier obliegen: Nachdem in der letzten Nummer der FURCHE an dieser Stelle der selbstverschuldete Bankrott des Burgtheaterdirektors kommentiert wurde, müssen wir uns heute mit der Staatsoper und ihrem Leiter beschäftigen, und zwar gleichfalls in der Form einer wenig positiven Bilanzierung und recht trüben Prognose für die beiden kommenden Spielzeiten.

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Es ist ein trauriges Geschäft, dem wir hier obliegen: Nachdem in der letzten Nummer der FURCHE an dieser Stelle der selbstverschuldete Bankrott des Burgtheaterdirektors kommentiert wurde, müssen wir uns heute mit der Staatsoper und ihrem Leiter beschäftigen, und zwar gleichfalls in der Form einer wenig positiven Bilanzierung und recht trüben Prognose für die beiden kommenden Spielzeiten.

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Wir haben uns — nicht wenigen Lesern mag es aufgefallen sein — bei der Kritik der Oper und ihrer Direktion lange zurückgehalten und nur jeweils die einzelnen, wenig geglückten Premieren kommentiert. Aus vielerlei Gründen. Zunächst war uns das journalistische Gekläff, mit dem der neudesignierte Direktor damals, im Frühjahr 1970, empfangen wurde, noch ehe er einen Schritt, eine Geste gemacht hatte, im höchsten Grade unsympathisch, zumal sich unter den Keifenden deutlich und lautstark die Stimmen einiger abhoben, die selbst gerne Operndirektor geworden wären (daß sich unter ihnen auch ein aktiver Journalist befand, markierte für uns den Tiefstand, das absolute Wellental, in dem sich unser Kulturleben befindet). Dann folgten, fast täglich, aus dessen und einigen anderen Federn Mißerfolgsmeldungen über den immer noch planenden, noch gar nicht amtierenden Operndirektor Rudolf Gamsjäger — der uns ja kein Unbekannter war.

Denn nicht weniger als 27 Jahre lang hatte er die Geschicke der Gesellschaft der Musikfreunde geleitet: zu konservativ in den Programmen, das Interpretatorische auf hohem Niveau haltend und mit äußerstem Geschick, was alles Administrative und die Finanzen betraf, amtierend. Da konnte es, so meinten wir, bei der Übersiedlung von einem Haus ins andere, nur quer einige hundert Meter über den Ring, nicht schiefgehen. Aber es ging. Und daß es so rapid abwärts ging (abwärts, was unsere Erwartungen betraf), hatte seine Gründe u. a. auch in der Tatsache, daß Rudolf Gamsjäger aus einem Betrieb kam, wo er autoritär regierte, lediglich von einem fast ausschließlich aus weiblichen Hilfskräften bestehenden Sekretariat unterstützt, die seinen Anweisungen zu folgen hatten. Und außerdem kaufte er, meist durch Vermittlung von Agenturen, „Fertigwaren“ ein: bekannte Orchester und bewährte Solisten. Und da er sich vollkommen dem Geschmack seines Publikums anpaßte, lief alles glatt wie auf geölten Schienen, ein Viertel jähr hundert lang. Und die Kassa stimmte.

Im Großen Haus am Ring fand er ganz andere Verhältnisse vor. Hier wurde er mit einem vielgesichtigen Personal, einem komplizierten technischen, administrativen Apparat, den Stimmungen, Launen und Terminen einer unübersehbaren Sängerschar konfrontiert, bald auch mit einem prominenten und anspruchsvollen Ballettdirektor an seiner Seite usw. usw. Auch scheint seine Kenntnis der Sänger in aller Welt und ihrer Kapazitäten geringer gewesen zu sein, als wir voraussetzten. Und für Regie, Ausstattung, neues Musiktheater brachte er kaum jenes Minimum an Kenntnissen und Sensibilität mit, das ihn hätte über die ersten Runden bringen können.

Rätselhaft bleibt, was er in den zwei Jahren seiner Vorbereitung auf ein Amt getrieben hat, das ihm doch schon so viele Jahre als erstrebenswert vorschwebte. Jedenfalls folgte, sobald er in eigener Verantwortung zu amtieren begann, Mißerfolg auf Mißerfolg: nach einem unzureichend besetzten „Fidelio“ ein problematischer „Don Giovanni“, ein uninteressanter „Fliegender Holländer“, eine szenisch überfrachtete „Aida“ mit nur teilweise guter Besetzung, schließlich eine dank der wunderschönen Bühnenbilder und Kostüme aufsehenerregende „Salome“ eine respektable Aufführung von „Moses und Aron“ von Schönberg. Und dann kamen die Querelen und Affären, die Serie der Absagen und Umdisposi-tionen, kulminierend in einer für die Wiener Festwochen 1974 vorgesehenen „Meistersinger“-Aufführung, die auf den Oktober des nächsten Jahres verschoben werden mußte.

Jetzt bekam man den Eindruck eines nicht nur den an ihn gestellten Anforderungen nicht gewachsenen, sondern auch vom Pech verfolgten Mannes. „Wie sich Verdienst und Glück verketten, das fällt den Toren niemals ein. Wenn sie den Stein der Weisen hätten — der Weise mangelte dem Stein!“ („Faust II“, 1. Akt). Die Unguten Affären begannen damit, daß er, mit einer projektierten „Tristan“-Neuinszenierung, Karajan und Bernstein gleichzeitig verlor. Es folgte eine ganze Reihe ähnlicher Mißgriffe und Fehlschläge, zuletzt die Vergrämung des gefeierten Doktor Böhm, der fürchtete, es werde ihm durch Mehta „seine“' so erfolgreiche „Salome“ genommen.

Der neue Direktor vernachlässigte dem Hause verbundene, beim Publikum beliebte und noch leistungsfähige Künstler; es war ein ewiges Gehen und Kommen neuer Sänger, darunter auch Nieten; Gäste wurden geholt, wieder nach Hause geschickt und mußten ausbezahlt werden, Dirigenten mußten auf zugesagte Vorstellungen verzichten — und natürlich honoriert werden; an einmal gefaßten Projekten wurde festgehalten, obwohl alle Voraussetzungen für ihre erfolgreiche Realisierung inzwischen dahingeschwunden waren. Und das Klima im Hause verschlechterte sich immer mehr. Gamsjäger war kein Freund der Presse, und er mochte seine guten Gründe dafür haben. Aber nun übertrieb er seinen Isolationismus. „Autoritärer, verstockter, unkommunikativer hat sich seit langem kein Theaterdirektor verhalten, und über diesen Stil klagt man innerhalb und außerhalb des Hauses am Ring“, so kann man in der Jänner-Nummer der in der Bundesrepublik erscheinenden Zeitschrift „Opernwelt“ lesen.

Als eines der größten Verdienste haben wir dem neuen Direktor angerechnet — es war eine seiner ersten Taten —, daß er den fünf Jahre von Wien abwesenden Aurel von Milloss, einen hervorragenden Künstler, wieder als Ballettdirektor zurückholte. Einer von Gamsjägers größten Fehlern war, daß er die Milloss gegebenen Versprechungen nicht einhielt und durch ungebührliches Hinauszögern eines längst fälligen klärenden Gesprächs diesen veranlaßt hat, seinen Vertrag, der mit Ende dieser Spielzeit abläuft, nicht mehr zu verlängern. So stehen in der Saison 1974/75 das Staats- und das Volksopernballett nicht nur ohne künstlerischen Leiter, sondern auch ohne Choreographen und Premierenpläne da...

Jedoch: Der Fisch stinkt vom Kopf. Wir ernten jetzt die Früchte zweier Ernennungen — die des Burgund die des Operndirektors —, die aus parteipolitischen Interessen und persönlichen Motiven, ohne genügende sachliche Kenntnisse erfolgten. Der Entwurf zum neuen Bundestheatergesetz enthält die Bestimmung, daß künftige Leiter (Direktoren) der einzelnen Institute eine mindestens fünfjährige Tätigkeit an einem größeren Theaterbetrieb nachweisen müssen. Das nenne ich den Brunnen zudecken, nachdem das Kind hineingefallen ist.

Das ist um so betrüblicher, als die runde Milliarde, die uns die Bundestheater alljährlich kosten, nur dann gerechtfertigt wäre, wenn hier nur Erstklassiges geboten würde. Denn das Publikum ist diesen seinen Bühnen immer noch treu, was durch eine Platzausnutzung von 91 Prozent (die es sonst kaum an einem Opernhaus gibt) erwiesen erscheint. Der Ruf der Wiener Staatsoper ist besser als ihre Leistung, und der eher kritische als schwärmerische Adorno schrieb kurz vor seinem Tod: „Wenn man dieses Haus betritt, so hat man immer etwas von dem Gefühl des Kindes, das auf Weihnachten wartet.“

Wir aber warten inzwischen nicht nur auf einen neuen Direktor, sondern vor allem auf die angekündigte große Reform des Apparats. Aber gerade in dieser Hinsicht sehen wusch warz ...

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